"Egbert Lachaert versucht eine Regierung ohne die N-VA", schreibt L'Echo auf Seite eins. "Vivaldi-Koalition ist Plan A", liest man beim GrenzEcho. Und De Tijd titelt: "Lachaert braucht mehr Zeit, um Vivaldi zum Zusammenspielen zu bewegen".
Am späten Vormittag wird der Open-VLD-Vorsitzende Egbert Lachaert im Palast erwartet. Er soll König Philippe erstmals Bericht über den Fortschritt seiner Koalitionsverhandlungen erstatten. Seit gestern ist bekannt, dass Lachaert eine Regierung aus Liberalen, Sozialisten, Grünen und Christdemokraten anstrebt, also ohne die N-VA – auch bekannt als Vivaldi-Koalition.
Es wird Ehrgeiz brauchen
Die Verhandlungen über Vivaldi laufen im Hintergrund weiter, erinnert Le Soir in seinem Leitartikel. Die CD&V scheint noch nicht angebissen zu haben. Auch wenn die flämischen Christdemokraten wegen der Affäre Chovanec vielleicht eher bereit sind, die N-VA loszulassen. Grüne und Sozialisten ihrerseits sind noch nicht überzeugt vom Inhalt der Note Lachaerts. Besonders für die Sozialisten ist die zu rechts.
Außerdem darf man nicht vergessen, dass diese Koalition sicher nicht auf Liebe beruht. Vielmehr ist sie, wenn es denn was wird, ein Produkt schierer Notwendigkeit. Ganz zu schweigen davon, dass die N-VA zusammen mit dem Vlaams Belang in die Opposition zu schicken, eine heiße Zeit für eine Regierung bedeuten wird. Aber die Zeiten sind hart. Es wird vor allem auf das Programm ankommen. Und es wird Ehrgeiz brauchen, analysiert Le Soir.
Neben der Regierungssuche beherrscht der Tod von Jozef Chovanec in einer Polizeizelle am Flughafen Charleroi die Schlagzeilen und Kommentare. Auch weil die politischen Folgen dieses Polizeiskandals sich sowohl auf Flandern als auch auf die föderale Ebene auswirken. Die Ereignisse in der Kammer am Mittwoch haben hochpolitische Brisanz, schreibt das GrenzEcho. Es geht längst nicht mehr nur um Jan Jambon, es geht um die künftige Regierung.
Die flämischen Christdemokraten der CD&V sind das berühmte Zünglein an der Waage. Dass ausgerechnet zwei CD&V-Minister, nämlich Pieter De Crem und Koen Geens, "ihren" flämischen N-VA-Ministerpräsidenten über die Klinge gehen ließen, ist interessant. Nicht wenige politische Beobachter lesen daraus – völlig zu Recht – ein Zeichen der Abnabelung der CD&V von dem mächtigen Partner N-VA. Für Lachaert sollte dies eine gute Nachricht sein. Ob sie ihm aber dabei entscheidend hilft, die von ihm erwartete Quadratur des Kreises hinzubekommen, steht auf einem anderen Blatt Papier, dämpft das GrenzEcho zu hohe Erwartungen.
Eine denkbar schlechte Woche für die N-VA
Für die N-VA ist die Affäre Chovanec nicht nur ein Imageschaden, kommentiert Het Belang van Limburg. Der Sturm gegen den flämischen Ministerpräsidenten Jambon kommt für die Partei vor allem zeitlich sehr ungelegen. Erst versetzten die Liberalen mit ihrer Weigerung, einer Koalition mit PS und N-VA beizutreten, Bart De Wever einen empfindlichen Schlag. Dann verkündete Egbert Lachaert, dass er eine Koalition ohne die N-VA anstrebt. Der Torpedo, den CD&V-Innenminister Pieter De Crem am Mittwoch auf Jambon abfeuerte, war gut gezielt. Aber Jambon ist sicher nicht nur das Opfer eines politischen Spiels. Sein Verhalten in der Affäre Chovanec zeugt nicht nur von einem Mangel an Empathie, sondern auch von einem Mangel an politischer Einsicht, kritisiert Het Belang van Limburg.
Auch für De Morgen ist das eine Woche, in der für die N-VA alles schief zu laufen scheint. Sowohl an der föderalen als auch an der flämischen Front ist die N-VA in die Defensive gedrängt worden. Seit Mittwochabend hat sich die Idee, sich nach Flandern zurückzuziehen und die nächste föderale Regierung aus der Opposition zu untergraben, als Fehlkalkulation herausgestellt. Nächsten Dienstag will Jan Jambon vor dem Kammerausschuss in die Offensive gehen. Das kommt spät, reichlich spät, um die allgemeine Wahrnehmung des Ministerpräsidenten noch zu korrigieren. Außerdem werden bis dahin alle Angriffe der N-VA auf die Vivaldi-Verhandlungen ins Wasser fallen, ist De Morgen überzeugt.
"Inakzeptabel"
De Standaard greift im Zusammenhang mit der Affäre Chovanec in seinem Leitartikel die Probleme innerhalb der Polizei auf. Polizist ist ein anspruchsvoller Beruf. Die Beamten müssen selbst unter widrigsten Umständen die Ruhe bewahren. Sie müssen Psychologie mit einem überzeugenden Auftreten kombinieren. Und sie müssen, falls nötig, bereit sein, Gewalt anzuwenden – ohne dabei über die Stränge zu schlagen. Die Ereignisse von Charleroi haben gezeigt, dass diese hohen Ansprüche nicht immer erfüllt werden.
Genau deswegen müssen sowohl bei der Rekrutierung als auch bei der Ausbildung sehr hohe Maßstäbe angelegt werden. Und hierbei scheint es in Belgien manchmal Defizite zu geben. Neben Mängeln bei der Ausbildung, zum Beispiel bei der Frage, wie man mit Psychosen wie etwa im Fall Chovanec umgeht, scheint auch bei der Auswahl der Polizeianwärter nicht alles ideal zu laufen. Gerade angesichts des Personalmangels werden die Kriterien hier oft mit Füßen getreten. Es ist, wie so oft, ein Problem, das alle zugeben, das aber aus verschiedenen Gründen nicht angepackt wird. Solange das nur zu Unannehmlichkeiten führt, kann man noch von einem überwindbaren Problem sprechen. Wenn das Problem allerdings einen unschuldigen Mann das Leben kostet, gibt es nur eine Bezeichnung: inakzeptabel, stellt De Standaard klar.
Boris Schmidt