Lange hatte Bart De Wever zu den Koalitionsverhandlungen auf föderaler Ebene geschwiegen. Eine Allianz aus den Christdemokraten und Liberalen jeweils beider Landesteile, den flämischen Sozialisten SP.A und seiner eigenen N-VA soll es ja werden – ein Szenario, das nach den Farben der Flagge des US-Bundesstaates auf den Namen "Arizona" getauft wurde.
Allerdings bestand kaum jemals ein Zweifel, dass De Wever noch sprechen würde. Und diejenigen, die darauf gewettet hatten, dass er für seinen großen Auftritt den symbolträchtigen Tag der Flämischen Gemeinschaft wählen würde, sollten Recht behalten. Ziemlich überraschend kam aber, was De Wever schließlich forderte: Wenn Parteien für ein Gesetz, das er echt schändlich finde, auf den grünen Knopf drückten, wäre es sehr schwierig, am folgenden Tag so zu tun, als ob nichts passiert wäre, so De Wever. Das sei eigentlich unmöglich, das könne nicht klappen.
Was ist also dieses Gesetz, das der N-VA-Chef so "schändlich" findet? Hier geht es um einen Text, der das Abtreibungsrecht lockern soll. Konkret: Schwangerschaftsabbrüche sollen länger möglich sein, die vorgeschriebene Entscheidungsphase verkürzt werden und Abtreibungen komplett aus dem Strafgesetz gestrichen werden.
Die Christdemokraten von CD&V und CDH, der rechtsextreme Vlaams Belang und die N-VA sind strikt gegen diese Lockerung. Allerdings galt es als ziemlich sicher, dass die Unterstützer der Reform, zu denen auch OpenVLD und MR gehörten, in der Kammer genügend Stimmen zusammenbekommen würden. Deswegen versuchen die Gegner, die Abstimmung gar nicht erst stattfinden zu lassen.
Parallel zu dieser Geschichte laufen aber eben die Regierungsverhandlungen über eine "Arizona"-Koalition unter Federführung der sogenannten "Drei Könige" Joachim Coens von der CD&V, Georges-Louis-Bouchez von der MR und Egbert Lachaert von der OpenVLD. Als die Reform des Abtreibungsgesetzes Anfang Juli zur Abstimmung kommen sollte, drohte Coens mit dem Ausstieg der CD&V aus den Verhandlungen. Um das zu verhindern, wurde der Gesetzestext, zum dritten Mal dieses Jahr, an den Staatsrat zurückgeschickt. Formell wegen Textänderungen.
Das neue Gutachten liegt inzwischen vor, theoretisch könnte also diese Woche in der Kammer abgestimmt werden. Theoretisch. Bart De Wever hat den Liberalen ja die Pistole auf die Brust gesetzt. Wenn das diese Parteien so toll fänden, dass sie auf der Basis eine Regierung mit den Sozialisten, Kommunisten und Grünen bilden könnten, dann sollten sie das eben tun, giftete der N-VA-Chef. Das werde dann eine Regierung, die in Flandern überhaupt keine Basis habe.
Bouchez reagiert gelassen
Georges-Louis Bouchez von der MR zeigte sich am Sonntag jedoch ziemlich unberührt davon. Nach drei Gutachten vom Staatsrat, zwei Debatten in der Kammerkommission und zwei im Plenum der Kammer sei es jetzt an der Zeit, abzustimmen, so Bouchez.
Von solchen Sätzen De Wevers dürfe man sich nicht zu sehr beeindrucken lassen. Es gebe einen parlamentarischen Prozess, der seinen gewohnten Weg gehe. Und wenn alle guten Willens seien, werde man auch eine Lösung finden. Außerdem gebe es in der MR bei ethischen Themen keine Fraktionsdisziplin.
Auch der Vorsitzende der OpenVLD, Egbert Lachaert, war über den Auftritt De Wevers nicht begeistert. Man habe konstruktiv mit den sechs Parteien zusammengearbeitet, um eine Mini-Regierungsvereinbarung zu entwerfen, sogar in zwei Sprachen. Das seien keine einfachen Diskussionen, und dass De Wever in diesem Augenblick seine Scud-Raketen abfeuere, das könne er ehrlich gesagt nicht gut nachvollziehen. Man sei doch auch bereit, über das Dossier Abtreibungsgesetz zu sprechen. Und bis Donnerstag sei ja auch noch Zeit, eine Lösung am Verhandlungstisch zu finden.
Lachaert: Prozedurale Trickkiste ist leer
Dass dann aber abgestimmt werden soll, steht auch für Lachaert fest. Da führe eigentlich kein Weg dran vorbei, die prozedurale Trickkiste sei leer. Allerdings bekräftigte auch er, dass in der OpenVLD jeder Abgeordnete nach seinen eigenen Überzeugungen abstimmen dürfe.
Neben dem eigenen Gewissen dürfte wohl so mancher Liberaler dann eben auch die Koalitionsverhandlungen bei einer Abstimmung berücksichtigen. Und damit ist der Ausgang schwierig vorherzusagen.
Und, so Lachaert, man wolle bis Ende der Woche dann auch wissen, ob nun eine Basis für echte Regierungsverhandlungen bestehe. Es müsse von jedem Klarheit geben, ob man der Koalition eine Chance geben wolle.
Reform des Abtreibungsgesetzes: OpenVLD hebt Fraktionszwang auf
Boris Schmidt
Die "Volksvertreter" führen sich auf wie trotzige kleine Kinder. Sie streiten sich um Kaisers Bart.
Das Problem mit der Regierungsbildung wäre ganz einfach zu lösen. Würde der König die gewählten Volksvertreter jeden Morgen um 07.00 Uhr ins Parlament zur Notsitzung "Regierungsbildung" einbestellen - natürlich wegen Corona im Vollschutzanzug mit Gasmaske, worin man mächtig schwitzen muss und würde er dann diese Sitzungen jeweils bis 18.00 Uhr dauern lassen, dann hätte Belgien innerhalb von aller spätestens einer Woche eine sehr gut funktionierende und friedlich zusammenarbeitende Koalition.
Man muss nur kreativ sein. Wenn die Sturköpfe nicht wollen, dann muss man es ihnen ein kleine wenig unbequemer machen, was angesichts der Probleme die ohne Regierung größer werden durchaus gerechtfertigt wäre.
Diese "Volksvertreter" bekommen jeden Monat einen guten Lohn, also können sie sich auch zusammen reißen und zusammen raufen. So schwer ist das nicht.