Zahlen allein sagen nicht alles. Einen solchen Warnhinweis hört man so oder so ähnlich immer im Zusammenhang mit Statistiken. Und genau aus diesem Grund hatte sich das Institut für Volksgesundheit, Sciensano, lange Zeit gesträubt, die Zahlen über die Covid-Sterberaten je nach Krankenhaus oder Region zu veröffentlichen. Denn aus Rohdaten kann man vieles vermeintlich ableiten.
Gut ein Jahr lang hatten die Oppositionspartei N-VA und auch die Presse immer wieder nachgebohrt, bis Sciensano nun doch nachgegeben hat. Die Zahlen, die das Gesundheitsministerium nun veröffentlicht hat, sind aber immer noch soweit anonymisiert, dass keine Rückschlüsse auf einzelne Einrichtungen möglich sind. Einzig die Zahlen je Provinz wurden geliefert. Die Zeitungen Het Laatste Nieuws und La Dernière Heure haben die Daten einsehen können. Und La Dernière Heure spricht schon von einem "beängstigenden Bericht."
Auf den ersten Blick werden mitunter deutliche regionale Unterschiede sichtbar. Die auffallendste Erkenntnis ist, dass die Sterberate auf den Intensivstationen in Flandern prozentual deutlich niedriger war als in Brüssel oder der Wallonie. In Flandern sind drei von zehn Covid-Patienten auf der Intensivstation gestorben, in Brüssel und der Wallonie waren es vier von zehn - ein Drittel mehr als im nördlichen Landesteil.
Wenn man diese Zahl "roh" betrachtet, dann könnte man daraus schlussfolgern, dass die Qualität der medizinischen Versorgung in Flandern besser ist. Und die Versuchung ist bei einigen Leuten naturgemäß groß. Es war die N-VA, die vor allem Druck gemacht hatte, um die Zahlen endlich freizugeben. Und die flämischen Nationalisten lassen in der Regel keine Gelegenheit aus, um eben solche regionalen Unterschiede politisch auszuschlachten.
Rohdaten in den Kontext setzen
Der N-VA-Politiker Lorin Parys, der nach einer langen Odyssee endlich die Daten bekommen hat, versucht diesen Verdacht aber aus der Welt zu schaffen. Man sei sich durchaus dessen bewusst, dass man Rohdaten nicht alles sagen lassen dürfe und dass man diese Zahlen in ihren jeweiligen Kontext setzen müsse. Nur sollte man das auch tun, um mögliche Lehren aus der Krise zu ziehen. Denn man könne auch nichts ausschließen. Es gelte, sicherzustellen, dass die medizinische Versorgung überall gleichwertig ist. Und das scheint im Moment eben nicht der Fall zu sein. Und das bereite ihm Sorgen.
Natürlich ist nichts auszuschließen. Und doch sehe er die Veröffentlichung der Zahlen nicht gerne, sagte Manfredi Ventura, Chefarzt des Grand Hôpital von Charleroi in der RTBF. Man sollte bitte Äpfeln mit Äpfeln vergleichen und nicht mit Birnen.
Für vieles gebe es nämlich eine Erklärung. Beispiel: In der Region Charleroi seien während der ersten Welle unverhältnismäßig viele Bewohner von Alten- und Pflegeheimen in sein Krankenhaus gebracht worden. Das Risiko, dass sie die Krankheit nicht überleben würden, lag natürlich deutlich höher. Und das sei eine Erklärung für die hohe Sterblichkeitsrate in seiner Klinik, so Manfredi Ventura.
Soziologische Faktoren einbeziehen
Hinzu kämen Faktoren, die eher soziologischer Natur sind. Im Raum Charleroi leben vergleichsweise viele Menschen mit Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Atemwegserkrankungen. Und dann, eigentlich der wohl wichtigste Grund: In der Provinz Hennegau wurden mit die höchsten Fallzahlen registriert. Und das habe zur Folge gehabt, dass die Menschen, die auf die Intensivstationen verlegt wurden, wirklich nur die waren mit den schwersten Symptomen, also die wirklich diese Intensivpflege brauchten.
Allein diese Beispiele zeigen, dass eine Region, ein Krankenhaus eben nicht das andere ist. Genau das unterstrich auch in der VRT Geert Meyfroidt, Chef der Intensivmedizin an der Uniklinik Löwen. Natürlich ist es immer gut, das Ganze ausgiebig zu untersuchen, um zu schauen, ob es nicht Punkte gibt, die verbessert werden können. Hier gehe es nicht darum, einzelne Kliniken an den Pranger zu stellen, sondern man müsse nur die Lehren aus der Krise ziehen.
Roger Pint