"Empfangen wie ein Rockstar", schreibt Het Nieuwsblad zum Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Brüssel. "'Wir verteidigen uns, wir verteidigen euch'", macht De Morgen ein Zitat aus der Rede Selenskyjs vor dem Europäischen Parlament zu seinem Aufmacher. "Selenskyj fordert im Herzen Europas mehr Waffen und eine schnellere Lieferung", fasst L'Avenir zusammen. "Selenskyj will von Europa Kampfflugzeuge", heben L'Echo und De Tijd hervor. "Zurück nach Hause mit mehr Umarmungen als Düsenjägern", unterstreicht aber Het Laatste Nieuws.
Und plötzlich war das Gesicht des Krieges hier bei uns, kommentiert Le Soir: Man konnte gar nicht anders als zutiefst berührt zu sein beim Anblick dieses Mannes, dessen Volk seit bald einem Jahr in einem Albtraum lebt, als er im Europäischen Parlament emotional der Hymne seines Landes lauschte. Selenskyj weiß, dass die Flamme der europäischen Solidarität zwar weiterbrennt, dass sie aber auch am Leben erhalten werden muss. Das ist der Zweck seiner anstrengenden Europa-Tour. Und er wird die europäische Politik, die ihn so herzlich empfangen hat, auch an ihre gestern gegebenen Versprechen erinnern – denn mehr als Worte und Emotionen zählen letzten Endes ganz konkret und grundsätzlich Waffen und Geld, so Le Soir.
Mehr Unterstützung für die Ukraine
"Wir verteidigen unser europäisches Haus", hat Selenskyj vor den Europaabgeordneten gesagt, erinnert La Libre Belgique. Und er hat Recht: Die Zukunft Europas wird vom Schicksal der Ukraine abhängen. Nur ihr Sieg über das Regime Wladimir Putins kann den Fortbestand unserer demokratischen Werte garantieren, unserer Freiheit, unserer Lebensweise. Die westliche Unterstützung hat es der Ukraine bislang erlaubt, ihre Niederlage zu verhindern. Aber sie erlaubt noch nicht diesen notwendigen Sieg, unterstreicht La Libre Belgique.
In letzter Zeit beginnt man eine gewisse Unterstützungsmüdigkeit zu spüren, meint L'Echo. Liegt es daran, dass wir uns so an den Krieg gewöhnt haben, dass er keine Emotionen mehr in uns auslöst? Oder hat die russische Propaganda gewirkt? Tatsache ist jedenfalls, dass der Krieg weitergeht, die Russen rücken wieder vor. Es wäre ein schwerer Fehler, die Ukraine fallen zu lassen, denn das ganze Land kämpft für die Demokratie und für Europa. Eine Niederlage würde eine sehr dunkle Zukunft für den Kontinent bedeuten. Deswegen ist es überlebenswichtig, die finanzielle, militärische und humanitäre Unterstützung nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern zu erhöhen, fordert L'Echo.
Putin kann nie gewinnen
Jeden Tag, den dieser Krieg andauert, werden wir weiter in einen Konflikt hineingezogen, den wir uns nicht ausgesucht haben, schreibt De Tijd. Und die Diskussionen über weitere Unterstützung werden auch nicht mit den Kampfflugzeugen enden. Aktuell sind drei Szenarien vorstellbar: Erstens ein sich hinziehender Krieg, in dem sich die Frage stellen wird, wie lange und stark die europäische Unterstützung bleiben wird. Zweitens ein Sieg der Ukraine, dann müsste die EU im Anschluss mit Russland verhandeln, um künftige Invasionen zu verhindern. Und drittens der totale Schock, ein Sieg Russlands. Eines ist aber so oder so klar: Die Zukunft wird von einer brutalen Geopolitik gekennzeichnet sein, die ganz und gar nicht in der DNA der Europäischen Union liegt, warnt De Tijd.
Neue europäische Waffenlieferungen werden in jedem Fall zu spät kommen, um die russische Offensive im Osten der Ukraine zu verhindern, stellt Gazet van Antwerpen fest. Aber die stärker werdende militärische Hilfe Europas macht immer klarer, dass Putin diesen Krieg nie gewinnen kann. Je weiter er geht, desto größer wird die Unterstützung werden. Und die Bilanz Putins ist schon jetzt negativ: Abertausende tote russische Soldaten, eine schrumpfende Wirtschaft, europäische Staaten, die ihre Verteidigungsausgaben erhöhen wie seit sehr vielen Jahren nicht mehr. Die größte Niederlage Putins ist aber vielleicht, dass die Europäische Union zeigt, dass sie in Krisenzeiten stärker als je zuvor zusammenhalten kann, ist Gazet van Antwerpen überzeugt.
Flüchtlingspolitik: Lösungen statt Spielchen
Die Leitartikel befassen sich aber auch mit der Flüchtlingspolitik, die neben der Ukraine das zweite große Thema des gestrigen EU-Sondergipfels war: Mindestens die Hälfte der 27 Mitgliedsstaaten findet, dass Europa für den Bau eines Grenzzauns zwischen Bulgarien und der Türkei zahlen sollte, hält Het Laatste Nieuws fest. Ein Vorhaben, das auch beim belgischen links-grünen politischen Spektrum schon zu Schnappatmung führt. Was die Grünen aber offensichtlich ignorieren, ist, dass es diese Zäune an Europas Außengrenzen schon gibt und weitere längst geplant sind. Ob der Bau von Mauern und Zäunen sinnvoll ist oder nicht, darüber kann diskutiert werden. Aber klar ist, dass dringend etwas getan werden muss: 924.000 Asylanträge sind im vergangenen Jahr in Europa gestellt worden – die höchste Zahl seit 2016. Und nichts weist darauf hin, dass dieser Zustrom schnell abnehmen wird. In vielen Mitgliedsstaaten sind die Auffangzentren mittlerweile überfüllt, und auch unsere Unterrichtswesen und Sozialsysteme geraten dadurch immer stärker unter Druck. Die Grünen mögen noch so oft "Trump" schreien, wenn jemand eine Grenze durch einen Zaun schützen will. Aber was ist denn ihre Alternative? Wollen sie etwa einfach klarere Asylregeln an ein Schild nageln?, giftet Het Laatste Nieuws.
Ob nun eine Mauer, ein Drahtzaun, eine Kamera, eine Zugangspforte, ein Grenzwächter oder eine Drohne – eigentlich macht das nicht wirklich einen Unterschied, findet Het Belang van Limburg. Am Flughafen Zaventem gibt es genauso bewachte Stücke der europäischen Außengrenzen wie am Hafen von Zeebrugge. Anstatt sich an irgendwelchen Symbolen festzuklammern, sollten die europäischen Politiker sich lieber mit deutlicheren Regeln für die Migration befassen. Eine physische Mauer um den ganzen Kontinent ist letztlich sowieso unmöglich. Hier wären pragmatische Absprachen zwischen Mitgliedsstaaten doch viel effizienter. Wenn in einem Land mehr Asylsuchende ankommen, ein anderes mehr aufnimmt, dann ist das ein Ungleichgewicht. Jeder zweite Mensch, der in Belgien um Asyl bittet, hat das vorher schon woanders getan. Selbst Personen, denen in anderen Ländern schon Asyl gewährt worden ist, haben in Belgien aktuell noch ein Recht auf Aufnahme und Unterbringung. Anomalien, die man abschaffen könnte. Aber dazu müssten die Politiker mit ihren Spielchen aufhören und statt Innenpolitik zu betreiben nach internationalen Lösungen suchen, wettert Het Belang van Limburg.
Boris Schmidt