Es ist der 27. Mai 2020: Die Fallzahlen sinken, die Krankenhausaufnahmen ebenfalls. Die Vertreter der verschiedenen Landesteile haben sich gerade getroffen und sehen Lockerungen für die Schulen vor. Doch das sorgt für Diskussionen. Denn erst zehn Tage vorher wurden die Regeln in den Schulen noch verschärft. Jetzt Rolle rückwärts.
Die Politik befindet sich in einer Selbstfindungsphase. Sie versucht ihr Verhältnis zu der bis dahin tonangebenden Wissenschaft zu klären, wie Roger Pint im damaligen BRF-Wochenkommentar darlegt. "Die Wissenschaft lernt bei dieser Epidemie jeden Tag hinzu. Unschärfe ist kein Zeichen von Schwäche, sondern liegt im Wesen des wissenschaftlichen Forschungsprozesses."
"Wie aus diversen Medienberichten hervorgeht, sind sie insbesondere vom flämischen Unterrichtsminister Ben Weyts regelrecht überfahren worden. Der N-VA-Politiker war einfach nach vorne geprescht und die Virologen mussten dann quasi den Fakten hinterherlaufen. Es wirkte fast, als würden sie Rechtfertigungen lediglich "nachliefern"."
In diesem Monat Mai 2020 lässt sich bereits ein turbulentes Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik beobachten. Zwei Disziplinen, denen in der Krisenzeit besondere Aufmerksamkeit zuteil geworden ist. Zwei Disziplinen, die besonders beobachtet worden sind. Es lohnt sich, ihr Verhältnis zueinander unter die Lupe zu nehmen.
"Wenn die Wissenschaft derart leistungsfähig ist, wie sie sich ja auch in der Pandemie als leistungsfähig erwiesen hat, dann taucht sehr schnell der Verdacht auf, dass die Politik durch die Wissenschaft ferngesteuert wird. Dann gibt es diesen Technokratie- oder Expertokratieverdacht", erklärt Alexander Bogner, Präsident der österreichischen Gesellschaft für Soziologie. Er arbeitet am Institut für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Unter anderem in seinem Buch "Die Epistemisierung des Politischen" hat er sich mit dem Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik auseinandergesetzt.
Von besagter Expertokratie war Belgien im Mai 2020 weit entfernt. Es wurde öffentlich gestritten und widersprochen. Und trotzdem: Zu Beginn der Pandemie waren Namen wie Marc van Ranst oder Emmanuel André schnell jedem bekannt und oft auch tonangebend und richtungsweisend.
"Das ergibt sich schon alleine daraus, dass die Politiker von Viren wenig Ahnung haben. Ich bin ja auch nicht in die Politik gegangen, um Viren zu bekämpfen, sondern um ein politisches Programm zu verwirklichen, so geht es meinen Kollegen im Sonderausschuss auch. In einer solchen Situation ohne Blaupause musste man vertrauen auf das, was die Virologen und Epidemiologen, Wissenschaftler und Gesundheitsexperten dazu sagen konnten", findet Oliver Paasch, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft und regelmäßiges Mitglied des Konzertierungsausschusses. Damit fasst er die allerersten Wochen des Pandemiemanagements zusammen.
In beschleunigten und demokratisch zweifelhaft legitimierten Entscheidungsprozessen reagierte die Politik auf das, was Wissenschaftler erarbeiteten. Der Platz des Wissenschaftlichen in der Öffentlichkeit wuchs, während die politische Auseinandersetzung zu Beginn in den Hintergrund gedrängt wurde.
Teil dieser fehlenden Auseinandersetzung war auch Andreas Jerusalem, Oppositionspolitiker der Ecolo-Fraktion. "Ich bin fest davon überzeugt, dass das am Anfang dieser Corona-Pandemie - als unglaublich viele Fragezeichen noch da waren - die richtige Vorgehensweise gewesen ist. Dabei bin ich ja auch einer der Abgeordneten in einem Parlament, der damals nicht gefragt worden ist. Damals musste man präventiv reagieren. Das hat man getan und die Zustimmung der Gesellschaft war ja auch enorm hoch."
In den ersten Wochen war die Zustimmung enorm hoch. Man kannte die Bilder aus der Lombardei, wo sich die Särge stapelten. Der Schutz des Lebens stand in dieser Zeit als gesellschaftlicher Wert an erster Stelle. Das, was die Wissenschaft erkannte, war mit Handlungsdruck verbunden, wie Alexander Bogner erklärt. "Die Wissenschaft liefert auf Basis ihres aktuell gültigen und notwendigerweise auch unsicheren Wissens Handlungsempfehlungen. Aber diese Handlungsempfehlungen, die werden dann zu Handlungszwängen, wenn es gesellschaftliche Werte gibt, die außer Streit stehen."
Bessere Begründung der eigenen Entscheidungen
Doch was sollten Wissenschaftler eigentlich leisten? Ist es ihre Aufgabe, politische Maßnahmen zu verlangen oder gar vorzuschreiben? Nein, findet Alexander Bogner und warnt: Die Politik dürfe nicht so tun, als würde sie einer fest gefügten wissenschaftlichen Meinung folgen. "Weil das ist angesichts der vielfältigen Stimmen aus der Wissenschaft sowieso unglaubwürdig."
"Die Politik muss am Ende des Tages begründen, welchen wissenschaftlichen Empfehlungen sie aus welchen Gründen folgt. Die bessere Begründung der eigenen Entscheidungen, das ist so die zentrale Aufgabe der Politik gerade in so schwierigen unübersichtlichen Situationen."
In der Politik werden Werte diskutiert. Die stehen oft in Konflikt zueinander und müssen gegeneinander abgewogen werden. Darin sieht Alexander Bogner die Aufgabe der Politik. So hat sich die Diskussion um Maßnahmen im Laufe der Zeit dann auch verändert. Es waren nicht mehr nur epidemiologische und virologische Aspekte, die eine Rolle spielten. Hinzu kamen beispielsweise wirtschaftliche, psychologische und soziologische Argumente - vielleicht etwas spät und nicht zum richtigen Zeitpunkt.
Trotzdem hat das den Blick auf die Pandemie und ihre Auswirkungen geschärft - auch für die Politik, findet Oliver Paasch. "Sie sollten aber nicht unbedingt das tun müssen, was die Wissenschaft Ihnen sagt. Jeder Wissenschaftler analysiert eine Situation aus seinem ganz fachspezifischen Blickwinkel. Es gilt aber in der Gesamtverantwortung auch andere Wissenschaften, Meinungen und Erkenntnisse zu berücksichtigen."
Andreas Jerusalem widerspricht. "Man kann aber schon tatsächlich sagen, dass die Grenze zwischen der Wissenschaft, die ja eigentlich die evidenz-basierten Erkenntnisse liefern soll, und der Politik, die dafür zuständig ist, diese Erkenntnisse dann in politische Maßnahmen zu gießen, zum Teil auch ein bisschen verschwamm, dass die Wissenschaftler dann auch politische Maßnahmen gegeben haben." Er fügt an, dass man durchaus beobachten konnte, wie Politiker sich hinter wissenschaftlichen Erkenntnissen versteckt haben.
Eine solche unsaubere Trennung zwischen Politik und Wissenschaft findet Alexander Bogner problematisch. Dadurch könnte sich die politische Debatte verwissenschaftlichen. Was die Teilnehmerzahl erst einmal einschränken würde. Auch gehe es dann nicht mehr um das Abwägen verschiedener gesellschaftlicher Werte.
Ganz im Gegenteil: "Es wird dann gestritten über die Aussagekraft von Studien oder Daten, über Grenzwerte, Kennzahlen oder Schwellenwerte. Es wird nicht mehr mit offenem Visier über die zugrunde liegenden divergierenden Interessen und Werte verhandelt, sondern es wird so getan, als könnte man aufgrund der wissenschaftlichen Daten und Fakten eine Entscheidung treffen, die dann sozusagen alternativlos ist", sagt Bogner.
Eindruck der politischen Alternativlosigkeit
Gerade zu Beginn der Krise sei das der Fall gewesen. Doch Politik, die glaubt alternativlos zu sein, sei gar keine Politik mehr, findet Alexander Bogner. Und entsteht dieser Eindruck der politischen Alternativlosigkeit, schaffen sich Menschen ihre eigenen Alternativen. "Das ist dann auch ein Stück weit etwas, das diesen Graben, diese unterschiedlichen Ansichten, diese Querdenkerbewegung und so weiter auch verstärkt und bestärkt hat. Weil man sich da so gefühlt hat, als stünde man mit dem Rücken zur Wand, obwohl es eigentlich ja nicht der Fall war. Das hat man ja mit dem Blick, der ein bisschen weiter gefasst worden ist, auch gesehen", so Andreas Jerusalem.
Politik und Wissenschaft sollen zwei autonome und getrennte Disziplinen sein - mit eigenen Aufgabenfeldern, wie Alexander Bogner abschließend erklärt. "Das ist auch das Schöne an der Wissenschaft. Sie ist so respektlos. Autoritäten, Dogmen, Vorurteile, Ideologien sollen dem Anspruch nach keine Rolle spielen und es wird eigentlich alles hinterfragt."
Die Wissenschaft soll also Handlungsoptionen ausschließen beziehungsweise aufzeigen. Optionen, die auf einem rationalistischen Weltbild basieren, wie Alexander Bogner sagt - und damit die Möglichkeit einer evidenz-basierten Politik eröffnen, wie Andreas Jerusalem und Oliver Paasch sagen.
Die Politik soll über den Weg der Diskussion aus diesen Möglichkeiten auswählen und erklären, aus welchen Gründen sie etwas tut. Diese Prozesse nachzuvollziehen und anzuerkennen - diese Aufgabe ist den Bürgern überlassen.
Andreas Lejeune
Politik oder Wissenschaft: Wer gab während der Pandemie den Ton an?
Keines von beiden.
Federführend war die KORRUPTION.
Apropos... funktioniert auch bei Klima und Energie...😉
"alle korrupt" - wie originell! Da ist Schulze & Schultze ganz von allein drauf gekommen?
Manchmal kann man nur beeindruckt sein von solch spitzfindig-profunden Analysen. Wahrscheinlich muss man's nur oft genug wiederholen, dann glaubt man's am Ende selbst.
Werter Herr Scholzen,
Haben Sie Beweise für Ihre pauschale Verunglimpfung, alle Beteiligten seien korrupt gewesen? Dann würde ich mal schnell zur Polizei gehen und Ross und Reiter nennen. Anderenfalls wäre es besser, die Klappe zu halten (fällt Ihnen bestimmt schwer, schon klar!)
-Wie kann es sein, dass die Pharmafirmen bei Impfnebenwirkungen nicht haftbar sind, sondern der Staat?
-Wie kann es möglich ein, das die WHO nach der Pfeife von KP-China und Bill-Gates-Stiftung (1,56 Milliarden-$) tanzt? Für die WHO ist die Treue zu China wichtiger als Menschenleben. In der WHO bestimmt derjenige, wer am meisten bezahlt, nicht medizinische Instanzen oder der Exekutiv-Rat.
-Warum hat von-der-Leyen die Pfizer-SMS-Textnachrichten (Bezugsperson Pfizer-Chef Albert Bourla) auf dem Diensthandy nicht herzeigen wollen, als die Antikorruptionsbeauftragte Emily O'Reilly danach fragte?
-Warum wurde der Impfstoff des deutschen Winfried Stöcker nicht zugelassen? Man warf ihm vor, er habe "Fehler" bei Testung und Zulassungsanfrage gemacht. Bei den Riesen-Pharma-Konzernen war dies an der Tagesordnung, es wurden sämtliche Prüfstufen übersprungen, um nur schnell genug impfen zu können. Bei den 'Großen' hat die Politik die Augen zugemacht.
-etc....
Entschuldigung an die Herren Hezel und Tychon,
Meine Wenigkeit hat eine zusätzliche Triebfeder bei Corona vergessen:
MACHTMISSBRAUCH.
Absolute Macht korrumpiert absolut.
Zufrieden?
Wahre Wissenschaft kann sich nur nennen, wenn unabhänig von egal welcher Meinung immer das selbe Ergibnis heraus kommt. Wenn von Corona gesprochen wird, sollte man tunlichst nicht den Fehler machen, die dort tonangebende Virologie als Wissenschaft hin-/dar zu stellen. Medizinisch müsste man von einer Plazebo-/Fake-Wissenschaft sprechen. Aber wen wundert es wenn die Politik mit solchen Fake-Wissenschaftlern ins Bett steigen... beide nutzen Statistik um sich demonstrativ ihre Unschulds-Hände zu waschen !
Nun, meine Herren Hezel und Tychon, da können Sie lange warten.
Mit den Fakten haben grandiosen Vereinfacher vom "Gegenpol" es nicht so. Da kommt außer den üblichen stereotypen Phrasen nichts.
Aber das ist doch schon seit jeher das Erfolgsgeheimnis von Propaganda: Oft genug wiederholen, dann glauben die Leute jeden Unsinn.
Der eigentliche Artikel gerät darüber in den Hintergrund. Dabei böte er viel Stoff zu einer ernsthaften Diskussion.
Etwa darüber, inwieweit eine kühle, sachliche Analyse und eine daraus erfolgende Abwägung der zu ergreifenden Maßnahmen damals überhaupt möglich war.
Erinnert sei nur an den geradezu fanatischen Kreuzzug, den manche gegen alles unternommen haben, was ihre "persönliche Freiheit" eingeschränkt hätte.
Ein anderes Problem: "Dabei bin ich ja auch einer der Abgeordneten in einem Parlament, der damals nicht gefragt worden ist."
Es wäre zu fragen, warum das Parlament sich ins Abseits hat drängen lassen, statt souverän, wie es seine Aufgabe wäre, aus eigener Initiative die Regierung zu kontrollieren.
@ G.S. Emily O’Reilly ist nicht Antikorruptionsbeauftragte, sondern Bürgerbeauftragte der EU (“Ombudsmann”). Aber gründliches Recherchieren ist vermutlich nicht Ihr Ding…
@ Norbert Schleck: Sie haben recht mit der Behauptung, das belgische Parlament habe sich ins Abseits drängen lassen - und zwar ohne Not! In Luxemburg wurden alle Corona-Rechtsvorschriften mittels eines beschleunigten legislativen Verfahrens durch die Abgeordnetenkammer geschleust. Allerdings hat dies den Nachteil, dass man nicht “mal schnell” die Bestimmungen ändern kann. So besteht in den öffentlichen Verkehrsmitteln im Großherzogtum nach wie vor Maskenpflicht, weil das entsprechende Gesetz zur Aufhebung selbiger erst noch zur Abstimmung gestellt werden muss.