"Parlamentsmitglieder schnallen den Gürtel enger bei umstrittenen Pensionen", so der Aufmacher von De Tijd zur gestrigen Entscheidung des flämischen und des föderalen Parlaments, kontroverse Sonderregelungen für die eigene Rente abzuschaffen. "Bald keine Boni mehr für pensionierte Abgeordnete: Parlamentarier umgehen Pensionshöchstgrenze auf ganz legalem Weg", liest man im Innenteil des GrenzEchos. "Die Pensionsboni für föderale Abgeordnete werden abgeschafft. Diese Boni existieren aber auch in der Wallonie…", legt La Libre Belgique den Finger in die offene Wunde im südlichen Landesteil, nachdem die flämische und föderale Ebene ja wie gesagt bereits gehandelt haben.
Nein, nicht alle Politiker wollen sich nur die eigenen Taschen füllen, hält Het Belang van Limburg in seinem Leitartikel fest. Aber sie scheinen in letzter Zeit wirklich alles tun zu wollen, um dieses populistische Klischee zu bestätigen. Und zum x-ten Mal sind sie allein schuld an dem Schlamassel. Viele Menschen in Belgien träumen von so einer komfortablen Rente, wie sie unsere Parlamentarier theoretisch bekommen. Aber doch war das den Politikern nicht genug, durch ein Hintertürchen wurde der schon üppige Betrag noch um 20 Prozent aufgestockt. Und unsere viele hundert Volksvertreter fanden das offenbar über Jahre vollkommen normal. Niemand hat sich Fragen gestellt, warum sie solche Extras bekommen haben, während die Bevölkerung den Gürtel immer enger schnallen musste. Und all das, während sie es noch nicht einmal auf die Reihe bekommen haben, das Rentensystem zu reformieren, um es bezahlbar zu machen. Wieder einmal war die Devise: Nach uns die Sintflut, wettert Het Belang van Limburg.
"Warum?"
Und diese Menschen sollen unser Pensionssystem reformieren, verdreht auch Gazet van Antwerpen die Augen. Mit welchem Recht wollen sie, die bis gestern noch breit die großzügigen Sonderregelungen für sich selbst zuließen, über die finanzielle Altersversorgung der Bürger verhandeln? Das ist einfach nur zynisch!
De Morgen hat nur eine einzige Frage: Warum? Warum haben die Abgeordneten gedacht, sich so etwas erlauben zu können? Die einfache Antwort lautet: Weil es möglich war. Aber selbst, wenn wir die juristische Frage mal ausklammern, bleibt die moralische: Warum? Aus Weltfremdheit? Haben sie einfach nicht begriffen, wie privilegiert sie schon waren im Vergleich zur restlichen Bevölkerung? Oder war es Eigendünkel, hielten sie sich einfach für etwas so Außergewöhnliches, dass sie noch Sonderzahlungen verdient hatten? Oder muss man nicht doch den Begriff Raffgier in den Mund nehmen? Offenbar ist doch Druck von außen nötig, um anständig zu bleiben, empört sich De Morgen.
Die Katastrophe war vorprogrammiert, kommentiert Het Laatste Nieuws, die Menschen im Land werden der Politik nun mit noch mehr Ekel und Misstrauen begegnen, der Druck auf dem Kessel steigt und steigt. Die Abgeordneten, die sich vor Kurzem noch über die Pensionsboni für ehemalige Vorsitzende und Spitzenbeamte der Kammer ereifert haben, haben, wie sich nun herausgestellt hat, selbst Dreck am Stecken. Das Ganze unterstreicht auch, wie sehr eine externe Kontrolle nötig ist und wie wenig die Abgeordneten über ihre eigenen Statute Bescheid wissen – wenn man den Beteuerungen Glauben schenken will, dass sie von nichts gewusst haben. Sie haben nicht nur der Institution Parlament geschadet, sondern auch dem Vertrauen der Menschen in die eigene Altersvorsorge. Solange Politiker die Latte für sich selbst tiefer legen als für die Bürger, werden sie ihren verdienten Lohn bekommen, warnt Het Laatste Nieuws: Misstrauen und Unzufriedenheit.
Den roten Teppich ausgerollt
Viele Politiker begreifen trotz der heftigen Reaktionen noch immer nicht, welchen enormen Schaden sie da angerichtet haben, beklagt Het Nieuwsblad. Nicht nur, was das Vertrauen in die Politik angeht, sondern in die Demokratie allgemein. Jahrelang sind sie gewarnt worden, welche Folgen ihre Selbstbedienungsmentalität haben wird, dass sie das irgendwann einholen wird. Wieder und wieder ist angemahnt worden, dass externe Experten, nicht die Politiker selbst, festlegen müssen, wie viel sie verdienen und wie hoch die Spesen sein dürfen. So wie es in anderen Ländern schon der Fall ist. Im nächsten Juni, nach den Wahlen, brauchen sie jedenfalls wirklich nicht zu jammern über die Politikverdrossenheit der Menschen. Denn der haben sie selbst den roten Teppich ausgerollt, giftet Het Nieuwsblad.
De Tijd wirft ein, dass man trotz all der berechtigten Empörung und der notwendigen Anpassung der Regelungen aufpassen muss, das Kind nicht mit dem Bad auszuschütten: Man sollte nicht ausblenden, dass Politiker mit einem guten Teil ihres Gehalts auch ihre Parteien mitfinanzieren. Zu denken, dass kostengünstigere Abgeordnete automatisch besser für die Demokratie wären, ist ebenfalls ein populistischer Trugschluss – ein Armutsgelübde ist keine Garantie für eine bessere Politik. Das ändert aber natürlich nichts daran, dass diejenigen, die von den Wählern zu ihren Vertretern gemacht worden sind, jeden Tag beweisen müssen, dass sie diese Ehre auch verdienen. Dazu gehört auch Transparenz über die Bezüge und eine deutliche Botschaft bezüglich der Pensionsobergrenze, betont De Tijd.
Die vielen Probleme des belgischen Einzelhandels
Die Leitartikel der frankophonen Zeitungen beschäftigen sich hingegen vor allem mit der geplanten Umstrukturierung beim Handelskonzern Colruyt. Der hat angekündigt, sechs seiner DreamLand- und Dreambaby-Filialen zu schließen und 192 von 1.100 Arbeitsplätzen der Spielzeug- und Kinderartikel-Ketten abzubauen.
Zuerst Delhaize, nun Colruyt, schreibt etwa La Dernière Heure. Und niemand weiß, ob es danach nicht weitergehen wird. Für die Menschen, die im Handel arbeiten, ist das ein neuer, furchtbarer Schock. Es gibt viele Ursachen für die Probleme des belgischen Einzelhandels: Zunächst gibt es einfach schon zu viele Geschäfte. Dann ist da noch die Konkurrenz durch Supermärkte und Discounter. Hinzu kommen die hohen Lohnkosten in Belgien. Und schließlich darf man auch nicht vergessen, dass das Verhalten der Konsumenten eine entscheidende Rolle spielt: Wenn sie auch nur ein bisschen sparen können, bestellen sie Geschenke und Co. eben bei den großen Internethändlern und bekommen die Ware auch noch innerhalb kürzester Zeit frei Haus geliefert. Damit schaden sie natürlich, wenn auch ohne bösen Willen, den lokalen Händlern. Das müssen wir uns mehr denn je bewusst machen, fordert La Dernière Heure.
Boris Schmidt