Der Abschuss eines russischen Kampfjets im türkisch-syrischen Grenzgebiet wird heute von einigen belgischen Tageszeitungen kommentiert.
Es gibt viele Gründe, diesen Zwischenfall zu relativieren, so De Standaard. Es war offensichtlich, dass die zahlreichen Parteien, die im Syrienkrieg involviert sind, früher oder später zusammenstoßen. Der Vorfall zeigt, wie gefährlich eine Welt ist, in der unterschiedliche Interessen und ein Überfluss an Kriegswaffen an einem Ort aufeinandertreffen. Voraussetzung für den Frieden ist, dass jeder einen kühlen Kopf bewahrt. Sarajewo liegt vorerst noch nicht in Syrien, aber kleine Ursachen können große Folgen haben, mahnt De Standaard.
Die Zeitung L'Echo geht auf die Rolle des türkischen Präsidenten ein. Erdogan will in der Region eine Rolle spielen. Konkret: eine kurdische Nation verhindern und Baschar al-Assad, den syrischen Präsidenten, loswerden. Um das zu erreichen, hat Ankara die Augen vor den Machenschaften des Islamischen Staats verschlossen, um nicht zu sagen ihn passiv unterstützt. Und jetzt, auch wenn Moskau etwas vorsichtiger hätte sein können, schießt die türkische Luftabwehr ein russisches Flugzeug ab, das den IS bekämpft. Weltkriege haben schon aus nichtigeren Gründen begonnen. Das Nato-Mitglied Türkei spielt mit dem Feuer. Mit seinem Schnellschuss könnte Ankara eine Region in Brand setzen, meint L'Echo.
Putin und Erdogan - beide gehen für alten Glanz über Leichen
Het Nieuwsblad schreibt: Putins Reaktion war scharf. Er beschuldigte die Türkei, mit den Terroristen mitzuheulen. Mit dem, was Putin sagt, muss man immer vorsichtig sein, so die Zeitung. Aber ganz Unrecht hat er nicht. Die Türkei hat 20.000 ausländischen Syrienkämpfern keine Steine in den Weg gelegt, als sie sich auf den Weg ins Kalifat gemacht haben. Das Land hat vom Ölhandel mit dem IS profitiert. Und in der Türkei ist die Sympathie für die Terrororganisation in manchen Kreisen unverhohlen. Wenn die türkischen Luftstreitkräfte bombardieren, sind meistens die Kurden das Ziel. Der IS ist für die Türkei, im Gegensatz zur westlichen Allianz, keine Priorität. Alle involvierten Parteien haben in Syrien ihre eigene Agenda, stellt Het Nieuwsblad fest.
Het Belang van Limburg sieht mit Putin und Erdogan zwei ähnliche Herrscher sich gegenüberstehen. Beide wollen um jeden Preis den alten Glanz ihres Landes wiederherstellen. Und gehen dabei buchstäblich über Leichen. Beide haben ihre eigene Agenda im Hexenkessel Syrien. Russland unterstützt das Assad-Regime und hatte dabei eher die bürgerlichen Rebellen als den IS im Visier. Jedenfalls bis zu dem Tag, als der IS ein russisches Passagierflugzeig über dem Sinai in die Luft jagte. Die Türkei schloss sich erst in diesem Sommer der Anti-IS-Koalition an, hatte aber viel mehr die PKK im Visier als den IS. Der Aufruf von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstag zu Ruhe und Deeskalation war berechtigt. Denn sowohl beim russischen als auch beim türkischen Präsidenten kann gekränkter Stolz unvorhersehbare Folgen haben, meint Het Belang van Limburg.
Mithilfe marokkanischer Spione in Molenbeek aufräumen?
De Morgen kommentiert die Bitte von König Philippe an die marokkanischen Geheimdienste, Belgien bei der Bekämpfung des Terrors zu helfen. Auf den ersten Blick scheint das logisch und notwendig. Die marokkanischen Geheimdienste sind für ihre Effizienz bekannt und verfügen über ein gigantisches Budget. Dass sich die Zusammenarbeit mit ihnen lohnen kann, wurde vergangene Woche deutlich, als marokkanische Spione die französischen Ermittler zu der Wohnung von Topterrorist Abdelhamid Abaaoud führten.
Falls ein Tipp aus Marokko belgische Polizisten zum Versteck von Salah Abdeslam führt, dann werden nur wenige zu fragen wagen, ob es nicht merkwürdig ist, dass der belgische König marokkanische Spione darum bitten muss, in Molenbeek aufzuräumen. Auch wenn die marokkanischen Geheimdienste auf hohem Niveau arbeiten, so haben sie doch einen üblen Ruf. Einschüchterung, Bedrohung und Verletzung der Privatsphäre betrachten sie eher als nützliches Instrument denn als unzulässige Praxis. De Morgen rät daher dazu, unsere eigene Staatssicherheit mit arabischsprechenden Mitarbeitern oder solchen mit Migrationshintergrund auszustatten.
"Keep calm and carry on"
La Libre Belgique greift die derzeitige Stimmung im Lande auf und gibt auf ihrer Titelseite einen Ratschlag: "Keep calm and carry on". Sinngemäß: Bleiben Sie ruhig und machen Sie weiter. Mit dieser Parole hatte die englische Regierung während des Zweiten Weltkriegs ihre Bevölkerung unterstützen wollen. Ja, so die Zeitung, wir müssen vorsichtig bleiben. Doch das alles soll uns nicht davon abhalten, das zu sein, was wir sind: freie Bürger. Lasst uns wieder anfangen zu leben. Es ist Zeit, zu feiern, den dunklen Zeiten den Rücken zu kehren.
Wir müssen unsere Lebensenergie wiederfinden, unsere Lust zu lieben, zu reisen, zu entdecken. Es wird höchste Zeit, diese Angst aus unseren Herzen und aus unseren Köpfen verschwinden zu lassen. Umarmt und liebt eure Frauen, Männer und Kinder. Öffnet eure besten Flaschen, teilt sie mit euren Freunden oder Nachbarn. Hört die Musik, die ihr liebt. Es ist Zeit, sich frei zu machen, zu lachen, zu trinken, zu tanzen, zu lieben. Kurzum: Macht alles das, was die barbarischen Terroristen verachten und ablehnen. Make love, not war.
Volker Krings - Illustrationsbild: ALexander Kots (afp)