"Maximaler Druck auf die Schulen", titelt heute Le Soir. "Aller Fokus auf die Schulen", schreibt auch Gazet van Antwerpen. Der Konzertierungsausschuss hat am Freitag selbst recht wenig entschieden, dafür aber den Bildungsministern der Regionen Hausaufgaben aufgegeben. Über das Wochenende sollen sie Pläne ausarbeiten, wie die hohen Ansteckungszahlen in belgischen Schulen in den Griff zu bekommen sind. Die meisten Zeitungen kommentieren diese Ergebnisse dann auch in ihren Leitartikeln, wobei die Urteile durchaus unterschiedlich ausfallen.
Der Konzertierungsausschuss hat die heiße Kartoffel weitergereicht
Zum ersten Mal in der Ära De Croo-Vandenbroucke ist die Diagnose klar, aber die Maßnahmen liegen im Nebel, schreibt Le Soir. Die Ansteckungszahlen steigen, Hauptansteckungsorte sind Schulen und der Arbeitsplatz. Aber getan wird vorerst nichts. Daran zeigt sich vor allem ein heftiger politischer Streit. Dass die heiße Kartoffel jetzt erst mal an die Bildungsminister weitergereicht wurde, deutet darauf hin, dass die Entscheidung, die Osterferien zu verlängern, durchaus noch kommen könnte. Das hätte zugleich auch den Vorteil, dass viele Eltern dazu gezwungen wären, langer von zu Hause aus zu arbeiten, anstatt ins Büro zu gehen. Es bleibt abzuwarten, aber bei diesen Ankündigungen kann es angesichts des Infektionsgeschehens eigentlich nicht bleiben, ist Le Soir überzeugt.
"Was hat die belgische Regierung am Freitag eigentlich vorgeschlagen, um uns aus der Gesundheitskrise zu holen?", fragt L’Avenir. Nichts, um genau zu sein. Gesundheitsminister Vandenbroucke schiebt den Schwarzen Peter seinen Kollegen aus dem Bildungsbereich zu. Und der Druck wird wieder einmal auf eine Bevölkerung abgewälzt, die sowieso schon leidet und einfach nur versucht, zu leben, ohne paranoid zu werden. Belgien hatte ein Jahr Zeit, eine umfassende Teststrategie auf die Beine zu stellen und das Gesundheitssystem krisenfest zu machen. Stattdessen wurde vor allem auf die Kontaktnachverfolgung und die Vorbereitung der Impfkampagne gesetzt. Beides mit mäßigem Erfolg. Zugleich scheinen die Politiker unfähig, ihre Entscheidungen kritisch zu hinterfragen, schimpft L’Avenir.
Die Regierung setzt auf den Frühling und die Impfkampagne
La Dernière Heure hingegen zeigt großes Verständnis für die Entscheidungen des Konzertierungsausschusses. Die Position von Gesundheitsminister Vandenbroucke, der weitaus strengere Maßnahmen gefordert hatte, ist angesichts der Gesundheitslage sicherlich verständlich. Aber aus menschlicher Perspektive wäre das schwierig. Die Menschen kommen langsam an ihre Grenze. Die Regierung setzt deshalb auf den Frühling und die Impfkampagne. Und diese Entscheidung ist alles andere als absurd. Knapp eine Millionen Belgier sind bereits geimpft, unterstreicht la Dernière Heure.
Het Nieuwsblad kritisiert den Ansatz der Regierung, ambitionierte Öffnungsziele zu formulieren, diese aber nicht an konkrete Bedingungen zu knüpfen. Die Regierung will eine Perspektive bieten, indem sie Daten wie den 1. Mai für die Gastronomie oder den 19. April für die Schulen vorgibt. Aber wenn es dann nicht klappt, ist die Enttäuschung dann umso größer. Wenn die Kneipen jetzt am 1. Mai doch nicht aufmachen, droht der erste Massenprotest gegen die Corona-Politik. Es ist unbegreiflich, warum der Konzertierungsausschuss nicht auf eine Art Vertrag mit der Bevölkerung setzt: Er könnte transparent darlegen, unter welchen Bedingungen welche Öffnungen wann möglich sind. So könnte die Politik auch einen konstruktiven Dialog mit den Menschen aufbauen, schlägt Het Nieuwsblad vor.
Impfstoff-Versorgung: Die Einstellung der EU war naiv
De Standaard findet die Entwicklung in Belgien zuletzt durchaus positiv, aber fällt ein vernichtendes Urteil über die EU. Nach einem desaströsen Start hat sich das vielschichtige Belgien in den letzten Monaten gut entwickelt. Die Entscheidung, während der Weihnachtszeit strikt zu bleiben, war richtig. Auch in dieser Woche, als sich um uns herum alle über mögliche Nebenwirkungen des Astrazeneca-Impfstoffs aufregten, behielten unsere Verantwortlichen einen kühlen Kopf. Dass die Impfkampagne dennoch nicht läuft, wie sie sollte, liegt vor allem an der Versorgung mit Impfstoffen, die ja europäisch organisiert ist. Wie immer ist es auch hier allzu einfach, mit dem Finger auf "Brüssel" zu zeigen. Die Mitgliedsstaaten mit ihrer ewigen Unwilligkeit, das nationale Interesse in das große Ganze zu integrieren, tragen ihren Teil der Verantwortung für das Debakel. Aber der Schaden ist definitiv der Union entstanden. Das Hin- und Her beim Astrazeneca-Mittel ist exemplarisch. Erst soll der Impfstoff für über 65-Jährige verboten werden, dann verbieten ihn einige Mitgliedstaaten komplett. Frankreich hat ihn jetzt wieder erlaubt, aber nur für über 55-Jährige. Da ist ein kopfloses Huhn ja noch konsequenter, mokiert sich De Standaard.
De Tijds Beurteilung der EU-Impfstrategie fällt deutlich milder aus. Die Europäische Union hat versucht, Impfstoffe in einer Atmosphäre des internationalen Handels und der Globalisierung zu entwickeln und zu produzieren. Diese Einstellung war edel, aber naiv. Die USA und Großbritannien spielen stattdessen unverschämt die nationalistische Karte aus und exportieren keine Impfstoffe. Daraus resultiert, dass die Pharmaunternehmen vor allem ihre europäischen Produktionsstätten für die Belieferung der restlichen Welt nutzen. Es macht Sinn, auf diese Situation zu reagieren, auch wenn dies leider zeigt, wie brutal der internationale Impfstoffkampf geworden ist, notiert De Tijd.
Peter Esser