Was war geschehen? Die damalige Partei der deutschsprachigen Belgier (PDB) hat von den 1970ern bis in die 1990er Jahre hinein Gelder der deutschen Hermann-Niermann-Stiftung erhalten. Diese Geldzuwendungen wurden jedoch nicht öffentlich gemacht.
Als dann der PDB-Politiker Lorenz Paasch die St. Vither Lokalpolitik verlässt und als Geschäftsführer in die Niermann-Stiftung wechselt, bricht eine mediale und politische Auseinandersetzung los. Das Problem: In der Niermann-Stiftung gab und gibt es zu dem Zeitpunkt rechtsextreme, nationalistisch geprägte Mitglieder. Es ist also nur ein kleiner Schritt für den Journalisten Freddy Derwahl, den Nutznießern der Gelder eine "Heim ins Reich"-Politik vorzuwerfen.
"Wer sich, meine Damen und Herren, in diesen Tagen in Düsseldorf und Bonn um die Orientierung einer gewissen Hermann-Niermann-Stiftung bemüht, stößt rasch auf Abweisung und auf eisiges Schweigen, dass jedoch, je tiefer man reinhört, auch umso tiefer blicken lässt." Freddy Derwahl im BRF am 21. August 1987
Andreas Fickers erklärt: "Die Bombe platzte eigentlich am 21. August 1987 und sie wurde hier gezündet im Funkhaus des BRF durch den damaligen Journalisten Freddy Derwahl, der in der 'Aktuellen Stunde' über die neue Nachbarschaft des Lorenz Paasch spekulierte, der zu diesem Zeitpunkt ganz frisch als neuer Geschäftsführer nach Düsseldorf gewechselt war, an die Hermann-Niermann-Stiftung. Und dieser Beitrag löste dann praktisch die 'Niermann-Affäre' aus, wie sie schon wenige Tage später genannt wurde."
Wenig später veröffentlichte derselbe Freddy Derwahl auch einen entsprechenden Artikel im GrenzEcho. Ein doppelter Aufschlag also, der auch in der Redaktion des BRF Unmut auslöste. Innerhalb der Redaktion positioniert sich Martin Steins als Gegengewicht in der Berichterstattung.
"Die Presseakte um die genannte Affäre erreicht bereits Zentimeterdicke. Die verantwortlichen Politiker des Gebietes versuchen nun, den Schaden, den die angeblichen Enthüllungen vor allem in der Inlandspresse heraufbeschworen haben, wieder auszubügeln. Das ist keine leichte Sache, denn das Etikett "Neonazi" oder "rechtsextrem" ist bekanntlich ein Haftpflaster, das nur selten verschwindet, ohne irgendwelche Rückstände zu hinterlassen." Martin Steins
"Es hat aber auch mit dem journalistischen Stil zu tun, wie diese Affäre präsentiert wurde", sagt dazu der Historiker Fickers. "Es wurde doch schon sehr gewagt spekuliert. Es wurden Nachbarschaften unterstellt, so dass plötzlich Lorenz Paasch sich in die Nachbarschaft von Rechtsradikalen und einem Neonazi-Milieu gesetzt sah und daraufhin natürlich auch sehr scharf reagierte."
"Also es war zum einen der politische Kontext, das war aber auch sofort die Art und Weise, wie diese Auseinandersetzung geführt wurde, die dazu geführt hat, dass die Frontstellung sehr schnell sehr scharf wurde."
Die inländische, aber auch die ausländische Presse war schnell aufgescheucht und heizte damit die Debatte in Ostbelgien immer wieder an. Allzusehr verfingen die Schlagworte. "Mir geht es nicht darum, die Parteispendenaffäre aufzuarbeiten oder die ganze Hermann-Niermann-Affäre zu rekonstruieren. Dazu bräuchte es ein Buch, und zwar ein dickes. Das werde ich vielleicht irgendwann mal schreiben", so Fickers.
"Aber jetzt ging es mir darum, zu zeigen, wie diese kommunikative Frontstellung entstanden ist, wie es zu diesem Medienhype und Event gekommen ist und wie es eben zu diesen Verstärkereffekten zwischen zum einen lokalen Akteuren, das heißt dem BRF und dem Grenzecho, gekommen ist und dann auch diese Rückwirkungen, Rückspiegelungen aus der nationalen und internationalen Presse gab."
Gudrun Hunold
Die Analyse der Niermann-Affaire im Kontext der Medien, nicht nur im Band 6 der "Grenzerfahrungen" sondern auch hier im Interview finde ich ausgesprochen gut. Einige Erinnerungen werden jedoch nicht erwähnt. Ich möchte diese auch eigentlich ad acta legen, wäre da nicht die Tatsache, das es den von Derwahl propagierten Schlussstrich nicht gegeben hat, auch nicht die Reinigung, wie es Dr. Fickers sagt. Freddy Derwahl war sich nicht zu schade, Informationen genau bei jenen rechtsradikalen Elementen einzuholen, deren Nähe er Lorenz Paasch vorwarf. Er ging ihnen auf den Leim. In den letzten Jahrzehnten kommt die "Affaire" nach Belieben immer wieder hoch, gerade beim armen Freddy, aber nun lese ich es auch bei Alfred Küchenberg. Andere Kontexte als die Medien müssen deshalb auch analysiert werden, und wenn Dr. Fickers je ein Buch darüber schreibt, so muss er alles thematisieren. Noch was: der Verzicht auf Fördermittel war vollkommen überflüssig.