"Konvoi der Freiheit – die Gründe für den Flop", titelt La Dernière Heure. Die für gestern angekündigte Blockade von Brüssel durch Auto-Konvois ist durch die Polizei friedlich verhindert worden. Das Thema prägt zwar nicht die Titelseiten, aber beschäftigt mehrere Zeitungen in ihren Leitartikeln.
Dabei analysiert La Dernière Heure: Es gibt zwei Gründe, warum das große Chaos in Brüssel ausgeblieben ist, das man nach den Vorfällen in Paris befürchten konnte: Erstens war die Zahl der Demonstranten, die tatsächlich bis nach Brüssel gefahren sind, nicht so groß wie erwartet. Das mag daran liegen, dass der Konvoi an einem Montag organisiert wurde. Demonstrieren, wenn man eigentlich arbeiten soll, ist keine gute Idee. Zweitens hatten sich unsere Sicherheitskräfte perfekt vorbereitet. Sie waren unnachgiebig, hatten den Verkehr unter Kontrolle und setzten auf Dialog statt auf Konfrontation, resümiert La Dernière Heure.
Het Belang Van Limburg bemerkt: Der so genannte 'Konvoi der Freiheit' von gestern unterscheidet sich in einer Sache grundsätzlich von seinem Vorbild aus Kanada: Dort waren es Lkw-Fahrer, die gegen eine klare Sache demonstrierten. Nämlich gegen die Verpflichtung, gegen Corona geimpft zu sein bei grenzüberschreitenden Fahrten. Ein solcher klarer Beweggrund für die Demo fehlte gestern den Teilnehmern. Der eine forderte dies, der andere das. Eigentlich wurde alles gefordert. Auch von Rechtsradikalen und Verschwörungstheoretikern. Um welche „Freiheit“ es gestern gehen sollte, war nie so richtig klar, hält Het Belang Van Limburg fest.
Nährboden entziehen
De Morgen schreibt: Es wäre einfach, aber falsch, den fehlgeschlagenen Protest als lächerlich abzutun und schnell zu vergessen. Die Unzufriedenheit großer Teile der Bevölkerung ist nämlich durchaus real. Die Politiker sollten das ernst nehmen. Allein schon, um Verschwörungstheoretikern und Radikalen den Nährboden zu entziehen. Das könnte man erreichen, indem auf unnötige Corona-Maßnahmen verzichtet wird, die als Verschwörung oder unnötige Einschränkung der Freiheit bewertet werden können, schlägt De Morgen vor.
Die Politiker hat auch Het Laatste Nieuws im Blick und notiert: Es gibt durchaus Gründe, den Protest gestern als unnötig abzutun. Aber grundsätzlich ist es gut, wenn Menschen sich zu Wort melden, wenn sie mit Entscheidungen nicht einverstanden sind. Wie zum Beispiel mit dem Corona-Pass. Politiker organisieren gerne Bürgerbefragungen und Bürgerforen, um die Menschen mehr an der demokratischen Politikgestaltung zu beteiligen. Aber wenn diese Bürger laut auf der Straße protestieren, rümpfen dieselben Politiker die Nase. Das kann man scheinheilig nennen, kritisiert Het Laatste Nieuws.
Demokratisches Modell steht auf dem Spiel
Zum Konflikt um die Ukraine bemerkt Le Soir: Es steht viel auf dem Spiel. Das zeigt sich allein daran, dass sich sowohl der amerikanische, als auch der französische Präsident und jetzt auch der deutsche Bundeskanzler persönlich bei Putin dafür einsetzen, eine militärische Invasion Russlands in die Ukraine zu verhindern. Denn sollte Putin tatsächlich den Krieg beginnen, würde das die geopolitischen Beziehungen der vergangenen Jahrzehnte erschüttern, die Vorherrschaft des demokratischen Modells in Frage stellen und die Europäische Union in ihrem Selbstverständnis und ihrer Logik erschüttern, schreibt Le Soir.
L'Avenir weiß: Europäische Diplomaten erhoffen sich viel von dem Treffen heute zwischen dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem Kremlchef. Dieses Treffen wird als wegweisend gewertet. Gleichzeitig will man wegen der drohenden Kriegsgefahr nicht in Panik verfallen und fiebert den Ergebnissen des Treffens entgegen. Es könnte den Beginn einer Deeskalation bedeuten, mutmaßt L'Avenir.
Das GrenzEcho erinnert: Das russische Selbstwertgefühl ist durch den Zusammenbruch der Sowjetunion tief verletzt. Es ist nicht sonderlich klug, dieses verletzte Selbstwertgefühl einer Weltmacht weiter zu provozieren. Doch mit jeder Sanktion, mit jedem Boykott entzweit man sich weiter mit Russland. Leider hat die EU das schwelende Problem nicht ernst genommen. Jetzt sitzt die EU neben der Ukraine am Katzentisch. Und beide spielen wohl oder übel die Partitur, die in Washington und Moskau geschrieben wird, beklagt das GrenzEcho.
Europäische Anleihen als Vorbild
Auch die Wirtschaftszeitung L’Echo bedauert: Immer deutlicher erscheint Europa als hilfloses Opfer im Machtspiel zwischen Russland und den USA. Um das zu ändern, muss Europa stärker zusammenwachsen. Das muss auf drei Ebenen passieren: auf der militärischen, der diplomatischen und der energiepolitischen Ebene. Nur dann wird Putin den alten Kontinent als starken und unumgänglichen Verhandlungspartner anerkennen. Dass Europa dazu fähig ist, im gemeinsamen Interesse an einem Strang zu ziehen und scheinbar Unmögliches zu verwirklichen, hat die Covid-Krise gezeigt. Man hat europäische Anleihen geschaffen. Das ist ein Beispiel dafür, dass Europa durchaus in der Lage ist, groß zu denken und seine Einigkeit zu zeigen, findet L’Echo.
Kay Wagner