"Bedauerlich, dass uns die Briten zum x-ten Mal sagen, was sie nicht wollen - aber nicht, was sie wollen". Frust spricht aus den Worten des amtierenden Premierministers Charles Michel. Und da ist er nicht der Einzige.
In der EU haben viele richtiggehend die Nase voll von dem britischen Schleuderkurs in Sachen Brexit. Angefangen bei denen, die in den letzten zwei Jahren mit den Verhandlungen befasst waren. "Es ist alles gesagt", hört man aus Kreisen der EU-Delegation.
Der EU-Verhandlungsführer Michel Barnier sprach am Vormittag im EU-Parlament erneut mahnende Worte: "Die Lage ist ernst. Wir waren einem No-Deal noch nie so nahe. Die Gefahr eines solchen ungeordneten Austritts sollte man nicht unterschätzen - und auch nicht die potentiellen Folgen."
Noch ist es nicht so weit. Es wird erwartet, dass das britische Parlament Mittwochabend auch einen No-Deal ablehnen wird. Und dann folgt am Donnerstag die dritte und letzte Abstimmung dieser politischen Woche in London. Dabei wird das Unterhaus entscheiden müssen, ob man einen Aufschub beantragt. Ein entsprechendes Gesuch müsste die britische Premierminister Theresa May dann in der kommenden Woche den EU-Kollegen bei einem Gipfel in Brüssel vorlegen.
Keine Formalität
Nur müssen die diesem Aufschub dann auch noch zustimmen. "Und das ist keine Formalität", hört man da schon aus diversen Hauptstädten. Auch die belgische Regierung will den Briten hier keinen Blankoscheck ausstellen.
Man sei natürlich nicht prinzipiell gegen einen Aufschub, sagte etwa Außenminister Didier Reynders in der VRT. Nur stelle sich die Frage: "Aufschub, um was zu tun?" Die Briten müssten den Antrag zumindest begründen. Und da erwarte man schon, dass London dann auch Perspektiven aufzeigt, Hinweise darauf gibt, was man mit der zusätzlichen Zeit zu tun gedenkt. Ohne die Aussicht auf eine wirkliche Lösung mache es doch eigentlich keinen Sinn, das Ganze noch weiter in die Länge zu ziehen.
"Der Ball ist jetzt jedenfalls im Lager der Briten", sagt auch Charles Michel. "Und nochmals: In erster Linie sollten uns Regierung bzw. Parlament in London endlich mal sagen, was sie wirklich wollen. Ich habe den Eindruck, dass wir eigentlich nicht mehr Zeit brauchen. Nein, wir brauchen jetzt Entscheidungen, wir brauchen Weichenstellungen."
Neuverhandlungen ausgeschlossen
"Neuverhandlungen über einen Deal sind jedenfalls ausgeschlossen", sagt Außenminister Didier Reynders. "Die Roten Linien von gestern sind die Roten Linien von morgen. Was man allerdings machen kann: Man könnte dem Abkommen noch eine Reihe weiterer interpretativer Texte beifügen, also etwa eine gemeinsame Erklärung, die den Inhalt des Abkommens noch klarer darlegt und einordnet. Nach dem Vorbild dessen, was man auch bei CETA gemacht hat", sagt Reynders.
Dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada hatte man nach dem Nein aus der Wallonie auch eine "interpretative" Note angehängt, die einige als zu vage empfundene Passagen noch einmal klar ausformulierte.
Ob das den Briten reicht? Fraglich. "Wir wissen, dass ein No-Deal nicht mehr auszuschließen ist", sagt Reynders. "Und Belgien bereitet sich auch schon auf ein solches Szenario vor. Ein ungeordneterer Ausstieg der Briten ist zwar nicht wünschenswert, man muss sich dennoch darauf einstellen."
No-Deal-Unfall
Vielleicht geschieht ja das, wovor insbesondere Chefunterhändler Michel Barnier schon von Anfang an gewarnt hat: Ein No-Deal, der quasi wie ein Unfall zustande kommt. Das Szenario für einen solchen Unfall kursiert inzwischen sogar in Sozialen Netzwerken. Demnach sollen britische Brexit-Hardliner Kontakt mit dem italienischen Innenminister Salvini von der rechtsextremen Lega-Partei aufgenommen haben. Sie sollen Italien darum gebeten haben, einen Aufschub abzulehnen.
Ob es stimmt? Die Gerüchte zeigen nur, dass der belgische EU-Parlamentarier Guy Verhofstadt recht hatte, als er im EU-Parlament sagte: "Die Brexit-Befürworter haben immer damit geworben, dass Großbritannien 'die Kontrolle zurückbekommen müsse'. Nun, eben diese Kontrolle hat man gerade verloren."
Roger Pint