"Alles verloren", titelt Het Laatste Nieuws. "Unermessliches Elend", so die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen. "Gerettet und doch allein auf der Welt", schreibt Het Nieuwsblad.
Auf vielen Titelseiten sieht man heute das Foto desselben Mannes: Er sitzt in seiner orangefarbenen Leuchtjacke vor den Trümmern seines Hauses, neben ihm ragt ein Teil eines Bettes aus dem Schutt heraus, sein Blick ist leer, er hat offensichtlich alles verloren. "Mit dem Mut der Verzweiflung", so die begleitende Schlagzeile von De Standaard. Und zu allem Überfluss: "Widrige Bedingungen erschweren die Rettung", titelt das GrenzEcho. "Und wohin mit den Obdachlosen?", fragt sich sinngemäß La Libre Belgique.
"B-Slow"
Aus dem Katastrophengebiet erreichen uns herzzerreißende Bilder, meint nachdenklich Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Manchmal gibt es aber auch kleine Wunder: Wie etwa die Rettung eines neugeborenen Mädchens, das in Syrien lebend aus den Trümmern geborgen werden konnte. Ihre Eltern haben die Katastrophe leider nicht überlebt. Während für die Türkei die internationale Hilfe in Gang gekommen ist, sieht es für Syrien allerdings nach wie vor düster aus. Die verheerenden Erdbeben sind für die Bewohner eigentlich nur ein neues Unheil während einer schon andauernden Katastrophe. Ein zwölfjähriges Kind hat in Syrien nur Krieg gekannt. Und Machthaber Baschar al-Assad spielt sein gewohnt zynisches Spiel. Er weigert sich, die Grenzen zu öffnen, um humanitäre Hilfe ins Land zu lassen. Man könnte ja seinen Widersachern helfen. Das kleine Mädchen wurde gerettet. Aber wo ist die Hoffnung in dieser Misere?
Immerhin: "Die internationale Hilfe organisiert sich", bemerkt Le Soir auf Seite eins. "Und auch erste belgische Helfer machen sich auf den Weg in die Türkei", schreibt L'Echo.
Die belgische Notrettungseinheit hört eigentlich auf den Namen B-Fast, "fast" steht für schnell. Man sollte diesen Namen vielleicht mal ändern, giftet Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Früher genoss die Einheit international einen sehr guten Ruf. Die Such- und Rettungsteams wurden aber von der Regierung Michel I zusammengestrichen. Resultat: Jetzt gehören die Belgier zu den Letzten, die in einem Katastrophengebiet eintreffen. Man vergisst aber häufig, dass das nicht nur für Katastrophen im Ausland gilt. Bei der tödlichen Flut in der Wallonie war von B-Fast weit und breit nichts zu sehen.
Das Haushaltsloch schrumpft
Le Soir sieht das ähnlich. Die belgische Nothilfe wurde regelrecht kaputtgespart. Klar: Belgien wird ein großes Feldlazarett in das Katastrophengebiet schicken. Es ist also nicht so, als passiere da gar nichts. Hinter vorgehaltener Hand äußern Zivilschützer und Katastrophenmediziner aber scharfe Kritik. Vor allem die Umstrukturierung des Zivilschutzes unter dem damaligen N-VA-Innenminister Jan Jambon habe der belgischen Nothilfe einen quasi tödlichen Schlag versetzt. Vorbei also die Zeit, in der sich belgische Rettungsteams internationale Anerkennung verdienten.
Ganz andere Geschichte auf Seite eins von L'Echo und De Tijd: "Bessere Wachstumszahlen verkleinern das Haushaltsloch um sieben Milliarden Euro", titeln beide Wirtschaftszeitungen. Weil die Wirtschaft der Krise besser standgehalten hat als ursprünglich befürchtet, belief sich das Haushaltsdefizit im vergangenen Jahr "nur" noch auf vier Prozent, statt den ursprünglich prognostizierten 5,3 Prozent.
"Flamen arbeiten, Wallonen genießen"
Diesen budgetären Silberstreifen sollte man aber nicht überbewerten, mahnt L'Echo in seinem Leitartikel. Ein Haushaltsdefizit von vier Prozent ist immer noch viel zu viel und auf Dauer nicht tragbar. Die gute Neuigkeit ändert jedenfalls nichts an der Tatsache, dass wir den Gürtel werden enger schnallen müssen. Da denkt man zuallererst an die längst überfällige Rentenreform, die die Überlebensfähigkeit des Systems endlich sichern soll. All das scheint man aber auf der linken Seite des politischen Spektrums noch nicht verstanden zu haben.
Dazu passt die Polemik um eine provokative Aussage von PS-Chef Paul Magnette. Der hatte in einem Interview gewitzelt, dass die Flamen immer nur hart arbeiteten, während die Wallonen eben lieber das Leben genießen. "Ist das denn so falsch?", fügt Magnette herausfordernd hinzu.
Gazet van Antwerpen fühlt sich an Heinrich Bölls Parabel vom Fischer und vom Manager [Anm. der Redaktion: Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral] erinnert. Grob gerafft: Der Manager will den Fischer davon überzeugen, zu expandieren, um irgendwann von den Früchten seiner Unternehmung leben zu können. Der Fischer ist aber glücklich und bleibt bei seinem alten Leben. "Warum sollte man Glück auf später verschieben?", fragt sich auch Magnette. In Flandern fielen die Reaktionen erwartungsgemäß vernichtend aus. Und zu Recht!, meint das Blatt. Die Wirtschafts- und Haushaltsdaten der Wallonie sind regelrecht katastrophal. Und jedes Jahr fließen Milliarden von Norden nach Süden. Kann man da noch entspannt in der Sambre fischen gehen?
Der Humor von Paul Magnette
Magnettes Aussagen sind kontraproduktiv, meint auch De Tijd. Eigentlich ist doch das erklärte Ziel, überall in diesem Land die Beschäftigungsrate auf 80 Prozent zu bringen. Die Wallonie dümpelt im Moment bei 65 Prozent. Magnettes Aussagen tragen nicht wirklich dazu bei, dass sich das verbessert. Um das nochmal klarzumachen: Das eine schließt das andere nicht aus. Zu arbeiten bedeutet nicht, dass man nicht gleichzeitig auch das Leben genießen kann. Wenn Magnette seine Aussage nach eigenen Worten als Witz gemeint hat, nun, dann war es ein deplatzierter.
Es war vor allem ein kalkulierter Witz, analysiert De Standaard. Der Aufschrei in der flämischen öffentlichen Meinung war zu erwarten und genau deswegen auch genau so gewollt. Es war eine bewusste Provokation, denn auch Magnette weiß, dass das Manna nicht vom Himmel fällt. Indem er mit Klischees jongliert, treibt der PS-Chef die Gegensätze zwischen Flamen und Frankophonen auf die Spitze. Bezwecken will der damit allein, dass sich die politische Auseinandersetzung auf zwei Parteien zuspitzt: Die N-VA und die PS. Indem sie sich gegenseitig beharken, machen sich beide Parteien gegenseitig größer – auf Kosten der Konkurrenz.
Roger Pint