Neun Gesundheitsminister - die Zahl klingt so aberwitzig, dass der eine oder andere wohl schon an einen Druckfehler geglaubt hat. Aber, es gibt sie tatsächlich. Neun Minister, die in irgendeiner Weise mit der Thematik Gesundheit befasst sind. Grund ist natürlich, dass die Gesundheitspolitik zersplittert ist. Ganz grob gerafft: Auf der föderalen Ebene gibt es Maggie De Block, dann sind die Gemeinschaften für einige Bereiche zuständig, für andere dann auch nochmal die Regionen. In der Region Brüssel braucht man dann nochmal für jede Sprachgruppe einen.
Das führt mitunter zu Situationen, die Franz Kafka fast noch blass aussehen lassen. Ein oft gehörtes Beispiel ist die Geschichte mit den Krankenwagen: Wer nach einem Unfall ins Krankenhaus gefahren wird, der liegt in einer "föderalen" Ambulanz. Wenn aber ein Patient von einer Klinik zu einer anderen transportiert wird, dann ist der Krankenwagen plötzlich Gemeinschaftsmaterie.
Kafkaesk - Diesen Begriff nahm auch Margot Cloet in der VRT in den Mund. Sie ist Geschäftsführerin von Zorgnet Icuro, einem großen Dachverband von Pflegeeinrichtungen in Flandern. Im Moment sei jeder für alles "so ein bisschen zuständig". Das hat eben gerade in diesen Corona-Zeiten zu kafkaesken Zuständen geführt: In ein und derselben Einrichtung gelten manchmal andere Regeln, je nachdem, in welcher Abteilung man sich befindet. Bis dahin sind sich im Grunde auch alle einig - bis hin zur Premierministerin Sophie Wilmès: "Wir haben jetzt nochmal erkennen müssen, dass die Zuständigkeiten äußerst zersplittert sind", sagte Wilmès in der VRT. "Und das geht nicht!".
Doch ist diese Feststellung in einem Land wie Belgien nicht das Ende, sondern eher der Anfang der Diskussion. An der Frage, wie man das Problem denn nun lösen könnte, daran scheiden sich nämlich die Geister. Da gibt es nämlich im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, die aus dem Ganzen eine ideologische Frage machen. Grob gesagt: Entweder man zentralisiert alles wieder auf der föderalen Ebene - was also bedeuten würde, dass gewisse, um nicht zu sagen alle Gesundheitszuständigkeiten wieder an den Föderalstaat zurückübertragen würden. Oder, man macht das Gegenteil: Alles an die Teilstaaten. Margot Cloet von Zorgnet Icuro plädiert für diese zweite Option: Man sollte die komplette Gesundheitspolitik an die Regionen übertragen. Und wieso die Regionen und nicht die Gemeinschaften? Wohl um zu vermeiden, dass in Brüssel zwei Systeme nebeneinander existieren müssten.
Angst vor Aufspaltung der Sozialen Sicherheit
Ob nun das eine oder das andere: Diese Forderung ist politisch heikel. Auf frankophoner Seite gibt es dafür wohl keine Mehrheit. Im südlichen Landesteil hat man Angst vor einer Aufspaltung der Sozialen Sicherheit. Eine vollständige Regionalisierung der Gesundheitspolitik würde da wohl als ein neuer Schritt in diese Richtung betrachtet.
In Flandern sieht die Sache anders aus. Bei N-VA und Vlaams Belang gibt es kein Vertun: "Je mehr Zuständigkeiten für Flandern, desto besser". Auch bei der CD&V sähe man die Gesundheitspolitik lieber auf der flämischen Ebene angesiedelt. Er glaube jedenfalls nicht an Rückübertragungen, sagte der CD&V-Vizepremier Koen Geens in der VRT. Das wäre rückwärtsgewandt und nicht zielführend.
Das sehen nicht alle flämischen Parteien so. Die Grünen und auch die Liberalen etwa schließen gleichermaßen Rückübertragungen an den Föderalstaat nicht aus. Im Gegenteil, sie plädieren häufig sogar dafür. Nur: Beides würde letztlich eine Staatsreform nötig machen. Und das braucht Zeit. "Zeit, die wir im Moment aber nicht haben", warnte Premierministerin Sophie Wilmès. Jetzt müsse erstmal die Wiederbelebung der Konjunktur im Mittelpunkt stehen.
Davon abgesehen habe man auch versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Wenn wir - mit den Herren Jambon, Di Rupo, Vervoort und Paasch - alle beschließen, zusammenzuarbeiten, dann kann das Ganze funktionieren. Das sei auch ein gutes Zeichen für das Land.
Roger Pint
Streiten und Staatsreformen sind "die" zwei Lieblingsbeschäftigungen der belgischen Politiker. Denn die Sache lohnt sich. Am Ende gibt es genug Beute zu verteilen, dh "schöne Pöstchen" für alle Parteisoldaten. Nach dem Motto "aus einz wird drei". Auf Kosten der Steuerzahler. Mittlerweile ist die Sache so verzwickt, dass selbst Experten nicht immer schlau werden aus der belgischen Staatsstruktur, diesem Kraut-und-Rüben-Föderalismus eigener Prägung.