"Schwarzer Sonntag in Frankreich?", fragt L'Echo auf Seite eins. "Wie weit rückt Frankreich nach rechts?", formuliert De Morgen ebenfalls eine Frage in seinem Aufmacher. "Frankreich droht unregierbar zu werden", warnt La Libre Belgique auf seiner Titelseite.
Am Sonntag findet die zweite Runde der vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich statt. Die rechtsextreme Partei Rassemblement National könnte dabei die absolute Mehrheit der Sitze erreichen.
Le Soir behauptet in seinem Leitartikel: Sonntag finden in Frankreich keine Wahlen statt. Sonntag gibt es in Frankreich ein Referendum. Eine Volksabstimmung für oder gegen die extreme Rechte an der Macht. Denn es geht längst nicht mehr um Inhalte wie man es sonst von Wahlen erwartet. Es geht nicht um das Renteneintrittsalter, die Höhe der Energierechnung oder andere inhaltliche Dinge. Sondern es geht um Grundsätzliches. Es geht um die Zukunft der Ausländer, der Bürger mit doppelter Staatsbürgerschaft, Bürger mit ausländischen Wurzeln. Es geht um die Zukunft der Frauen, der LGBT+-Gemeinschaft, der Moslems, der Juden. Und es geht auch um die Zukunft der Europäischen Union. Darum geht es am Sonntag, betont Le Soir.
Unterscheiden zwischen den Extremen
La Libre Belgique stellt fest: In mehreren Wahlbezirken können sich die Wähler nur zwischen einem Kandidaten des rechtsextremen Rassemblement National und der linkspopulären Partei von Jean-Luc Mélenchon entscheiden. Für viele Wähler, die normalerweise bürgerlich-konservativ oder Parteien aus der Mitte wählen, sind solche Kandidaten eigentlich nicht wählbar. Diese Wähler könnten die Tendenz haben, nicht abzustimmen. Doch das wäre fatal. Denn zwischen beiden Extremen gibt es sehr wohl Unterschiede. Der Rassemblement National könnte die absolute Mehrheit erreichen. Der linke Block um Mélenchon nicht. Deshalb muss zwischen beiden Übeln das Kleinere gewählt werden. Auf den Trümmern der Wahlen können die Zentrumsparteien dann mit den Linken schauen, wie man wieder etwas aufbauen kann, dass einer Demokratie würdig ist, rät La Libre Belgique.
La Dernière Heure überlegt: Sollte die Partei von Marine Le Pen am Sonntag gewinnen und in der Lage sein, eine Regierung zu bilden, muss sie natürlich auch das Personal dafür stellen. Das wäre sicher schwierig, wenn man bedenkt, dass einige ihrer Kandidaten schon Probleme haben, das eigene Parteiprogramm zu verstehen. Die Gefahr droht, dass eine Regierung aus Kasperlefiguren gebildet wird, die davon überzeugt sind, dass die Kaufkraft am besten dadurch geschützt wird, dass man die Grenzen schließt. Sonntag könnten wir den Niedergang der französischen Demokratie erleben. Traurig, wenn man bedenkt, dass Frankreich die Wiege der Aufklärung ist, bedauert La Dernière Heure.
Hin zu Europa, weg von Europa
De Morgen vergleicht die Situation in Frankreich mit der in Großbritannien und stellt fest: In beiden Ländern gab es vorgezogene Neuwahlen. In beiden Ländern sind die bisherigen Machthaber von den Wählern abgestraft worden. Trotzdem gibt es Unterschiede. In Frankreich herrscht jetzt politisches Chaos. In Großbritannien nicht. In Frankreich kann sich schon jetzt die Rechtsextreme als Gewinner fühlen, die Briten haben der traditionellen Linken eine absolute Mehrheit verschafft. Frankreich droht sich von Europa abzuwenden. In Großbritannien können wir das Gegenteil erwarten. Was für eine verrückte Welt, schüttelt De Morgen den Kopf.
Das GrenzEcho bemerkt: Die Wahl eines sozialdemokratischen Premierministers in Großbritannien steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu den aktuellen politischen Trends in Europa. Während viele europäische Länder von einer Welle des Rechtspopulismus erfasst werden, haben sich die Wähler auf der Insel dafür entschieden, dem Mitte-Links-Flügel mit einem überragenden Wahlergebnis eine Chance zu geben. Das zeigt, dass Wähler die Macht haben, ihrer ungeliebten Regierung einen gewaschenen Denkzettel zu verpassen, ohne Rechtsextremisten und Antidemokraten den Weg zur Macht zu bereiten, beobachtet das GrenzEcho.
Ein Drittel reicht für zwei Drittel
De Standaard allerdings meint: Das Ergebnis in Großbritannien trügt. So überragend, wie viele glauben, ist der Sieg von Labour nicht. Die Partei hat mit nur einem Drittel der Stimmen zwei Drittel der Sitze im britischen Unterhaus gewonnen. Das Wahlsystem in Großbritannien macht das möglich und es verschleiert, dass in vielen Wahlbezirken die Labour-Kandidaten nur deshalb gewonnen haben, weil die Konservativen Wähler verloren haben an die Rechtspopulisten von Nigel Farage. Außerdem haben viele nicht unbedingt für Labour gestimmt, sondern einfach nur gegen die Konservativen, unterstreicht De Standaard.
Het Belang van Limburg kommentiert zum Vorschlag von MR-Chef Georges-Louis Bouchez, seine MR mit der flämischen Open VLD zu verschmelzen: Verständlicherweise zeigen Politiker der Open VLD Bouchez die kalte Schulter. Von dieser "feindlichen Übernahme" wollen sie nichts wissen. Und das ist verständlich, denn Bruder und Schwester sind MR und Open VLD nicht. Zwar nennen sich beide liberal, aber ideologisch ist die MR viel weiter rechts als die Open VLD. Auch in ethischen Fragen ist die MR viel konservativer als die Open VLD. Genug Gemeinsamkeiten, um eine Partei zu werden gibt es nicht, hält Het Belang van Limburg fest.
Kay Wagner