Dass das Treffen des Kernkabinetts nicht mit spektakulären Beschlüssen enden würde, war im Prinzip schon im Vorfeld klar. Dafür war schon allein die anberaumte Zeit viel zu kurz. Das unterstrich auch Les Engagés-Vizepremier und -Außenminister Maxime Prévot noch einmal vor Beginn der Sitzung. Das Treffen sei zwar wichtig, aber es werde sicher nicht das letzte sein. Anderthalb Stunden seien einfach zu wenig, um sich über das Palästina-Dossier zu einigen. Nicht zuletzt, weil man ja zunächst noch über den ersten Tagesordnungspunkt, die Ukraine, sprechen müsse.
Aber Prévot wollte wohl vor allem auch Optimismus ausstrahlen, sicher nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Wortmeldungen im Vorfeld des Treffens. Prévot selbst hatte beispielsweise am Montag suggeriert, dass seine Partei auch andere Dossiers der Regierung blockieren könne, wenn es mit Gaza nicht vorangehe. Auch CD&V-Chef Sammy Mahdi hatte sich ähnlich geäußert.
Er wolle selbstverständlich keine totale Blockade egal welcher Art, so Prévot am Mittwoch. Er wolle lieber an die Fähigkeit der Regierung glauben, Fortschritte zu erzielen in der Frage möglicher Sanktionen gegen Israel und einer Anerkennung Palästinas als Staat. Auf die jüngsten Äußerungen von Premier De Wever und der MR angesprochen, blieb Prévot ebenfalls diplomatisch. Es sei bekannt, dass alle Parteien ihre Meinung hätten und dass diese auseinandergingen. Deshalb sei es wichtig, die kommenden Tage zu nutzen, um zu versuchen, einen Konsens zu finden.
Als Grundlage soll dabei ein rund 25-seitiges Papier Prévots dienen, das er seinen Koalitionspartnern am Mittwoch vorgestellt hat. Darin erinnert er daran, dass Belgien zu den Unterzeichnern der UN-Völkermordkonvention gehört. Die verpflichtet das Land, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um Völkermord zu verhindern.
Prévots Note beinhaltet aber vor allem zehn Vorschläge für Maßnahmen, die Belgien bezüglich Gaza ergreifen könnte. Und zwar, ohne darauf zum Beispiel auf die Europäische Union warten zu müssen. Darin schlägt der Außenminister vor, bestimmte israelische Siedler, Extremisten und Organisationen nicht mehr nach Belgien einreisen zu lassen, auch finanzielle Sanktionen seien vorstellbar. Ein Einreiseverbot für zwei rechtsextreme israelische Minister sowie den israelischen Verteidigungsminister.
Eine Ausweitung des Exportverbots für Waffen und Dual-Use-Güter. Eine Einstellung konsularischer Dienste für Belgier, die in illegalen israelischen Siedlungen leben sowie die Verweigerung von Langzeitvisa für Israelis aus solchen Siedlungen. Eine Wiedereinführung der Visums-Pflicht für israelische Diplomaten und Offizielle.
Eine Anweisung an die belgische Justiz, alle belgischen Staatsbürger zu verfolgen, die in Israel oder den besetzten Gebieten schwere Menschenrechtsverletzungen oder Terrorakte begangen haben. Ein Importverbot für israelische Produkte aus besetzten Palästinensergebieten. Ein allgemeines Überflugverbot belgischen Grundgebiets für israelische militärische und offizielle Flüge. Und schließlich noch das Ende sämtlicher geschäftlicher Beziehungen zu israelischen Rüstungsbetrieben.
Das bedeutet für den Außenminister aber nicht, dass Belgien auf europäischer Ebene die Hände in den Schoß legen sollte. Im Gegenteil: Belgien solle bei der EU darauf dringen, die kommerziellen Teile des sogenannten Assoziierungsabkommens mit Israel auszusetzen. Das Gleiche gelte für andere Verträge zwischen der Union und Israel.
Was die Anerkennung Palästinas als Staat betrifft, fordert Prévot, dass Belgien diesen Schritt wie Frankreich und andere Staaten am Rand der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September macht. Außerdem solle Belgien eine Mitgliedschaft Palästinas in den Vereinten Nationen befürworten.
Zu mehr als der Vorstellung all dieser Vorschläge und einer ersten Reaktion der Regierungsparteien darauf, reichte die Zeit dann auch nicht mehr. Am Montag werde die nächste Sitzung des Kernkabinetts stattfinden, bestätigte CD&V-Vizepremier und Finanzminister Vincent Van Peteghem. Dann werde man untersuchen, was möglich sei und was passieren müsse. Denn es sei deutlich, dass Belgien seine Position anpassen müsse.
Boris Schmidt