"Die Passivität der SNCB bei der Deportation von Juden", titelt Le Soir. "Die SNCB verdiente Millionen mit Judentransporten", so die Schlagzeile von De Standaard. Das GrenzEcho spricht vom "Dunklen Erbe der SNCB".
Im Senat ist am Freitag eine Studie vorgestellt worden, die die Rolle der nationalen Eisenbahngesellschaft SNCB bei der Deportation von Juden und Roma im Zweiten Weltkrieg beleuchtet. Die Untersuchung zeigt, dass die SNCB 25.257 Juden und 351 Roma nach Auschwitz-Birkenau transportiert hat. Dafür stellte die SNCB rund 50 Millionen belgische Franken in Rechnung. "Wir haben die Menschen direkt in den Tod transportiert und wir haben dafür auch noch Geld bekommen", so fasst es einer der Forscher auf Seite eins von De Standaard zusammen.
Geschichte begreifen und aus ihr lernen
Die Recherchen der Historiker lassen einen erschaudern, meint Le Soir nachdenklich in seinem Leitartikel. Vier Pfennig pro Person und pro gefahrenen Kilometer, das war der Tarif, der für die Sonderzüge galt, mit denen die SNCB die belgischen Juden in die Vernichtungslager transportierte. Zwar wusste man schon, dass die belgische Bahn einen Beitrag zur Deportation von Juden und Roma geleistet hatte, die Forscher haben jetzt aber auch die Entscheidungsprozesse und Arbeitsabläufe ausgeleuchtet. Das Fazit: Die damalige SNCB-Direktion hat sich schlichtweg keine Fragen gestellt. Es war eine Mischung aus Routine, Ignoranz und Vogel-Strauß-Politik. Es war ein Akt des Gehorsams: Man ging davon aus, dass das besiegte und besetzte Belgien keine andere Wahl hatte, als mit Nazideutschland zu kooperieren. Mobilitätsminister Georges Gilkinet schlägt nun vor, diese historischen Recherchen noch zu vertiefen. Denn gerade jetzt sehen wir ja ein Wiederaufflammen des Antisemitismus. Geschichte lebt schließlich, sie beschäftigt sich eben nicht nur mit der Vergangenheit, sondern ist auch in der Gegenwart verankert.
Apropos: La Libre Belgique beschäftigt sich in ihrem Leitartikel mit dem geplanten Marsch gegen Antisemitismus, der am Sonntag in Brüssel stattfinden soll. Wir leben doch in einer verqueren Welt, steht doch im Zusammenhang mit dieser so nötigen Kundgebung mehr die damit verbundene Polemik im Vordergrund als das eigentliche Thema. Das ist wirklich sehr bedauerlich. Ausgerechnet in diesem Zusammenhang wird die Polarisierung noch einmal auf die Spitze getrieben. Die einen verweigern ihre Teilnahme, um zu vermeiden, dass sie sich auf derselben Kundgebung befinden wie ihre politischen Gegner - das gilt etwa für die PTB. Andere empfinden den Marsch als eine Unterstützung der Politik der israelischen Regierung oder der radikalen Siedler. Humanistische Werte verdienen mehr als solche ideologischen Verrenkungen.
Schlechte Arbeitsmoral befeuert Politikfrust
Einige Leitartikler beschäftigen sich mit einem Vorfall bei der letzten Plenarsitzung der Kammer am vergangenen Donnerstagabend. Eine wichtige Abstimmung konnte am Ende nicht stattfinden, weil das sogenannte Quorum nicht erfüllt war. Heißt also: Die erforderliche Mindestanzahl an Abgeordneten war nicht anwesend.
So etwas macht die Menschen wütend, ist Gazet van Antwerpen überzeugt. Oder besser gesagt: Ein solcher Vorfall macht die Bürger noch wütender als sie es ohnehin schon sind. Laut einer neuen Umfrage hegen vier von zehn Befragten einen regelrechten Groll auf die Politik. Und jetzt muss also eine Parlamentssitzung abgebrochen werden, weil zu viele Abgeordnete fehlen. Otto Normalverbraucher verdreht da die Augen, denn er kann eben nicht mal eben selbst entscheiden, ob er nun zur Arbeit geht oder doch unentschuldigt blaumacht. Einige Parlamentarier fordern jetzt strengere Strafen für Schwänzer. Diese Debatte sollte schnellstens geführt werden. Denn Vorfälle wie der am Donnerstag sind Nährboden für Antipolitik.
Für einen Bruttolohn von knapp 8.500 Euro könnte man sich doch eigentlich mal aus seinem Sessel erheben, giftet auch Het Laatste Nieuws. Man kann Abgeordnete vielleicht nicht dazu zwingen, kluge Anmerkungen zu machen oder sich konstruktiv an Debatten zu beteiligen. Das Mindeste, was man erwarten kann, das ist aber, dass sie anwesend sind. Und eigentlich geht’s hier gar nicht in erster Linie ums Geld. Nein! Es handelt sich um Volksvertreter, die die Bürger darum gebeten haben, ihnen ihre Stimme und damit ihr Vertrauen zu geben. Damit sie anstelle ihrer Wähler auf den Abstimmknopf drücken können. Wer unentschuldigt fehlt, der zeigt einen flagranten Mangel an Respekt seinen Wählern gegenüber. Beinahe noch schlimmer ist es aber, dass das Parlament die Abwesenheitszahlen unter Verschluss hält. Die Bürger haben doch ein Recht darauf zu wissen, ob sie im Parlament effektiv vertreten werden.
Auf Seite eins von De Standaard prangt derweil ein Foto der griechischen EU-Parlamentarierin Eva Kaili, die ja eine Schlüsselrolle im EU-Korruptionsskandal gespielt haben soll. Die Affäre kam vor genau einem Jahr ans Licht. "So funktioniert Korruption", schreibt De Standaard auf Seite eins. Das Blatt versucht zu rekonstruieren, wie genau Eva Kaili agiert hat.
Hooligans bestrafen friedliche Fans
Einige frankophone Zeitungen beschäftigen sich ihrerseits mit den Nachwehen des Achtelfinalspiels im Fußball-Landespokal zwischen dem RSC Anderlecht und Standard Lüttich. Ausschreitungen der Lütticher Fans hatten zu einem zwischenzeitlichen Spielabbruch geführt. Mit Blick auf das Meisterschaftsspiel zwischen beiden Mannschaften am Sonntag hat die Direktion von Standard Lüttich jetzt entschieden, dass den eigenen Fans der Zutritt zum Stadion verwehrt werden soll.
Diese Entscheidung zerstört eigentlich die Magie des Fußballs, beklagt La Dernière Heure. Denn hier werden alle Fans bestraft, auch die richtigen, die zivilisierten. Aber so traurig es auch ist, angesichts der Bilder vom Donnerstagabend hatte man wohl keine andere Wahl. Der zwölfte Mann gehört beim Fußball dazu; aber er hat eben keine Narrenfreiheit.
Der Fußball gehört den Fans, er lebt von ihnen. Aber gewalttätiger Fanatismus ist durch nichts zu entschuldigen, meint L’Avenir in seinem Kommentar. Sitzschalen herauszureißen und diese dann auf gewöhnliche Zuschauer zu werfen, darunter Kinder und Menschen mit Beeinträchtigung, das ist absolut inakzeptabel. So kann es nicht weitergehen. Doch was soll man dagegen unternehmen? In Frankreich denkt man schon darüber nach, Spiele künftig ohne die Fans der Gästemannschaften auszutragen. "Macht noch ein bisschen so weiter! ", wendet sich L’Avenir an die Hooligans. "Dann seht ihr bald nur noch Fußball im Fernsehen. Meinetwegen mit Sturmhaube auf dem Sofa".
Roger Pint