"Der Vlaams Belang ist historisch stark in den Umfragen", titelt De Standaard. "Der Vormarsch des Vlaams Belang scheint nicht zu stoppen zu sein", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. Und Het Laatste Nieuws schreibt Klartext: "Der Vlaams Belang steht in einer Umfrage bei fast 28 Prozent".
Der rechtsextreme Vlaams Belang hat nach wie vor offensichtlich den Wind in den Segeln. In der neuesten Umfrage von VRT und De Standaard erreicht die Partei 27,8 Prozent. Das wäre ein Plus von fast zehn Prozent im Vergleich zur letzten Wahl. Große Verliererin ist die nationalistische N-VA. "Die N-VA sackt zum ersten Mal unter die Schwelle von 20 Prozent", titelt Gazet van Antwerpen. Mit nur noch knapp 19 Prozent liegt die Partei von Bart De Wever fast sechs Prozent unter ihrem Ergebnis bei der Wahl 2019.
Die Wachablösung kommt!
Es ist zwar "nur" eine Umfrage, aber der Vlaams Belang scheint doch auf dem Weg hin zu einer totalen Dominanz zu sein, konstatiert De Standaard besorgt in seinem Leitartikel. Wir werden hier quasi live die Zeugen einer Wachablösung und dabei geht es schnurstracks in die Hände von politischen Extremisten. Anderthalb Jahrzehnte lang war die N-VA das Maß aller Dinge, sie setzte die Themen und sie baute auch immer wieder ihre Drohkulissen auf. Das eigentlich Radikale bei der N-VA war ihre Einstellung zur Macht. Selbst, wenn sie an Regierungen beteiligt war, betrachtete die Partei von Bart De Wever das nicht als ihr eigentliches Ziel. Ministerposten waren allenfalls eine Etappe auf dem Weg hin zu einer verfassungsrechtlichen Zeitenwende. Für Bart De Wever zählte nur sein großes konföderales Projekt. Der Punkt ist: Dazu ist es nie gekommen. Parallel dazu hat die N-VA mit ihren apokalyptischen Visionen über Migration ihre eigenen Wähler in die Arme des Vlaams Belang getrieben. Das politische Zentrum ist bei alledem leergelaufen. Für die Demokratie ist das Ganze nicht weniger als eine Sonnenfinsternis. Bis zur Wahl sind es noch 100 Tage. Es werden 100 historische Tage sein.
Vom Elektroschock zum Erdbeben
"Was muss noch passieren, damit die traditionellen Parteien endlich aufwachen?", fragt sich sinngemäß La Libre Belgique. Man hat es doch längst kommen sehen. Schon vor einem Jahr zeigten Umfragen einen Höhenflug der extremistischen Kräfte: Der Vlaams Belang in Flandern und die PTB in der Wallonie. Und schon vor einem Jahr machte der Begriff "Elektroschock" die Runde. Doch was ist passiert? Nichts ist passiert! Die föderale Vivaldi-Koalition verlor sich weiterhin in politischen Spielchen, die Parteien warfen sich gegenseitig Knüppel zwischen die Beine und rollten auf diese Weise dem Vlaams Belang den roten Teppich raus. Und das Resultat sehen wir jetzt. Der Elektroschock von 2023 entwickelt sich auf gefährliche Weise zu einem Erdbeben.
Kurs auf eine politische Blockade
Die demokratischen Parteien sollten jetzt jedenfalls mal dringend in sich gehen, empfiehlt auch La Dernière Heure. Sollten sich die Umfragen bewahrheiten, dann dürfte sich nämlich die Bildung einer Regierung als noch komplizierter erweisen, als sie es ohnehin schon ist. Kurz und knapp: Je weniger Parlamentssitze die Demokraten erobern können, desto mehr Parteien braucht man, um eine Regierung zu bilden. Die Gretchenfrage lautet aber: Warum wird der Vlaams Belang so stark? Ist es nur, weil er den Menschen das Blaue vom Himmel verspricht? Oder ist es ein Zeichen dafür, dass sich die Bevölkerung radikalisiert? Oder sind die Wähler einfach nur der Ansicht, dass die demokratischen Parteien ihre Arbeit nicht tun? Der eine oder die andere sollte sich vielleicht mal in Frage stellen.
Wir steuern jedenfalls geradewegs in eine politische Blockade, orakelt De Tijd. In Flandern geht der rechtsextreme Vlaams Belang durch die Decke, im frankophonen Landesteil gibt die marxistische PTB den Ton an. Und das politische Zentrum ist zersplittert und wird immer kleiner. Hinzu kommt: Das zentrale Wahlkampfthema ist die Migration. Bis zu einem gewissen Punkt mag das berechtigt sein. Nur darf nicht der Eindruck entstehen, dass Migration das allumfassende Unheil ist, das sämtliche andere Probleme nach sich zieht. Wir stehen nämlich noch vor ganz anderen Herausforderungen, allen voran dem abgrundtiefen Haushaltsloch. Und vor allem darüber werden wir in diesem Wahlkampf sprechen müssen. Denn auf einem wirtschaftlichen Friedhof kann man nichts aufbauen.
Luftgewehrchen in der Bananenrepublik
Währenddessen geht aber das politische Schmierentheater munter weiter, kann Het Belang van Limburg nur kopfschüttelnd feststellen. Die ausklingende Woche steht da exemplarisch. So ungefähr alle Parteivorsitzenden haben ihre Lieblingsfeinde persönlich angegriffen. Jeder hat da offensichtlich nur die Likes und Herzchen in sozialen Netzwerken vor Augen. 100 Tage vor der Wahl ist der politische Betrieb in diesem Land zu einer Schießbude verkommen, an der ängstliche Politiker und wütende Bürger Schlange stehen, um ihre Luftgewehrchen leer zu ballern. Bei alledem muss man sich doch nicht mehr darüber wundern, dass die Menschen unzufrieden sind, gar ihr Vertrauen in die Politik und in die Demokratie insgesamt verlieren.
Die verbale Massenschlägerei vermittelt jedenfalls den Eindruck, dass wir in einer Bananenrepublik leben, in der nichts, aber wirklich rein gar nichts funktioniert. Zugegeben: Wir stehen vor enormen Herausforderungen. Und natürlich läuft auch nicht alles wirklich in die richtige Richtung. Aber mal ehrlich: Kennen Sie so viele Länder, in denen man besser wohnen, arbeiten oder leben kann? Wo Wohnungen, Unterrichtswesen und Gesundheitsversorgung so zugänglich und qualitativ hochwertig sind? Wo Freiheit und Kreativität so selbstverständlich sind? Ums mal mit der 19-jährigen Anna Roos zu sagen, der frischgebackenen Vorsitzenden des flämischen Jugendrates - "Wenn man unzufrieden ist, dann gibt es nur einen Weg, die Dinge zu verändern: Mann muss zur Wahl gehen". Ihr Wort in Gottes Ohr.
Roger Pint