14. Oktober im vergangenen Jahr: Die Ecolo-Co-Vorsitzende Zakia Khattabi stellt sich zu vorgerückter Stunde vor ihre Anhänger ans Mikrofon und sagt folgende Worte: "Die grüne Welle ist da. Zwar liegen noch nicht alle Ergebnisse vor, aber man kann schon sagen: Heute haben die Grünen die Wahlen gewonnen."
Ähnlich könnte es laut Umfragen auch am 26. Mai klingen: Denn die grüne Welle ist immer noch da. Wahlprognosen sehen Ecolo vor Rekordergebnissen. Mit plus-minus 20 Prozent sowohl in der Wallonie als auch in Brüssel könnte es sein, dass Ecolo sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der PS um Platz eins im frankophonen Landesteil liefert. Zusammen mit den flämischen Grünen von Groen könnte die Partei vielleicht sogar Teil der stärksten Fraktion im Föderalparlament werden.
Dort ist Ecolo seit Anfang der 1980er Jahre regelmäßig vertreten. Zwischen 1999 und 2003 waren die Grünen sogar an der Föderalregierung beteiligt, sackten bei der darauffolgenden Wahl aber mit erdrutschartigen Verlusten wieder ab. Ecolo im Jahr 2019, das steht vor allem für eine andere Politik als diejenige, die bisher geführt wurde. "Im Herzen des Wandels" heißt der Ecolo-Slogan für die Wahlkampagne.
Die Prioritäten dieser Kampagne hätten die Grünen zusammen mit ihrer Basis festgelegt, wie Jean-Marc Nollet, zweiter Co-Vorsitzender von Ecolo, der Aufzählung dieser Prioritäten vorausschickt. Diese sind im Einzelnen: "Sieben Milliarden Euro Investitionen bis 2024 in eine umweltfreundliche Mobilität, ein vielfältiges Nahrungsangebot mit Qualitäts- und Saisonprodukten, isolierte Häuser, um die Kosten zu senken, und eine neue Raumordnung."
Die Prioritäten machen deutlich: Ganz klassisch stellt Ecolo die Umweltpolitik ins Zentrum. Die Forderung nach einem Klimagesetz, in dem konkrete Ziele festgeschrieben werden, um den Klimawandel zu bekämpfen, steht als erster Punkt ganz oben in dem Wahlprogramm.
Andere Beispiele: Schließung aller Atomkraftwerke bis 2025, eine Steuer auf Kerosin, um den Flugverkehr an den Kosten der verursachten Umweltschäden zu beteiligen, der mittelfristige Verzicht von Pestiziden in der Landwirtschaft.
Dem Auto als umweltschädliches Verkehrsmittel sagt Ecolo den Kampf an. Das aktuelle System der Firmenwagen soll abgeschafft werden, die Menschen sollen dafür das Geld in bar bekommen.
Neue Straßen sollen nicht mehr gebaut werden, dafür viele Fahrradwege. Und der öffentliche Verkehr soll mit den eben genannten sieben Milliarden Euro Investitionen so gestaltet werden, dass man überall, auch in entlegenen ländlichen Gebieten schnell und einfach öffentliche Transportmittel nutzen kann. "Das Projekt der Grünen ist es, alle Alternativen zum Auto zu stärken", fasst Nollet zusammen.
Gesellschaftspolitisch will Ecolo das Wahlalter auf 16 Jahre senken, das Wahlrecht für Ausländer erweitern, lokale Währungen fördern, um lokale Wirtschaftskreisläufe zu unterstützen.
Der Mindestlohn soll auf 14 Euro brutto die Stunde steigen, jeder Bürger eine Mindestrente von 1.500 Euro netto im Monat bekommen. Eine Reichensteuer von ein bis 1,5 Prozent will Ecolo, ähnlich wie die PTB, für alle Bürger einführen, die mehr als eine Million Euro besitzen.
Politische Mandate sollen nur zweimal erneuert werden dürfen. Mehrere Mandate gleichzeitig soll kein Politiker ausüben. Denn, so begründet Nollet: "Alle Skandale, die wir erlebt haben - Publifin, Kasachgate, Samusocial - haben gezeigt, dass wir grundsätzlich etwas anders machen müssen in unserem demokratischen System."
Ecolo musste in den vergangenen Wochen viel Kritik an seinen Wahlvorhaben einstecken. Kritik, auf die die Partei nicht immer souverän reagierte. Inwieweit das Auswirkungen auf die Größe der grünen Welle haben wird, die sich für Sonntag abzeichnet, wird erst der Wahlabend mit Sicherheit zeigen.
Kay Wagner