"Ein Corona-Pass ist kein Tabu mehr", titelt Het Nieuwsblad. Gemeint ist also, dass gewisse Einschränkungen für Genesene oder Geimpfte schneller aufgehoben werden könnten. In Brüssel wird sehr konkret darüber nachgedacht, in Flandern steht die Idee auch schon im Raum. Wobei: Der Brüsseler Ministerpräsident Rudi Vervoort will mit der Einführung eines solchen Corona-Passes zumindest warten, bis jeder Bürger ein Impfangebot bekommen hat.
Es ist wohl kein Zufall, dass diese Idee vor allem vom Brüsseler Ministerpräsidenten Rudi Vervoort getragen wird, analysiert Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Er will eine "allgemeine Lösung" für ein Problem, das vor allem seine Region betrifft. Der Brüsseler Rückstand in der Impfstrategie wird schon immer sichtbarer. Das hat verschiedene Gründe. Er selbst macht vor allem den hohen Anteil von Impfgegnern in der Hauptstadt dafür verantwortlich. Klar: Die Menschen gibt es. Leute, die letztlich darauf warten, dass die Pandemie verschwindet, bzw. dass andere das Virus verschwinden lassen, ohne dass sie da Verantwortung übernehmen müssen. Das Phänomen gibt es so ein bisschen überall; vielerorts gibt es inzwischen ausreichend Spritzen, aber nicht mehr genug willige Arme. Das wird stellenweise das Erreichen der Herdenimmunität in Gefahr bringen. Die Einführung eines Corona-Passes kann da helfen. Das in die Praxis umzusetzen ist aber nicht einfach.
Spannungsfeld zwischen Freiheit und Solidarität
Le Soir sieht das ähnlich. Ein Corona-Pass, das sieht leichter aus, als es ist. Klar: Auf den ersten Blick wirkt das logisch: Wer geimpft ist, der bekommt mehr Freiheiten, weil er ja ein deutlich geringeres epidemiologisches Risiko darstellt. Hier kollidiert man aber frontal mit dem Prinzip der Solidarität und der Entscheidungsfreiheit. Die Liste der Fragen ist lang: Gilt der Corona-Pass auch im Falle eines negativen PCR-Testes? Wie sorgt man dafür, dass das Ganze nicht aussieht wie eine verkappte Impfpflicht? Muss man nicht warten, bis eine Impfquote von 70 oder 80 Prozent erreicht wurde? Freiheit oder Solidarität?
Ein Spannungsfeld zwischen Freiheit und Solidarität sieht man letztlich auch im Zusammenhang mit einer Veranstaltung wie La Boum, meint sinngemäß Het Belang van Limburg. Hier schießen Menschen die Solidarität in den Wind, weil sie sich ihre Freiheit einfach nehmen wollen. Was für ein Mangel an Respekt der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung gegenüber, die sich in denen letzten Monaten regelrecht aufgeopfert hat! Das eigentlich Ironische ist, dass diese Menschen von sich behaupten, dass sie für die Freiheit eintreten, dabei aber vergessen, dass sie durch ihre eigenen Aktionen eigentlich die Rückkehr zu einer gewissen Normalität nur weiter verzögern. Die Organisatoren und Teilnehmer von La Boum und auch Jean-Marie De Decker, der Bürgermeister von Middelkerke, der in seiner Stadt die "Terrassenrevolution" ausgerufen hatte, all diese Leute sind denn auch falsche Freiheitskämpfer. Sie handeln entweder aus einem Egotrip heraus oder aus wahltaktischem Kalkül.
Rückzugsgefechte
"Warum macht man bei solchen Aktionen eigentlich mit?", fragt sich Gazet van Antwerpen. Eine Teilnahme etwa an einer Veranstaltung wie La Boum ist absolut sinnfrei. Nicht nur, dass man sich einem erheblichen Ansteckungsrisiko aussetzt, die Konfrontation mit den Ordnungskräften ist quasi vorprogrammiert. Hinzu kommt: Schon bald wird sich das Ganze erübrigen. In den nächsten Wochen sollen bis zu acht Millionen Impfdosen geliefert werden. Veranstaltungen wie La Boum oder auch die verfrühte Öffnung der Terrassen in Middelkerke sind Rückzugsgefechte. Welcher Idiot entscheidet sich im jetzigen Moment noch für Gewalt?
Apropos: La Dernière Heure fragt sich, warum die Polizei plötzlich bei vielen Menschen derartig in Ungnade gefallen ist. In den letzten Tagen hat man Meinungen und Einschätzungen gehört, bei denen der Eindruck vermittelt wird, dass wir hier inzwischen in Russland oder China leben, wo die Ordnungskräfte wahllos auf die Menschen einprügeln. Klar: Es gibt die Bilder von Gewaltexzessen im Zuge der Räumung des Bois de la Cambre am Samstag. Das bleiben aber Einzelfälle. Und das ist mit Sicherheit kein Grund, die Polizei jetzt pauschal an den Pranger zu stellen. Denn, nicht vergessen: Jeder von uns kann die Polizei in einem schwierigen Moment nötig haben.
Le Soir bringt heute ein Interview mit dem DG-Ministerpräsidenten Oliver Paasch. Thema ist eine mögliche siebte Staatsreform, die ja in den letzten Tagen Konturen angenommen hat. "Die Deutschsprachige Gemeinschaft sei da nicht fragende Partei", betont Paasch. In jedem Fall wolle die DG aber auf Augenhöhe mit den anderen behandelt werden.
Von wegen "Cancel-Culture"!
De Morgen beschäftigt sich in seinem Leitartikel mit einer neuen Episode im derzeit wütenden "Kulturkampf". Hier eröffnen sich immer wieder überraschende Fronten, meint das Blatt. Mal ist es die Länge des Badeshorts, die plötzlich zum Gegenstand des "Kriegs um Identität" wird, jetzt wird es aber besonders skurril: Es geht um den "pädagogischen Klaps auf den Hintern". In der Kammer wird über einen Gesetzesvorschlag debattiert, der das Schlagen von Kindern verbieten soll. Belgien gehört zu den Ländern, die in dieser Frage hinterherhinken. Rechte Politiker wie Theo Francken sehen darin einen "unerhörten Angriff auf die pädagogische Freiheit" und einen neuen Ausdruck der "Cancel-Culture". Nach dem Motto: "Man darf am Ende gar nichts mehr, nicht einmal mehr die eigenen Kinder schlagen".
Dazu nur so viel: Unsere Gesellschaften haben mit Sicherheit ein Erbe hervorgebracht, auf das man stolz sein kann und das es zu schützen gilt. Kinder zu schlagen, das gehört definitiv nicht dazu. Wer darüber ein Kulturkämpfchen austragen will, der sollte sich eine andere Arena suchen für solche Scheingefechte...
Roger Pint