"Affäre Mawda: Ein Jahr Haftstrafe mit Aufschub für den Polizisten, der geschossen hat", schreibt La Dernière Heure auf Seite eins. "Tod von Mawda: ein Jahr Haft auf Bewährung für Polizist, Fahrer des Lieferwagens mit Flüchtlingen zu vier Jahren Gefängnis verurteilt", präzisiert das GrenzEcho. "Die Justiz hat entschieden: Der Schuss war ein Unfall", greift L'Avenir die Urteilsbegründung für den Polizisten auf.
Die zweieinhalbjährige Mawda, die bei einer Verfolgungsjagd von der Kugel eines belgischen Polizisten getötet wurde, ist ein Symbol, kommentiert Le Soir. Die Eltern des kurdischen Flüchtlingsmädchens und zahlreiche Prozessbeobachter werden das Urteil gegen den Polizisten als unzureichend kritisieren. Aber dennoch ist die Entscheidung des Gerichts wichtig. Denn sie stellt klar, wo die Verantwortungen liegen. Nämlich dort, wo sie von Anfang an hingehört hätten: beim Polizisten, der nicht hätte schießen sollen und bei den Menschenschmugglern. Und nicht bei den Eltern Mawdas, die jetzt endlich als Opfer und nicht als Schuldige anerkannt worden sind. Als Opfer von Kriegen, die sie gezwungen haben, ihr Heimatland zu verlassen, als Opfer von Schleusern, die ihnen ihr Geld abgepresst haben und die sie mehrmals in tödliche Gefahr gebracht haben. Aber auch als Opfer der belgischen Polizei, die nicht in der Lage war, die Verfolgungsjagd unter Kontrolle zu behalten. Und als Opfer der Versäumnisse der europäischen Einwanderungspolitik, meint Le Soir.
Der zuständige Richter hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich das Urteil nur auf die Ereignisse bei der Verfolgungsjagd bezieht, schreibt L'Avenir. Und nicht auf die belgische Einwanderungspolitik. Das ist legitim. Aber belassen sollten wir es dabei nicht. Ein Urteil über diese Politik muss ebenfalls kommen. An einem anderen Ort, in anderen Kreisen, auf anderen Bänken. Auch in der Öffentlichkeit. Denn solche essenziellen Gesellschaftsfragen dürfen nicht unter den Teppich gekehrt werden. Es geht nämlich nicht nur um eine überstürzte Flucht und einen riskanten Schuss. Sondern darum, dass Flüchtlinge wie Kriminelle behandelt worden sind. Was dazu geführt hat, dass ein zweijähriges Kind gestorben ist, klagt L'Avenir an.
Die Erlösung
Het Nieuwsblad greift in seinem Leitartikel die heutige Wiederöffnung der Friseure auf. Da ist sie endlich, die Erlösung. Noch vor den Restaurants, den Kulturzentren und den anderen Kontaktberufen dürfen die "essenziellen" Haarschneider wieder loslegen. Die Gesundheitskrise und der Lockdown haben viele Wahrheiten zu Tage gefördert. Dazu gehört auch, dass Friseure offenbar essenziell sind. Und dass jeder irgendwie ganz eigene Definitionen hat, was im Leben wirklich wichtig ist.
Über die Bedeutung der Friseure hat man sich schließlich geeinigt. Glücklicherweise gibt es mittlerweile auch einen Konsens darüber, wer die nächsten bei den Lockerungen sein müssen: nämlich die Kinder und Jugendlichen, fordert Het Nieuwsblad.
Ein bitteres Dilemma und ein einfacher Sündenbock
De Standaard kommt auf das Vorgehen der Staatsanwaltschaft gegen Dries Van Langenhove und acht andere Mitglieder der rechtsextremen Jugendorganisation Schild & Vrienden zurück. Es geht unter anderem um antisemitische, rassistische, sexistische und gewalttätige Posts in Sozialen Medien. Juristisch verfolgt werden Van Langenhove und Co. deswegen wegen Anstiftung zur Diskriminierung und zur Gewalt. Und für den demokratischen Rechtsstaat sind solche Dossiers ein bitteres Dilemma. Denn letztlich geht es um Absichten. Zu tatsächlichen Taten ist es nicht gekommen. Aber die Justiz will die Gesellschaft vor weiterem Schaden bewahren. Aber wie beweisen, dass Schild & Vrienden tatsächlich Gewalt im Sinn hatte? Und die Rechtsextremen hoffen darauf, dass sie so oder so gewinnen werden, egal, wie die Sache ausgeht. Entweder sie werden verurteilt, dann können sie sich als Opfer einer politischen Verfolgung darstellen. Oder sie werden freigesprochen. Und dann wird es kein Halten mehr geben, warnt De Standaard.
De Morgen beschäftigt sich mit der Tatsache, dass zwar überall in Belgien Impfzentren bereitgemacht werden, dass sie aber kaum Vakzindosen zum Verimpfen haben. Das bedeutet, dass das Gesundheitspersonal an der vordersten Corona-Front weiter warten muss. Und wer zu keiner prioritären Impfgruppe gehört, wird kaum vor Juni mit einem Impfeinladung im Briefkasten rechnen können. Blickt man nach Israel und Großbritannien muss man sich schon die Frage gefallen lassen, ob Europa hier versagt hat. Und Anlass zur Kritik an der Verhandlungsstrategie und Umsetzung des Impfstoffkaufs durch die Europäische Union gibt es sicherlich. Was man darüber hinaus aber auch nicht vergessen sollte, ist, dass das gemeinsame europäische Vorgehen verhindert hat, dass die einzelnen EU-Länder gegeneinander ausgespielt worden sind. Und gerade für ein kleines Land wie Belgien hätte das bedeutet, dass Impfampullen noch spärlicher und teurer geworden wären, als es jetzt der Fall ist, erinnert De Morgen.
Viele Fragen
Das GrenzEcho nimmt die sehr diskrete Verlängerung der nächtlichen Ausgangssperre in der DG zum Anlass für grundsätzlichere Fragen. So muss man sich fragen, warum Belgien immer noch kein Krisengesetz hat, das, ohne verbogen werden zu müssen, eine demokratisch legitimierte Grundlage für die Entscheidungen der Regierungen des Landes bilden würde. Und man muss feststellen, dass es nicht sonderlich gut um die Vertretung des Volkes bestellt ist, wenn die gewählten Vertreter sich in einer solch wichtigen Frage von der Regierung an den Tropf hängen lassen und geduldig darauf warten, dass einer den Hahn aufdreht, statt selbst das Heft in die Hand zu nehmen.
Man muss sich auch fragen, ob der Staatsrat die Verhältnismäßigkeit mancher Maßnahmen gründlich genug gegen die Verfassung und die dort verankerten Bürgerrechte und -freiheiten geprüft hat, kritisiert das GrenzEcho.
Boris Schmidt