"Nach 45 Tagen heißt es 'Bye bye Liz Truss'", schreibt De Standaard auf seiner Titelseite. "Noch nie war ein britischer Premierminister schneller wieder weg", heißt es auf Seite eins bei Het Belang van Limburg. "Truss lässt Briten im Chaos zurück", titelt De Morgen.
Der gestern erfolgte Rücktritt der britischen Premierministerin Liz Truss ist heute das vorherrschende Thema in den Leitartikeln der Zeitungen.
La Libre Belgique stellt fest: Seit dem Beschluss der Briten, aus der EU auszutreten, sind mittlerweile vier Premierminister zurückgetreten. Alle vier hatten den Menschen versprochen: Ohne EU wird es besser laufen. Augenscheinlich klappt das nicht. Und so wird es auf absehbare Zeit auch bleiben. Keiner britischen Regierung wird es mittelfristig gelingen, das Vereinigte Königreich besser dastehen zu lassen als zu der Zeit, als es Teil der EU war. Sich darin zu verbeißen, das Gegenteil zu behaupten, wird nur zu weiterem Frust, Scheitern und chronischer politischer Instabilität führen. "It's the Brexit, stupid!", endet auf Englisch der Leitartikel von La Libre Belgique.
De Tijd analysiert: In den sechs Wochen ihrer Amtszeit hat Liz Truss die Glaubwürdigkeit der britischen Politik auf einen absoluten Tiefpunkt gebracht. Das Vertrauen in die britische Politik ist weg. Als Grund dafür kann man durchaus den Brexit nennen. Die politische Instabilität ist seitdem größer geworden und die Wirtschaft ist ins Wanken geraten. Vorgezogene Neuwahlen sind das einzige Mittel, um eine Kehrtwende zu bringen, glaubt De Tijd.
Der lange Schatten von Margaret Thatcher
De Standaard rechnet vor: Zwölf Jahre sind die Konservativen in Großbritannien mittlerweile an der Macht. Das ist zu lang, wie die Krisen der letzten Zeit zeigen. Die Partei droht zu implodieren. Liz Truss hatte versucht, mit einem Big Bang neuen Schwung in die Gesellschaft zu bringen. Ihr Misserfolg hat gezeigt, dass das keine gute Idee war. Das Mini-Budget, das sie ihren Finanzminister Kwasi Kwarteng hatte vorstellen lassen, hat das finanzielle und wirtschaftliche System an den Rand des Abgrunds geführt. In der Politik sind Reformen stets besser als Revolutionen, behauptet De Standaard.
Het Nieuwsblad schreibt: Nach dem Rücktritt von Truss besteht natürlich die Hoffnung, dass es unter einem Nachfolger besser wird. Das ist aber alles andere als sicher. Wenn ohne Neuwahlen wieder ein konservativer Politiker Premierminister wird, wird es ähnlich weitergehen wie in den vergangenen Jahren. Die führenden Köpfe der britischen Konservativen stehen alle noch im geistigen Erbe von Margaret Thatcher. Sie ist und bleibt das große Vorbild, dem es nachzueifern gilt. Auch von einem konservativen Nachfolger von Truss wird kaum etwas anderes als ein ultraliberaler Kurs erwartet werden können, obwohl so ein Kurs gerade krachend von den Märkten abgestraft wurde, prophezeit Het Nieuwsblad.
Politik als Fernsehshow
Le Soir hebt noch einen anderen Aspekt hervor und führt aus: Was bei der ganzen Geschichte rund um Truss vor allem auffällt, ist, mit welcher Arroganz hier mit Macht umgegangen worden ist. Truss hat den Anschein erweckt, dass es für sie ein Spiel ist, Premierministerin zu sein. Eine Art Fernsehshow, wo man einfach mal etwas versuchen kann, ohne dass das schwerwiegende Konsequenzen haben könnte. Gleichsam so, als ob die Boris Johnsons, Trumps und all die anderen Populisten einen neuen politischen Standard geprägt hätten, bei dem man einfach mal ein paar Entscheidungen treffen kann, sie mit dem verbalen Mäntelchen "im Interesse des Landes" bekleidet, und wenn sie nichts bringen, ist man schnell wieder weg. So als ob das alles nicht ernst zu nehmen sei, schimpft Le Soir.
Die Wirtschaftszeitung L'Echo beschäftigt sich mit Autos und berichtet: Jetzt passiert das, was wir alle schon geahnt haben. Chinesische Autos drängen mit Macht nach Europa. Das sind vor allem Elektro-Autos, die den Vorteil haben, preislich überaus attraktiv zu sein. Europa muss Acht geben, dass es nicht auch die Autoindustrie an die Chinesen verliert, warnt L'Echo.
Anders als im Mittelalter
Das GrenzEcho kommt auf den Streik am Flughafen Charleroi zurück und stellt fest: Für die Wallonische Region war die turbulente Woche wie eine Ironie des Schicksals. Sie hat an "ihrem" Regionalflughafen die Devise "je billiger, umso besser" auf die Spitze getrieben und wurde nun von einem Subunternehmen ausgebremst. Ein klassischer Fall der Geister, die man berufen hat und dann nicht mehr los wird. Der aktuelle Arbeitskampf wird allerdings nichts an der zweifelhaften wallonischen Discounter-Politik ändern, die in Gosselies unter großem Einsatz von Steuergeldern verfolgt wird, ist sich das GrenzEcho sicher.
La Dernière Heure meldet, dass der MR-Politiker Jean-Luc Crucke sich einer Krebsoperation unterziehen lassen wird. Die Zeitung kommentiert: Im Mittelalter galt der Körper des Herrschers als sakral, als heilig. Heute haben Politiker keine Probleme damit, über ihre Gebrechen zu sprechen. Dadurch gewinnen sie an Menschlichkeit, und anders als im Mittelalter steigert das oft ihre Popularität, stellt La Dernière Heure fest.
Kay Wagner