"Der Geschäftsführer des Lütticher Airports ist rausgeflogen; ohne Fallschirm", so die Schlagzeile von L'Avenir. "Der tiefe Fall von Luc Partoune, dem Mann, der den Lütticher Flughafen auf die europäische Landkarte gesetzt hat", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins.
Der Geschäftsführer des Lütticher Flughafens Luc Partoune ist fristlos entlassen worden; wegen schwerer beruflicher Fehler. Die Liste der Vorwürfe ist lang. Unter anderem soll er astronomisch hohe und ungerechtfertigte Spesenkosten kassiert haben. Man spricht von Veruntreuung öffentlicher Mittel und auch von Korruption.
Skandal um Lütticher Flughafen-Chef: Parallelen zur Chareroi-Affäre
Das Lütticher Erdbeben erinnert an die Skandale, die die Region Charleroi vor mehr als zehn Jahren erschüttert haben, analysiert L'Echo in seinem Leitartikel. In Lüttich hat das Ganze aber inzwischen doch enorme Ausmaße angenommen. Alles begann mit übertriebenen Sitzungsgeldern, die einigen Statisten für fiktive Publifin-Versammlungen ausgezahlt wurden. Daraus erwuchs die Affäre Nethys; da ging es um die dicken Fische.
Und im Fahrwasser dieser Geschichte hat es jetzt auch noch Luc Partoune erwischt, einen weiteren Star der Lütticher Unternehmenswelt. Was diese Skandale mit den Affären in Charleroi verbindet: Immer geht es um eine Normverschiebung. Allgemein anerkannte Grenzen gelten plötzlich für gewisse Leute nicht mehr. Wie Charleroi nach der Carolorégienne-Affäre steht jetzt Lüttich am Pranger. Das Ganze übersteigt aber den rein lokalen Charakter. Die Operation "saubere Hände" hat eine symbolische Tragweite: Hier muss das Vertrauen zwischen den staatlichen Wirtschaftsakteuren und der Unternehmenswelt wiederhergestellt werden.
Man kann nur feststellen, dass die Skandale von Charleroi die Affären in Lüttich nicht verhindert haben, meint La Libre Belgique. Das verheißt nichts Gutes, zeigt sich hier doch, dass sich einige Leute in Lüttich offensichtlich für unantastbar hielten. Schuld ist vor allem die in der Wallonie immer noch grassierende Krankheit der politischen Baronien: In einigen Regionen bleibt man unter sich und schustert sich gegenseitig die Posten zu.
Das führt letztlich zu diesem Gefühl der Straffreiheit. Es wird höchste Zeit, dass in der Wallonie endlich Auswahl- und Ernennungsprozeduren eingeführt werden, die wirklich über jeden Verdacht erhaben sind; um auch Leuten eine Chance zu geben, die nicht aus einem politischen Kabinett kommen. Nicht vergessen: Hier geht es auch und vor allem um das Vertrauen der Bürger in ihre politischen Vertreter.
Flämische Polizisten wegen Mobbing vor Gericht
"Die Antwerpener Staatsanwaltschaft will 30 Polizeibeamte wegen Mobbings vor Gericht stellen", titelt derweil De Standaard. "Vor Gericht wegen Mobbings am Arbeitsplatz", schreibt auch Het Laatste Nieuws auf Seite eins. Die 30 Polizisten sind für die Bewachung von Gefangenentransporten zuständig. Sie hatten eine gemeinsame WhatsApp-Gruppe, in der vor allem über Kollegen hergezogen wurde. Sie sollen aber auch rassistische Posts ausgetauscht haben.
In Flandern sorgt aber vor allem der Fall der OpenVLD-Abgeordneten und Unternehmerin Sihame El Kaouakibi weiter für Diskussionsstoff. Grob zusammengefasst: El Kaouakibi wird vorgeworfen, öffentliche Zuschüsse veruntreut zu haben, die für ihre diversen Kulturprojekte ausgeschüttet worden waren. Jetzt kam ans Licht, dass die OpenVLD die Unternehmerin in die Politik gelockt hatte mit dem Versprechen, ihren Wahlkampf mit 50.000 Euro zu finanzieren.
Wir erinnern uns an 2019; damals war die Rekrutierung von Sihame El Kaouakibi durch die OpenVLD noch DAS Ereignis des Wahlkampfes, meint De Standaard. Die junge Frau galt in Antwerpen als Vorbild der Jugend mit Migrationshintergrund; und mit solchen Federn schmücken sich viele Parteien gerne. Nur geht das inzwischen viel zu weit.
Parteien betrachten ihre Kandidaten buchstäblich als eine Investition. Man steckt Geld in ein vielversprechendes Neumitglied, weil man sich eine wahltaktische Rendite erhofft. Politik als vertragliche Übereinkunft, Politik als Kapitalismus. Und Hoffnungsträger, die eigentlich ein Symbol für politische Erneuerung sein sollten, werden damit zum Eigentum der Parteien.
"Wobei", schränkt Het Laatste Nieuws ein: Sihame El Kaouakibi war eigentlich noch vergleichsweise frei. Sie konnte es sich erlauben, die Parteilinie zu verlassen. Damit macht man sich natürlich nicht nur Freunde in der eigenen Partei. Erst recht nicht, wenn die Mitstreiter dann auch noch erfahren, dass der Wahlkampf der Newcomerin großzügig gesponsert wurde.
Was lernen wir daraus? Für junge Menschen ist der Weg hin zu einem politischen Mandat der schwerste und längste; immer besteht die Gefahr, dass man von einem "Weißen Kaninchen" rechts überholt wird. Wer politisch Karriere machen will, der beginnt seine Laufbahn besser außerhalb der Politik...
Het Nieuwsblad findet solche Erwägungen eher naiv. In den letzten Tagen war es fast schon rührend zu beobachten, wie einige junge OpenVLD-Mitglieder das Konzept "Marktwert" für sich entdeckt haben, meint das Blatt. Liberale, die für Gleichbehandlung plädieren? So etwas erwartet man doch eigentlich nur von Gewerkschaften.
Viel von der Empörung der letzten Tage war durch Neid und Missgunst motiviert. Dabei verliert man das Wesentliche aus den Augen: Sollten sich die Vorwürfe gegen Sihame El Kaouakibi und ihre Kulturprojekte bewahrheiten, dann gerät ein ganzer Sektor in Misskredit; mit enormen Kollateralschäden für die kleinen Akteure der Antwerpener Kulturszene. Darüber sollte man sich empören!
Ursula von der Leyen räumt Fehler bei Impfkampagne ein
"Warum kann Sihame El Kaouakibi nicht einfach mal zugeben, dass sie nicht alles richtig gemacht hat?", fragt sich Gazet van Antwerpen. Auch Maggie De Block oder Sophie Wilmès sind dazu offensichtlich nicht imstande. Eine hat es am Mittwoch vorgemacht: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat vor dem EU-Parlament eingeräumt, dass im Zusammenhang mit der Impfkampagne Fehler gemacht wurden. Dieses mea culpa löst zwar kein Problem, es ist aber ein Zeichen von Größe.
De Tijd sieht das ähnlich. Ursula von der Leyen hat Fehler zugegeben. Ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker hat das nie getan. Von der Leyens Entschuldigung war nötig, und doch sollte man hier auch Milde walten lassen. So hat die Kommissionspräsidentin recht, wenn sie sagt, dass es noch schlimmer gewesen wäre, wenn sich die Staaten selbst ihren Impfstoff besorgt hätten. Dann hätten wir 27 Mal "das eigene Volk zuerst" gesehen.
Die angeblichen Erfolgsgeschichten aus Israel oder Großbritannien sind im Übrigen auch nur so strahlend, wie so mancher sie aussehen lassen will. Die eigentliche Ursache für die Fehlentwicklungen, die liegt ohnehin anderswo. Ursula von der Leyen ist bekanntlich Mitglied der CDU. Und die deutschen Christdemokraten sind im Moment sehr nervös, weil in unserem Nachbarland im September Wahlen anstehen. Der frühere EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hat einmal gesagt: Die EU kann nur funktionieren, wenn die großen Mitgliedstaaten politisch stabil sind. Nun, in Deutschland ist das aktuell nicht der Fall...
Roger Pint
Bei all diesen Skandalen muss man sich nicht wundern, wenn die Politik an Vertrauen verliert. Stets das gleiche : Postenjägerei und Habgier. Die Politiker sollen sich nicht zu viel über Fakenews und Verschwörungstheorien beklagen. Sie liefern selbst oft genug Geschichten, die besser sind als Fakenews und Verschwörungstheorien. Die Realität schreibt die besten Drehbücher. Es war schon immer so : wer an der Quelle sitzt, trinkt auch daraus.