In den letzten Tagen war deutlich Bewegung in die Verhandlungen gekommen. Am Mittwochabend hatte der CD&V-Vorsitzende Joachim Coens die Bereitschaft seiner Partei signalisiert, über eine Beteiligung an einer sogenannten "Vivaldi-" beziehungsweise "lila-grünen" Koalition zu verhandeln. Damit ließ die CD&V eine Bedingung fallen, auf die sie lange und hartnäckig bestanden hatte: dass die zukünftige Regierung auch in Flandern eine Mehrheit haben müsse, sprich: die N-VA enthalten müsse. Damit war die Tür zumindest offiziell aufgestoßen. Eine andere Überraschung: auch die frankophonen Christdemokraten CDH saßen mit am Tisch.
Die flämischen Christdemokraten verlangten aber Versicherungen, dass ihre Standpunkte mit berücksichtigt würden, Stichwort Reform des Abtreibungsgesetzes. Auch bei den anderen Koalitionspartnern in spe gab es jeweils diverse Gretchenfragen. Für die Grünen beispielsweise der Atomausstieg. Neben diesen inhaltlichen Differenzen wurde zuletzt aber wohl auch bereits über Personalien gestritten. Genauer gesagt darüber, wer in der nächsten Etappe als Regierungsbildner die Koalitionsverhandlungen führen soll und damit wohl nächster Premierminister würde. Dass solche Fragen auf dem Tisch lagen, konnte zumindest als Zeichen gewertet werden, dass es vorwärts ging.
Bis spätestens Freitag hatte König Philippe seinem Beauftragten Egbert Lachaert Zeit gegeben, um erneut Bericht zu erstatten. Und genau 467 Tage nach der Wahl waren die Nachrichten, die Lachaert dem König brachte, gut genug, um den nächsten Schritt zu wagen. Vorausgegangen waren dem Termin im Palast allerdings noch lange Verhandlungen zwischen den acht Parteien. Die dauerten bis kurz vor der Audienz. Und dabei ist es offenbar gelungen, die größten Streitpunkte zumindest für den Moment auszubügeln. Und was jetzt ebenfalls klar ist: Die CDH ist raus. Rein rechnerisch ist sie für eine Mehrheit aber auch nicht nötig.
Er habe eine gute Nachricht: Es gebe in der Tat endlich einen Durchbruch, verkündete Egbert Lachaert denn auch bei der anschließenden Pressekonferenz. Man sei zwar noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem eine Regierung eingesetzt werden könne. Aber die gute Nachricht sei eben, dass sieben Parteien zusammen an einer vollwertigen Mehrheitsregierung arbeiten wollten, zeigte sich Lachaert sichtlich erfreut.
Wer wird Regierungsbildner?
Die Frage nach dem Regierungsbildner - beziehungsweise dem wahrscheinlichen nächsten Premier - wurde durch die Entscheidung des Königs in die Zukunft verschoben. Durch seine Ernennung des Vorregierungsbildner-Duos Lachaert-Rousseau, die jetzt maximal eine Woche Zeit haben, ist hier erst einmal etwas potentieller Sprengstoff von den Schienen genommen worden.
Im Augenblick drehten sich die Verhandlungen um die Inhalte, unterstrich Lachaert. Und hier wolle man jetzt eben nach den ersten Schritten mit den echten Verhandlungen beginnen. Und man müsse eben auch einen Regierungsbildner suchen. Dafür habe man bisher keine Zeit gehabt. Es sei jetzt an den Vorregierungsbildnern, den Verhandlungsfaden nicht abreißen zu lassen und die Arbeit weitergehen zu lassen, erklärte Lachaert.
Und noch etwas stellte der OpenVLD-Vorsitzende klar: Ein Grund für die Auswahl der Vorregierungsbildner sei gewesen, dass keiner von ihnen die Absicht habe, danach Regierungsbildner zu werden, betonte Lachaert. Das dürfte seiner Meinung nach potentielle Diskussionen beruhigen, damit man in Ruhe beraten könne.
Ebenfalls interessant ist, zumindest für die Frage des zu erwartenden Zeitrahmens, dass Lachaert bestätigte, dass der 17. September, also der Tag, an dem das Vertrauen für die Regierung Wilmès ausläuft, nach wie vor eine "sehr starke Deadline" sei. Man werde das maximal Mögliche tun, um diesen Termin einzuhalten.
Allerdings, fügte Lachaert hinzu, wenn die Verhandlungen dann zum Beispiel zu 80 Prozent abgeschlossen seien, werde dieser Stichtag wohl kein allzu großes Problem darstellen. Bis dahin brauche es aber Fortschritte. Für den Moment gilt die Deadline also weiter.
Die Gretchenfragen der Verhandlungen
Insbesondere drei Punkte hatten zuletzt bei den Verhandlungen zur Bildung einer "Vivaldi"-Koalition für Sand im Getriebe gesorgt: die Reform des Abtreibungsgesetzes, der Atomausstieg und die Frage, wer der Regierungsbildner und damit vermutlich nächste Premierminister werden soll.
Ansprüche auf den Posten des Premierministers haben die flämischen Christdemokraten CD&V angemeldet. Sie würden wohl gerne Justizminister Koen Geens in der Rue de la Loi Nummer 16 sehen. Die OpenVLD will hingegen Finanzminister Alexander De Croo als Premier. Und auch Paul Magnette von der PS werden hier Ambitionen zugeschrieben.
Zwei Namen kann man aber ausschließen: Egbert Lachaert und Conner Rousseau nämlich, die frischgebackenen Vorregierungsbildner. Ein Grund zur Auswahl der Vorregierungsbildner war laut Lachaert nämlich, eben keine diesbezüglichen Pläne zu haben.
Was die Reform des Abtreibungsgesetzes angeht, hat man sich bei den Verhandlungen darauf geeinigt, dass das Dossier in der Kammer verhandelt werden soll, allerdings in Zusammenarbeit mit und nicht gegen die CD&V.
Bezüglich des Atomausstiegs erklärte Lachaert, dass das Gesetz über den Termin 2025 gelte. Allerdings müsste auch der Energiepakt respektiert werden, gerade hinsichtlich der Preise und der Versorgungssicherheit. In diesem Rahmen werde man versuchen, eine Einigung zu erzielen.
Boris Schmidt