Jetzt ist sie also doch angebrochen: Die Zugangskartengesellschaft, vor der vor Kurzem noch viele politisch Verantwortliche gewarnt hatten. In Brüssel muss man jetzt mit dem Covid-Safe-Ticket (CST) ausgerüstet sein, wenn man vor allem an Aktivitäten in Innenräumen teilnehmen will.
Bislang gab es das zwar auch schon, aber das CST kam in erster Linie bei größeren Veranstaltungen zum Einsatz. In Brüssel wird diese Maßnahme jetzt auf große Bereiche des öffentlichen Lebens ausgeweitet.
Grob zusammengefasst wird das CST quasi überall dort vonnöten sein, wo viele Menschen in Innenräumen zusammen sind. In Kneipen und Cafés, in Restaurants, in Nachtclubs, aber auch in Fitnesszentren oder bei Hallensportaktivitäten. Und natürlich bei größeren Veranstaltungen aller Art: Ab 50 Besuchern innen, aber auch ab 200 Teilnehmern außen. Menschen ab zwölf Jahren müssen ab jetzt auch vor dem Betreten von Brüsseler Pflegeeinrichtungen das CST vorzeigen.
Ausgenommen sind hingegen Schulen, öffentliche Verkehrsmittel, Behörden und auch Geschäfte oder Einkaufszentren. Dort gilt aber gegebenenfalls weiter die Maskenpflicht. Die Maßnahme ist erst mal befristet auf den 15. Januar kommenden Jahres.
Niedrige Impfquote
Begründet wird die Maßnahme immer mit der vergleichsweise niedrigen Impfquote in der Hauptstadt. In Brüssel sind gerade einmal 65 Prozent Erwachsenen vollständig geimpft. Zum Vergleich: Klassenbester ist Flandern mit einer Abdeckung von über 90 Prozent. Es gab auch immer wieder Momente, in denen sich die Lage in den Brüsseler Krankenhäusern zwischenzeitlich zuzuspitzen schien.
Jedenfalls wollte man in der Hauptstadt wohl auf Nummer sicher gehen und das Ansteckungsrisiko möglichst verringern. Deswegen eben das CST, das also sicherstellen soll, dass eben vor allem in Innenräumen nur Menschen zusammen sind, die entweder immunisiert oder getestet sind.
Doch wie soll das funktionieren? "Da seien noch viele Fragen offen", beklagt man im Horeca-Sektor. Vincent De Wolf, Bürgermeister der Brüsseler Stadtgemeinde Etterbeek, hat für öffentliche Einrichtungen in seiner Gemeinde schon einmal eine Order ausgegeben: Die Mitarbeiter haben das Recht, um das Vorzeigen des Ausweises zu bitten. Zu "bitten", wohlgemerkt, sie dürfen das nicht verlangen - insofern es sich nicht um Polizeibeamte handelt. Allerdings gilt: Wer seinen Ausweis nicht vorzeigen will, der kommt eben nicht rein.
Stichproben
Man muss sich natürlich nur vergewissern, dass das CST wirklich auf die Person ausgestellt wurde, die gerade vor einem steht. Ähnlich wollen das anscheinend auch viele Wirte und Restaurantbetreiber handhaben. Wer nicht kooperieren will, der bleibt eben draußen.
Wobei es kein Geheimnis ist, dass viele gerade im Horeca-Sektor nicht wirklich für die Einführung des CST waren. Da gibt es, wie man liest und hört, vielerorts erhebliche Widerstände.
Bürgermeister Vincent De Wolf plädierte in der RTBF für ein gewisses Fingerspitzengefühl. Mit einem Mindestmaß an guten Willen, Diplomatie und Psychologie sollte es möglich sein, das einigermaßen zum Laufen zu bringen. "Wir werden jedenfalls nicht in jedem Restaurant einen Polizisten postieren", verspricht De Wolf. Das wolle nämlich niemand. Die Beamten würden allenfalls Stichproben machen.
Wallonie zieht nach
Die Wallonie hat derweil beschlossen, sich den Hauptstädtern anzuschließen. Die Regierung in Namur hat am Donnerstag entschieden, ebenfalls den Einsatz des CST auszuweiten. Die Regeln hat man bei den Brüsselern abgekupfert, um nicht noch für zusätzliche Verwirrung zu sorgen.
Hier handele es sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme, betonte der wallonische Ministerpräsident Elio Di Rupo in der RTBF. Man wolle nur in gewisser Weise den Herbst überbrücken und die Festtage "schadlos" überstehen. Die Maßnahme ist ebenfalls befristet auf den 15. Januar.
Je schneller wir diese Maßnahme wieder aufheben können desto besser, sagt Di Rupo. Und je nach Entwicklung der Lage werde man das auch tun, verspricht der wallonische Ministerpräsident.
In Flandern ist das alles demgegenüber kein Thema. Man vertraut voll und ganz auf die außergewöhnlich hohe Impfquote, die tatsächlich in Europa fast ihresgleichen sucht.
Die Zahlen scheinen Brüssel und der Wallonie jedenfalls nicht unrecht zu geben. Nach neuesten Angaben von Sciensano lag die Zahl der Neuinfektionen in der vergangenen Woche bei knapp 2.300 pro Tag. Das entspricht einem Anstieg um rund 20 Prozent im Vergleich zur Vorwoche. Das Virus zirkuliere also weiterhin. Und auch die Zahl der Krankenhausaufnahmen und der Covid-bedingten Todesfälle steigt.
Roger Pint