"Eine radikale Neoliberale wird neue britische Premierministerin", titelt De Morgen. "Liz Truss betritt ihren neuen Amtssitz in 10 Downing Street durch die Hintertür", so die Schlagzeile von L'Echo. "Die Skepsis über die neue britische Premierministerin ist groß", schreibt De Tijd auf Seite eins.
Die bisherige britische Außenministerin Liz Truss ist von den Mitgliedern ihrer Partei zur Nachfolgerin von Boris Johnson benannt worden. Le Soir listet die Herausforderungen auf, die auf die neue Premierministerin warten. Und das sind viele. Denn: Neben der allgemeinen Energiekrise wird Großbritannien auch noch von den Brexit-Folgen gebeutelt. "Wie schnell wird Liz Truss wohl das Lachen vergehen?", fragen sich denn auch Het Nieuwsblad und Het Belang van Limburg.
Der Zickzackkurs von Liz Truss
Die Biografie von Liz Truss liest sich wie eine Aneinanderreihung von Seitenwechseln, analysiert sinngemäß La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. In ihrer Jugend war sie Mitglied der britischen Liberaldemokraten, bevor sie zu den Konservativen ging. Im Frühjahr 2016, vor dem Brexit-Referendum, war Liz Truss eine glühende Verfechterin des Verbleibs ihres Landes in der EU. Jetzt unterstützt sie mit ebenso viel Verve einen knallharten Konfrontationskurs mit Brüssel. In der Zwischenzeit hat aber Russland die Ukraine angegriffen. Und, wie die EU ist auch das Vereinigte Königreich jetzt mit einem Höhenflug der Energiepreise und der Lebenshaltungskosten konfrontiert. Eine Verschärfung der Spannungen zwischen Großbritannien und der EU käme also zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Wie wäre es, wenn Liz Truss jetzt auch nochmal die Seite wechseln und den Schulterschluss mit dem Kontinent suchen würde? Denn nur Dummköpfe ändern nie ihre Meinung...
Apropos Energiekrise: Der Höhenflug insbesondere der Gaspreise bleibt natürlich Thema Nummer eins. "Russland und die EU treiben ihren Energiekrieg auf die Spitze", titelt De Standaard. "Der Lieferstopp durch die Pipeline Nordstream 1 facht die Ängste auf den Märkten wieder an.", schreibt L'Echo auf Seite eins. Gazet van Antwerpen spricht von einem "Pokerspiel mit einer Pipeline". Gestern war der Gaspreis zwischenzeitlich ja wieder durch die Decke gegangen.
Ein historisches Sondertreffen
Wladimir Putin hat also wieder einmal sein Gas als Waffe eingesetzt, meint Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Doch scheint diese Waffe immer stumpfer zu werden. Denn der Höhenflug der Gaspreise war nur von kurzer Dauer. Am Ende des Tages hatte sich die Lage wieder mehr oder weniger beruhigt. Für den Kreml muss das eine kalte Dusche gewesen sein. Noch vor einigen Wochen hätte die Ankündigung, die Lieferungen über Nordstream 1 einzustellen, wohl noch für eine waschechte Panik gesorgt. Jetzt muss die EU aber zum Gegenschlag ausholen. Beim Treffen der EU-Energieminister am Freitag liegt eine ganze Stalinorgel an Maßnahmen auf dem Tisch, die die Auswirkungen der Energiekrise abfedern sollen. Jetzt steht nur noch zu hoffen, dass jeder begreift, dass eben dieses Sondertreffen von entscheidender, gar historischer, Bedeutung ist. Wenn Europa sich auseinanderdividieren ließe, wäre das nämlich ein Sieg für Putin.
Aber immerhin scheint man sich inzwischen daran erinnert zu haben, warum es die Europäische Union eigentlich gibt, bemerkt Le Soir. Denn letztlich haben wir uns doch zusammengeschlossen, um gemeinsam Turbulenzen widerstehen zu können. Jetzt werden die Kommission und die 27 Staats- und Regierungschefs aber auch liefern müssen. Wir brauchen eine wirkliche entschlossene, europäische Mobilisierung.
Nur auf die EU zu warten, ist aber scheinheilig, findet sinngemäß Het Belang van Limburg. Die Regierungen in Belgien tun so, als könnten sie selbst nichts gegen die hohen Energiepreise ausrichten. Dabei haben doch Experten schon im Juni Vorschläge unterbreitet, wie man die Kaufkraft der Bürger stärken kann. Warum hat die Föderalregierung die nicht gleich in die Tat umgesetzt?
Die Strafe für Europas Sorglosigkeit
Gazet van Antwerpen sieht das ähnlich. Drei Monate lang sind die Regierungen des Landes untätig geblieben. Allen voran Vivaldi wartet allein auf Europa. Dabei weiß jeder, wie schwerfällig die Entscheidungsfindung auf EU-Ebene mitunter sein kann. Mal ganz davon abgesehen, dass wir die Lektionen der Vergangenheit nicht gelernt haben. Vor 50 Jahren hatte der Ölpreis-Schock den Europäern schon ihre Abhängigkeit vor Augen geführt. Und doch haben wir es geschafft, die Karre zum zweiten Mal in denselben Dreck zu fahren. Jetzt wäre vielleicht mal der richtige Zeitpunkt, um die Kurve in Richtung einer eigenen europäischen nachhaltigen Energie zu kratzen.
De Tijd warnt aber davor, sich jetzt allein auf die öffentliche Hand zu verlassen. Natürlich müssen die Bürger und die Unternehmen entlastet werden. Niemand darf aber davon ausgehen, dass der Staat jetzt alle Probleme löst, indem er ganz einfach einen großen Sack Geld ausschüttet. So einfach ist es nicht. Wir befinden uns in einem Wirtschaftskrieg. Und die Last kann nur gestemmt werden, wenn sie über alle Schultern verteilt wird.
De Morgen warnt seinerseits davor, allein den Energiemarkt für die aktuelle Misere verantwortlich zu machen. Denn letztlich ist dieser Markt nur das Spiegelbild unseres eigenen kollektiven Scheiterns. Verantwortlich für diese Krise ist nämlich nicht etwa der Markt, sondern die Politik der letzten Jahrzehnte. Wir waren und sind zu abhängig von fossilen Brennstoffen und dann auch noch von Importen, insbesondere aus Russland. Und ist es dann nicht normal, dass der Gaspreis in die Höhe schnellt, wenn Russland eine wichtige Pipeline schließt? Das ist nur die Strafe für die Sorglosigkeit, die Europa in der Energiepolitik an den Tag gelegt hat. Wir haben es versäumt, auf möglichst viele Lieferanten zu setzen. Wir haben die notwendige Abkehr von fossilen Brennstoffen verschlafen. Und wir haben geglaubt, auf Kernenergie verzichten zu können. Eben ein kollektives Scheitern.
Roger Pint