Warum eine Regierung ohne Mehrheit ersetzen durch eine Regierung ohne Mehrheit? Man darf wohl behaupten, dass sich eine solche Frage wohl nur in Belgien stellen kann. Aber, so oder so ähnlich könnte man tatsächlich die Reaktionen zusammenfassen, die CD&V und OpenVLD jetzt quasi nachgeliefert haben.
Es ist ja so: Die Vorsitzenden der beiden sozialistischen Parteien, Paul Magnette und Conner Rousseau, hatten eine Sondierungsrunde gedreht - eine "Schnüffelrunde", wie man die Initiative auch mehr oder weniger liebevoll genannt hatte. Das Fazit der roten Präsidenten: Einzig eine klassische Dreierkoalition wäre lebensfähig, die Alternative wären Neuwahlen. Hieße also: ein Bündnis aus Liberalen, Sozialisten und Christdemokraten. Das allerdings würde nur über 71 der 150 Sitze in der Kammer verfügen; nach Adam Riese eben keine Mehrheit.
Auf frankophoner Seite waren die Reaktionen noch mehr oder weniger wohlwollend, wenn auch bei der MR nicht wirklich begeistert. Die flämischen Christdemokraten und Liberalen hatten sich dagegen bislang bedeckt gehalten.
Bis zu einem, nennen wir es mal, "Koalitionsgipfel", zu dem Premierministerin Sophie Wilmès geladen hatte. Die Regierungschefin wollte zusammen mit den Spitzen der Koalition beraten, wie man denn jetzt auf die rote Initiative reagieren sollte.
Auf der Türschwelle konnte man aber schon die wahrscheinliche Windrichtung erahnen. "Naja, wir brauchen eine Koalition, die das Vertrauen des Parlaments genießt", sagte der CD&V-Vorsitzende Joachim Coens. Dafür braucht man eine Mehrheit, und die gibt es eben noch nicht.
Zustimmung vom blauen Kollegen: Ziel müsse es sein, eine Koalition auf die Beine zu stellen, die über eine Mehrheit verfügt, sagte der neue OpenVLD-Vorsitzende Egbert Lachaert.
Dreierkoalition keine Priorität
Im Anschluss an diesen "Koalitionsgipfel" gab's das dann nochmal schriftlich: "Die Option einer klassischen Dreierkoalition, wie sie die sozialistischen Parteichefs vorschlagen, genießt im Augenblick für die aktuellen Regierungsparteien keine Priorität", heißt es in einem Kommuniqué. Stattdessen würden also die Vorsitzenden von MR, CD&V und OpenVLD jetzt ihrerseits das Heft in die Hand nehmen.
Nach der Schnüffelrunde, jetzt also der Auftritt der drei Spürhunde, wäre man geneigt zu sagen. Wobei: Die Vorgehensweise ist definitiv nicht unlogisch. Die aktuelle "Rumpfregierung", die kann tatsächlich ein Ausgangspunkt sein. Das ist schon eine Frage der Kontinuität.
"Wir sind davon überzeugt, dass wir sozusagen von der politischen Mitte ausgehen sollten", sagte OpenVLD-Chef Egbert Lachaert in der VRT. "Die drei Regierungsparteien haben das Land durch diese schwierigen Zeiten gesteuert. Sie verfügen über 38 Sitze; und darauf sollte man aufbauen."
Also: Bis auf weiteres betrachten sich die aktuellen Regierungsparteien als gesetzt. Der Plan ist wohl: Man nehme eben die drei Parteien MR, CD&V und OpenVLD und die erweitert man dann solange, bis man eine Mehrheit hat. Nur, mit Verlaub, aber das hatten wir schon. Man erinnere sich an das Duo Bouchez-Coens, also die Achse MR-CD&V. Das Resultat kennen wir. Gut, möglich ist, dass Corona die Linien verschoben hat, aber die Ergebnisse der roten Schnüffelrunde scheinen nicht wirklich darauf hinzudeuten.
Büchse der Pandora geöffnet
Notfalls eben eine Minderheitsregierung, hörte man dann auch schon MR-Chef Georges-Louis Bouchez sagen. Aber, es gebe da ja nicht nur eine mögliche Variante. Die von den Sozialisten vorgeschlagene Option sei nicht die einzig denkbare.
Genau das hatte die Zeitung De Standaard quasi schon vorausgeahnt. "Die Sozialisten könnten da eine Büchse der Pandora geöffnet haben", schrieb die Zeitung. Die doch kreative Idee einer "relativen Mehrheit", die ist auch auf andere Formeln anwendbar, z.B. auf eine Neuauflage der Schwedischen Koalition aus der derzeitigen Rumpfregierung plus N-VA. Die hätte zwar auch keine "richtige" Mehrheit, aber das scheint ja nicht mehr so wichtig zu sein.
Naja, er wolle jedenfalls, dass wir zum Nationalfeiertag am 21. Juli wenigstens mal den Beginn einer Perspektive haben, sagte Bouchez. Bei diesem Schwebezustand dürfe es nicht bleiben.
Roger Pint