"Zweifel über Atomausstieg wächst in der Vivaldi-Koalition", so der große, fast gleichlautende Aufmacher unter anderem bei De Tijd und L'Echo. "Gaspreise liefern Gegnern Munition – Atomausstieg plötzlich nicht mehr sicher", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins. "Arbeitgeber gegen Atomausstieg: Druck auf die Grünen nimmt stark zu", titelt das GrenzEcho.
Es waren die Bedenken der Arbeitgeber, die die Debatte um die Zukunft der belgischen Energieversorgung wieder befeuert haben und die die Nervosität bei den politisch Verantwortlichen haben wachsen lassen, resümiert Het Laatste Nieuws. Wer von den Regierungsparteien steht wirklich noch zu hundert Prozent hinter dem Atomausstieg? Nur die Grünen. Und selbst bei ihrer Basis machen sich Zweifel breit. 20 Jahre schleppen wir dieses Dossier schon mit uns rum. Die Abhängigkeit von Russland ist auch nicht aus heiterem Himmel gefallen. Abgesehen davon: Diese Abhängigkeit ist für Belgien begrenzt. Es gibt Argumente, um die Laufzeit für die zwei jüngsten Atommeiler zu verlängern, aber der Weg dorthin ist gespickt mit Fallstricken – praktischer, technischer und finanzieller Art. Premier De Croo müsste quasi auf den Knien in Paris bei Engie um eine Verlängerung bitten. Außerdem würden selbst dann Gaszentralen notwendig bleiben. Europa könnte bei einem unvollständigen Atomausstieg die Subsidien für Gaszentralen vielleicht zurückstutzen. Aber könnte Belgien dann noch potenzielle Investoren überzeugen?, fragt Het Laatste Nieuws.
Das Dilemma der Grünen
All die Jahre wurde an der Idee festgehalten, dass der Atomausstieg im Notfall noch verschoben werden könnte, erinnert De Morgen. Es sei doch noch genug Zeit, hieß es immer. Bis keine Zeit mehr war, ein Aufschub beinahe unmöglich wurde. An diesem Punkt stehen wir jetzt. Die Realität ist: Fast niemand in der Koalition – außer den am tiefsten überzeugten Grünen – will noch wirklich einen Atomausstieg. Das ist zunächst ein Wahrnehmungsproblem: Aus Sorge um das Klima eine fossilfreie Energiequelle durch Gas und damit durch CO2-Ausstoß zu ersetzen, ist schwer vermittelbar. Die jetzige Energiekrise hat dann die Frage der Bezahlbarkeit in den Vordergrund rücken lassen. Auch wenn es keinen Zusammenhang gibt zwischen den aktuellen Preissteigerungen und einem späteren Atomausstieg, so ist deutlich geworden, wie riskant es ist, sich noch abhängiger vom Gas zu machen. Der Energiequelle, die so schnell zur geopolitischen Waffe werden kann. Politiker, die nicht eines Morgens ohne Mandat aufwachen wollen, sollten besser nicht den Eindruck erwecken, dass sie mit der zukünftigen Kaufkraft ihrer Wähler zocken, warnt De Morgen.
Die MR profiliert sich schon länger als Gegner des Atomausstiegs, kommentiert Het Nieuwsblad. Die OpenVLD und die CD&V waren auch nie besonders enthusiastische Anhänger. Aber was die grünen Koalitionspartner wirklich beunruhigen sollte, ist der Sinneswandel bei den flämischen Sozialisten Vooruit. Die Partei will neue Berechnungen über die Kosten des Atomausstiegs. Damit steht der Weg potenziell offen für Zweifel am oder sogar eine Abwendung vom Atomausstieg 2025. Und so stehen die Grünen plötzlich allein da. Der Atomausstieg ist aber die große Trophäe, die die Grünen bei den Regierungsverhandlungen errungen hatten. Wenn sie eine erneute Berechnung der Kosten verweigern, würden sie damit ihr Image als elitäre Ökologisten verstärken. Das würde ihnen sicher keine neuen Stimmen einbringen. Aber geben sie nach und kommt der Atomausstieg ins Wanken, dann würde das ihre Basis in Brand setzen. Es ist nicht die Wahl zwischen Pest und Cholera – die Grünen stehen davor, beides zu erleiden, meint Het Nieuwsblad.
Ein Meilenstein
Le Soir greift die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über den EU-Rechtsstaatsmechanismus auf: Die Richter in Luxemburg haben diesen für rechtens erklärt und Klagen von Ungarn und Polen abgewiesen. Die Frage ist, was nun passieren wird, der Prozess könnte sich noch lang hinziehen. Die Vorsicht der Europäischen Kommission ist nachvollziehbar. Auch wenn jetzt juristisch alles in trockenen Tüchern ist, ist es alles andere als selbstverständlich, dass Brüssel sich einen Monat vor den Wahlen in Ungarn in einen Krieg mit Viktor Orbán stürzen wird. Das käme Orbán nämlich wie gerufen und könnte ihm sehr gut den Sieg an den Urnen bescheren. Ein weiteres Risiko ist, dass Polen und Ungarn aus Rache oder um finanzieller Bestrafung zu entgehen ihre Anstrengungen verstärken würden, um andere Dossiers zu torpedieren. Aber die Situation ist so ernst, dass man sagen muss: Zum Teufel mit diesen Berechnungen! Es geht um das europäische Projekt, um seine Glaubwürdigkeit und um sein Überleben. Europa muss jetzt entscheiden und zuschlagen. Heute sind es zwei Staaten, wie viele werden es morgen sein, wenn ihnen niemand Einhalt gebietet?, mahnt Le Soir.
Endlich können Länder wie Polen und Ungarn dort getroffen werden, wo es weh tut: an ihrem Geldbeutel, schreibt Het Belang van Limburg. Länder, die mit der einen Hand an Rechten und Freiheiten rütteln, während sie die andere Hand aufhalten für Geld von Europa. Für die Europäische Union ist die EuGH-Entscheidung ein Meilenstein. Jahrelang musste die Union machtlos zuschauen, wie Gestalten wie Viktor Orbán lachend die Geldumschläge in Empfang nahmen und gleichzeitig die Demokratie in ihren Ländern aushöhlten. Die Europäische Kommission kann den Strom an Fördermitteln jetzt kürzen oder sogar vollkommen trockenlegen. Das ist die einzige Sprache, die in Warschau und Budapest Eindruck macht. Aber die Zukunft wird zeigen müssen, wie bedeutend der Meilenstein tatsächlich sein wird. Eines ist aber deutlich: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wer zum Club gehören will, der muss die Regeln befolgen. Punkt, unterstreicht Het Belang van Limburg.
Mit Bravour bewältigt
Das GrenzEcho nimmt die finanzielle Seite der Impfkampagne unter die Lupe, insbesondere in Ostbelgien: Auch wenn in der DG die Impfkampagne nicht billig war – bis Ende 2021 beläuft sich die Rechnung für die DG-Regierung auf 1,67 Millionen Euro – so darf man doch festhalten, dass man in dem mit Abstand kleinsten Impfgebiet vieles richtig gemacht hat. Die DG hat damit erneut bewiesen, dass sie auch schwierigen Aufgaben gewachsen, und diese mit Bravour zu bewältigen in der Lage ist, lobt das GrenzEcho.
Boris Schmidt