Wirtschaftskrise, Energiepreisexplosion, Inflation - es sind düstere Zeiten für die Kaufkraft, wie es die Zeitung La Dernière Heure am Donnerstag treffend formulierte. Jeder Verbraucher weiß freilich, was das alles in der Praxis bedeutet.
Die Zeitung Het Nieuwsblad hat jetzt eine Zahl draufgesetzt: Der durchschnittliche Einkaufswagen hat sich im Vergleich zum April 2021 um sechs Prozent verteuert. Das geht aus einer Studie der Verbraucherschutzorganisation Test Achats hervor.
Vor einem Jahr gab eine zweiköpfige Familie noch 390 Euro pro Monat für Lebensmittel aus, jetzt sind es 413 Euro - 23 Euro mehr. Test Achats hat für ihre Studie die Preise von 3.000 Produkten bei sieben Supermarktketten analysiert. Besonders sichtbar ist die Preissteigerung demnach bei Produkten wie Tomaten oder Spaghetti, die beide um stolze 30 Prozent teurer geworden sind.
Maßnahmen verlängern
Vor allem sind es aber die Energiepreise, die ein Loch in die Haushaltskassen reißen. Die Kosten für Strom und Gas haben sich mehr oder weniger verdreifacht. Die Föderalregierung hat schon versucht gegenzusteuern. So wurde etwa der Sozialtarif ausgeweitet. Heißt im Klartext: Deutlich mehr Menschen kommen in den Genuss eines Vorteilstarifs. Daneben wurde auch die Mehrwertsteuer auf Gas und Elektrizität auf sechs Prozent gesenkt. Zwar ist dieser Effekt schon gar nicht mehr spürbar, weil die Preise immer noch weiter gestiegen sind. Ohne die Maßnahme lägen sie aber eben noch höher.
"Beide Maßnahmen sollten verlängert werden", zitiert die Zeitung Le Soir am Donnerstag Premierminister Alexander De Croo. Denn eigentlich würden sie Ende September auslaufen. Für De Croo sollten diese Hilfen des Föderalstaates aber mindestens bis Ende des Jahres beibehalten werden.
Applaus gab es vom sozialistischen Koalitionspartner. "Schön, dass wir darüber gar nicht mehr diskutieren müssen", freute sich PS-Chef Paul Magnette am Donnerstagmorgen in der RTBF. "Denn, mal ehrlich: Wenn man etwa die Mehrwertsteuer auf Energieprodukte nur für die warme Jahreszeit senkt, dann ist das wenig sinnvoll."
Die formale Entscheidung ist aber noch nicht getroffen. Das habe wohl auch damit zu tun, dass man erst noch die Feierlichkeiten zum 1. Mai abwarten wolle, berichtet Le Soir. Dies, um zu vermeiden, dass die Pläne und Absichten der Koalition von den Gewerkschaften schon in der Luft zerrissen werden können.
Unterstützung von ständigem Expertengremium
Die Föderalregierung will sich jetzt von einem ständigen Expertengremium unterstützen lassen. Die Zeitung Het Nieuwsblad spricht schon von einem "wirtschaftspolitischen Gems", nach dem Vorbild der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe, die die Politik in der Corona-Krise beraten hat.
Den Vorsitz hat kein Geringerer als der Gouverneur der Nationalbank, Pierre Wunsch. Seine sieben Kolleginnen und Kollegen sind allesamt renommierte Universitätsprofessoren. Nur werden die sich wohl auch an der immer wieder gleichen Quadratur des Kreises abarbeiten müssen, die sich auf eine Frage herunterbrechen lässt: Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Bei der aktuellen Haushaltslage kann man schlicht und einfach nicht mehr allzu große Sprünge machen.
Reichensteuer
Es sind meistens solche Momente, in denen eigentlich altbekannte Rezepte plötzlich wieder aufploppen, die seit Jahren unter der Decke schwelen. "Eine Reichensteuer liegt auf dem Tisch", schreibt am Donnerstag jedenfalls Het Laatste Nieuws. Eine Reichensteuer: Steckenpferd der linken, Schreckgespenst der rechten Parteien. Genau deswegen bringt man ein solches Projekt in Belgien mit seinen traditionellen "Mehrfamilienkoalitionen" nicht zu Ende.
Nun gibt es aber offenbar Bewegung. Laut Het Laatste Nieuws hat sich die christdemokratische CD&V auf die Seite der Sozialisten und Grünen geschlagen. PS-Chef Paul Magnette hat das am Donnerstagmorgen in der RTBF auch bestätigt. Das wären also inzwischen immerhin fünf der sieben Vivaldi-Parteien. Die Liberalen stehen ihrerseits noch auf der Bremse - offensichtlich in erster Linie die MR.
Bei den Blauen argumentiert man, dass eine Reichensteuer immer auch die Mittelschicht trifft. "Nicht, wenn es nach unserem Vorschlag geht", beteuert Magnette. "Wir wollen nur die Superreichen besteuern, jene ein Prozent der Bevölkerung". Mit den Einnahmen könnte man dann die Steuern für die Klein- und Mittelverdiener senken.
Wendet man einen Steuersatz von einem oder 1,5 Prozent an, dann könnte man die Hälfte aller Steuerzahler entlasten, rechnet Magnette vor: Klein- und Mittelverdiener hätten pro Monat netto bis zu 100 Euro mehr in der Tasche.
Bislang ist das noch nicht konsensfähig. Doch weiß man jetzt immerhin, welches wohl das beherrschende Thema am Sonntag bei den Feierlichkeiten zum 1. Mai sein dürfte.
Roger Pint