Es müssen nicht immer die großen Themen sein, die eine Koalition an den Rand des Abgrunds bringen. Im frankophonen Landesteil etwa ist es gerade das Studienangebot an der Uni Mons, das die Gemüter überkochen lässt.
Konkret geht es um das Fach Medizin. Bislang kann man in Mons nur einen Bachelor-Abschluss machen und muss dann nach Brüssel oder Lüttich wechseln. Das Rektorat will aber erreichen, dass die Universität künftig einen vollständigen Masterstudiengang in Medizin anbieten darf.
Inakzeptable Entscheidung
Der entsprechende Antrag wurde aber von der für das Hochschulwesen zuständigen Ministerin Valérie Glatigny abgelehnt. "Und das völlig willkürlich und unbegründet", zischte PS-Präsident Paul Magnette in der RTBF. Die Haltung der MR sei inakzeptabel: sowohl, was die Form, als auch, was den Inhalt angeht.
Erstmal zur Form: Das Expertengremium, das die Regierung der Französischen Gemeinschaft in solchen Fragen berät, hatte grünes Licht gegeben. Und doch habe die MR-Ministerin den Daumen gesenkt. Das zu allem Überfluss ohne Rücksprache mit den Regierungskollegen.
Aber auch inhaltlich sei die Entscheidung nicht nachvollziehbar, so Magnette. Erstens: In der Wallonie herrscht ein akuter Ärztemangel. Und zweitens: Die Provinz Hennegau sei ohnehin schon immer benachteiligt gewesen, was das Hochschulangebot angeht.
Kurz und knapp: Die PS will die Entscheidung von Valérie Glatigny nicht hinnehmen. Auf gar keinen Fall. Und dann kramte Paul Magnette auch gleich die Bazooka aus: "Wir werden in dieser Sache hart bleiben. Wenn nötig, werden wir uns an Les Engagés wenden mit dem Ziel, dass die unseren Dekret-Entwurf unterstützen. Damit alle Universitäten das anbieten können, was wir so dringend nötig haben."
Gespenst einer doppelten Regierungskrise
Les Engagés, also die frühere CDH ... Die Partei sitzt bekanntlich in der Opposition. Magnette droht also nicht weniger als mit einer sogenannten Wechselmehrheit. Und dieser Gedanke wird denn auch von Beobachtern schon weitergesponnen, nach dem Motto: Liefe das nicht darauf hinaus, dass die MR aus der Regierung fliegen und durch Les Engagés ersetzt werden könnte.
Mit anderen Worten: im frankophonen Landesteil geht das Gespenst einer Regierungskrise um. Einer doppelten im Übrigen, denn im Fahrwasser der Französischen Gemeinschaft wäre wohl auch die Wallonische Region betroffen ...
Les Engagés scheinen jedenfalls nicht abgeneigt zu sein. 80 Prozent des Parlaments sei hier doch auf einer Linie, sagte Jean-Luc Crucke, der übrigens bis vor Kurzem noch der MR angehörte. 80 Prozent seien sich einig. Das müsse doch selbst am Nabel eines Parteipräsidenten ankommen.
"Nun aber mal langsam", reagierte aber am Donnerstagabend MR-Chef Georges-Louis Bouchez. Er rufe alle Beteiligten auf, jetzt einen kühlen Kopf zu bewahren. Jeder habe seine Meinung. Jetzt müsse man versuchen, da einen Mittelweg zu finden. Er habe jedenfalls nicht vor, noch weiter Öl ins Feuer zu gießen.
MR verteidigt sich
In der RTBF mochte es tatsächlich so aussehen, als habe der sonst so streitlustige Bouchez demonstrativ Kreide gefressen. Was aber nicht heißt, dass die MR dafür von ihrer Position abrückt. Erstens, so betonte Bouchez: Den Ärztemangel bekämpft man nicht, indem man das Studienangebot erhöht. Schließlich wird die Zahl der zugelassenen Mediziner durch den Numerus clausus begrenzt.
Zweitens: Die Französische Gemeinschaft steht ohnehin finanziell nicht so gut da. Das Hochschulbudget ist gedeckelt. Das Geld, das man in einen Bereich hineinsteckt, das muss man anderswo abknapsen.
Und er habe bestimmt nichts gegen die Provinz Hennegau oder die fragliche Uni: Schließlich lebe er selbst in Mons, sagt Bouchez. Prinzipiell halte er es für kontraproduktiv, wenn Koalitionspartner immer gleich mit Wechselmehrheiten drohen, wenn ihnen was nicht passt.
Dennoch: Schon in der kommenden Woche droht eine neue Eskalationsstufe. "Wenn es bis dahin keine Einigung gibt, dann könnte es erste parlamentarische Initiativen geben", warnte Paul Magnette. Und dann stehe ernsthaft die Gefahr einer Wechselmehrheit im Raum - mit allen damit verbundenen Konsequenzen.
Roger Pint