Noch haben wir eine Regierung, aber viele Beobachter würden keinen Pfifferling darauf verwetten, dass das Ende der Woche immer noch so ist. Am Dienstagnachmittag musste man erstmal den Eindruck haben, als hätte man das alles geträumt.
In der Plenarsitzung ging's erstmal um den Klimaschutz. Einige Parlamentarier stellten Fragen an Premier Charles Michel über die belgische Haltung bei der Klimaschutzkonferenz in Kattowitz. Premier Michel antwortete brav, und man musste nicht den Eindruck haben, dass da ein Regierungschef spricht, der ausgezählt ist. Den Premier über die zukünftige Haltung seiner Regierung zum Klimaschutz reden zu hören, war schon ein bisschen absurd. Im Grunde taten also alle so, als gebe es die Krise eigentlich gar nicht.
Dabei fiel allerdings doch auf, dass sich der Premier doch von der N-VA distanziert hat, in dem Sinne, dass er angekündigt hat, dass die Regierung verspricht, die belgischen Klimaschutzziele nun doch anzuheben. Man spürte deutlich, dass der Bruch zwischen den ehemaligen Koalitionspartnern vollzogen ist.
Um 15:40 Uhr wurde man dann doch wieder in die Realität zurückgeholt. Erst haben sich die Abgeordneten mit Fragen und Interpellationen an den Premierminister gewandt. Erst kam Kristof Calvo für Groen ans Rednerpult. Und der verlangte natürlich erstmal eine entschlossenere Klimaschutzpolitik. Außerdem sollte die Regierung von ihrer Reform des Arbeitslosengeldes absehen, also die ominöse Degressivität. Außerdem fordern die Grünen eine humanere Asylpolitik. Und Calvo machte klar: "Herr Premierminister: Entweder, Sie nehmen die ausgestreckte Hand und Sie suchen ernsthaft die Zusammenarbeit mit uns, oder, wir sehen uns gezwungen, einem Misstrauensantrag zuzustimmen."
Die Sozialisten haben natürlich ein rotes Preisschildchen angehängt an eine mögliche Unterstützung der Regierung. Und dieser Preis ist ziemlich hoch. PS und SP.A verlangen eine regelrechte Kehrtwende. Verzicht auf die Degressivität, Senkung der Mehrwertsteuer auf Strom von 21 auf sechs Prozent. Und dann soll die Regierung auch noch die Erhöhung des Rentenalters auf 67 zurücknehmen und eine Reichensteuer einführen. In erster Linie forderte die SP.A-Fraktionsvorsitzende aber Klarheit.
Beide, Groen und die SP.A, wollten erstmal abwarten, was der Premierminister sagt. Beide haben also erstmal die Tür nicht gleich zugeschlagen.
Bei den flämischen Oppositionsparteien ging's also in erster Linie noch um den Inhalt. Die Frankophonen waren aber deutlich emotionaler. Da ging es tatsächlich erst noch mal ganz klar um die Tatsache, dass Michel vier Jahre lang mit der N-VA regiert hat. Beispiel: die CDH-Fraktionsvorsitzende Catherine Fonck. Die forderte auch zunächst eine Kehrtwende, eine insgesamt sozialere und humanere Politik. Dann erinnerte sie aber auch nochmal mit scharfen Worten daran, dass die orange-blaue Regierung bis vor Kurzem noch mit der N-VA im Boot saß, einer Partei, die Belgien zerstören will, einer Partei, von denen einige Mitglieder keinen Hehl aus ihren Sympathien für Kollaborateure gemacht haben. Beweisen Sie, dass Sie mit der N-VA gebrochen haben, wandte sich Fonck sinngemäß an den Premier.
Gleiche Töne von Ahmed Laaouej von der PS: "Sie haben sich mit der N-VA in ein Boot gesetzt", wandte sich Laaouej an den Premier, "einer Partei, die Sie, Herr Michel, auch noch als Marionette missbraucht haben. Sie, Herr Premierminister, Sie haben die N-VA-Minister trotz aller Provokationen und Attacken gewähren lassen. Und dann haben Sie sich letzte Woche auch noch bei der N-VA bedankt. Einfach nur empörend", sagt Laaouej. Die Kritik des PS-Fraktionschefs war schlicht und einfach vernichtend. Er verlangte eine radikale Kehrtwende der Politik der Regierung.
Und auch Georges schlug in die Kerbe. Nach dem Motto also: Wer vier Jahre mit der N-VA regiert hat, ist der wirklich bereit, auf die Oppositionsfraktionen zuzugehen?
Erstmal haben die Oppositionsfraktionen also alte Rechnungen beglichen. Auf frankophoner Seite verzeiht man es dem Premier nach wie vor nicht, dass er eine Koalition mit der N-VA eingegangen ist. Aber spätestens da konnte man doch den Eindruck haben, dass die Sozialisten und wohl auch die CDH, wohl nur sehr schwer zu überzeugen sein werden, diese Regierung zu unterstützen.
Noch am Dienstagabend dürfte sich entscheiden, ob die Opposition auf das Angebot des Premiers eingeht oder ob doch ein Misstrauensantrag gestellt wird.
Roger Pint