Rückblick: Ende der vergangenen Woche legte die föderale Groen-Energieministerin Tinne Van der Straeten ihren Bericht über die belgischen Kernzentralen vor. Dieser Bericht besagt, dass diese geschlossen werden können, ohne dass dadurch die Versorgungssicherheit gefährdet würde. Das soll unter anderem durch Gaszentralen sichergestellt werden. Sie sollen die Ausfälle kompensieren, bis ausreichend erneuerbare Energiequellen zur Verfügung stehen.
Dieser Bericht überzeugte aber nicht alle Regierungspartner in der heterogenen Vivaldi-Mannschaft von Premierminister Alexander De Croo - vor allem nicht die MR, also die frankophonen Liberalen, in Form ihres Vorsitzenden Georges-Louis-Bouchez. Der ist ohnehin ein vehementer Verfechter einer Verlängerung der Laufzeit der Atomreaktoren.
Engie: Keine Alternative zur Abschaltung 2025
Um den Sorgen mancher seiner Teammitglieder Rechnung zu tragen, setzte sich dann der Premier, selbst ja flämischer Liberaler von der OpenVLD, direkt mit dem französischen Energiekonzern Engie in Verbindung. Der betreibt die sieben belgischen Reaktoren. Die Antwort von Engie war postwendend, deutlich und die gleiche wie schon früher: Alle sieben Reaktoren müssen 2025 geschlossen werden. Es ist auch nicht möglich, die beiden jüngsten - Doel 4 und Tihange 3 - länger am Netz zu lassen.
Das befriedigte den MR-Chef aber nicht: Bouchez beharrt darauf, dass die Reaktoren sehr wohl länger am Netz bleiben könnten, wenn verschiedene Gesetze angepasst würden, was man als Mehrheit ja machen könne. Außerdem keilte Bouchez gegen Engie und warf dem Konzern vor, nicht unabhängig zu sein, weil er auch bei einer Schließung der Reaktoren nur gewinnen könne.
Energiekonzern profitiert teilweise vom Atomausstieg
Es ist nämlich so: Engie hat eine öffentliche Ausschreibung um staatliche Subventionen für den Bau der Gaszentralen gewonnen. Sprich: Beim Atomausstieg bekommt Engie Geld eben für die Gaskraftwerke, die gebraucht werden, um die Versorgungssicherheit übergangsweise zu gewährleisten. Hier sollte man natürlich auch daran erinnern, dass Bouchez gerne zündelt, um gegen andere Parteien zu punkten - selbst wenn seine MR eigentlich mit ihnen in der gleichen Regierung sitzt.
Die flämischen Nationalisten N-VA sitzen auf föderaler Ebene derweil in der Opposition, weswegen sie De Croos Regierung grundsätzlich, wo es geht, Knüppel in den Weg werfen. In diesen Kontext ordnen viele auch ein, dass die flämische Umweltministerin, Zuhal Demir von der N-VA, den Bau einer Gaszentrale von Engie in Vilvoorde blockiert. Hinzu kommt, dass der N-VA-Vorsitzende Bart De Wever und insbesondere die flämischen Grünen sich ohnehin spinnefeind sind und De Wever, wie Bouchez, grundsätzlich gegen den Atomausstieg ist.
N-VA-Vorsitzender greift Energieministerin scharf an
Der N-VA-Vorsitzende greift deshalb regelmäßig scharf insbesondere die Groen-Energieministerin Tinne Van der Straeten an - und macht dabei keine Gefangenen, so wie am Donnerstag bei Radio Eén: Ministerin Van der Straeten habe Engie jetzt eigentlich bestochen, anders könne er das nicht ausdrücken, so De Wever. Anders gesagt: Er bezichtigte die Energieministerin öffentlich einer Straftat, auf die in Belgien eine lange Gefängnisstrafe steht.
Das fand die Ministerin doch zu viel des Guten: Das sei ein absolut bedenkliches Niveau und unethisch, so Van der Straeten in der VRT. Das sei ein neuer Tiefpunkt in der Rhetorik De Wevers. Es gehe hier gerade um das Thema Energieversorgungssicherheit des Landes. Das sei ein sehr ernstes Dossier und nichts für Spektakelpolitik, schoss die Ministerin in Richtung des N-VA-Vorsitzenden.
Klare Worte gegen die gemeinsame Agenda der N-VA- und MR-Vorsitzenden gab es am Donnerstag übrigens auch von OpenVLD-Chef Egbert Lachaert: Ab einem gewissen Zeitpunkt sei etwas tot, so Lachaert mit Verweis auf die Antwort von Engie. Es möge zwar Sinn machen, einige Minuten lang Wiederbelebungsversuche zu machen, aber irgendwann müsse man einsehen, dass die Sache gegessen sei.
Damit ließ er die frankophone Schwesterpartei MR beziehungsweise eben Bouchez allein im Regen stehen innerhalb der Koalition mit seiner Forderung nach einer Verlängerung der Reaktorenlaufzeit. Und dass die N-VA die Gaszentralen in Flandern blockiere, finde er angesichts dieser Umstände "kriminell unverantwortlich", so der Seitenhieb auf De Wever.
Premierminister gibt Van der Straeten Rückendeckung
Der Premierminister selbst steht im Übrigen nach wie vor fest hinter seiner Energieministerin. Die diversen Vorwürfe, dass die Groen-Politikerin einseitige und schlechte Arbeit geleistet habe, wies De Croo vor der Kammer zurück. Die Ministerin habe systematisch und realistisch genau das umgesetzt, was im Regierungsabkommen der Vivaldi-Koalition stehe. Man gehe korrekt vor und sei auf dem richtigen Weg. Eine Rede, für die er von den Abgeordneten der Mehrheit viel Beifall erntete - selbst von denen der MR.
Der Plan soll dem Vernehmen nach ja eigentlich sein, dass die Föderalregierung sich noch vor Beginn der Weihnachtsferien offiziell in puncto totaler Atomausstieg 2025 entscheidet. Die nächsten ein bis zwei Wochen sollte man also durchaus mit weiterem Wirbel in der belgischen Nuklear-Saga rechnen…
Boris Schmidt