"Die Wette von Egbert Lachaert: Plötzlich steht Lila-Grün in den Startlöchern", titelt De Standaard. "Bei der Regierungsbildung stehen die Zeichen auf Lila-Grün", so auch die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. "Das erzwungene Comeback von Lila-Grün", schreibt De Morgen auf Seite eins.
In die Bemühungen um eine neue Föderalregierung scheint wieder Bewegung gekommen zu sein. Seit vergangenem Dienstag arbeitet ja der Open-VLD-Vorsitzende Egbert Lachaert im Auftrag des Königs an einer neuen Koalition. Lachaert galt bislang als Verfechter einer Regierung mit der N-VA. Inzwischen scheint er aber seine Haltung geändert zu haben. Het Nieuwsblad attestiert dem 43-Jährigen eine "180°-Kurve im Kopf". Offensichtlich flirtet Egbert Lachaert jetzt nämlich mit den Grünen. Allen voran De Standaard, Het Nieuwsblad und De Morgen sind sich einig, dass eine Koalition mit der N-VA im Moment offensichtlich nicht mehr zur Debatte steht. Das liefe also auf einen sogenannten Regenbogen hinaus. Der müsste allerdings noch um den einen oder anderen Partner erweitert werden, was dann wohl auf die sogenannte "Vivaldi-Formel" hinauslaufen würde.
"Lila-Grün, das wäre dramatisch für die flämische Regierung", warnt allerdings der flämische N-VA-Unterrichtsminister Ben Weyts auf Seite eins von Gazet van Antwerpen. In der flämischen Regierung bilden ja die Liberalen und Christdemokraten eine Koalition mit der N-VA. Wenn die Nationalisten auf der föderalen Ebene in die Opposition verfrachtet würden, dann bliebe das wohl für die flämische Regierung nicht ohne Folgen.
Von Virologen und Politikern
Viele Zeitungen kommen aber auch noch einmal zurück auf die Beschlüsse des Nationalen Sicherheitsrats vom Donnerstag. Heute übt auch La Libre Belgique scharfe Kritik am Konzept "Kontaktblase". Die "Fünfer-Blase", die gibt es nur hier. Nur in Belgien. "Wer mag dieses Konzept wohl erfunden haben?", werden sich wohl schon viele gefragt haben. Und darunter sind sogar namhafte Gesundheitsexperten. Diese "Fünfer-Blase" steht jedenfalls beispielhaft für den enormen Einfluss der wissenschaftlichen Berater auf die Entscheidungen der Regierung. Vor allem die Rolle einiger Experten wirft Fragen auf. Um es klar zu sagen: Gemeint ist Marc Van Ranst. Dessen Kompetenz ist unbestritten; sein Einfluss, den er insbesondere über soziale Medien ausübt, nimmt unverhältnismäßige, beinahe schon groteske, Züge an. Natürlich sollten sich Politiker von Wissenschaftlern beraten lassen. Es muss aber klar sein, dass die Entscheidungen am Ende immer von Politikern getroffen werden.
Im Moment fehlt die Perspektive, findet L’Echo. Wir befinden uns immer noch in einer Art Ausnahmezustand, wobei gewisse Zahlen das nicht zu rechtfertigen scheinen. Nur ein Beispiel: Im Moment werden 300 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern behandelt. Auf dem Höhepunkt der ersten Krankheitswelle lagen 7.000 Menschen in den Kliniken. Die Frage lautet also schlicht und einfach: Sind wir vielleicht übervorsichtig? Man darf behaupten, dass unsere Entscheidungen derzeit vor allem von Angst gelenkt sind. Vielleicht wäre jetzt mal Zeit für Selbstkritik. Das einzige Ziel scheint derzeit zu sein, durchzuhalten, bis der Impfstoff da ist.
Wo bleibt die Kultur?
Apropos: Le Soir beschäftigt sich in seinem Leitartikel eben mit dem Thema Impfstoff. Die erste Herausforderung wird sein, überhaupt ein wirksames Serum zu finden. Da gibt es nämlich noch keine wirkliche Garantie. Die zweite Herausforderung, das ist die Akzeptanz. Immer mehr Menschen stehen Impfungen skeptisch und sogar ablehnend gegenüber. Sogar die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht darin mittel- bis langfristig eine Gefahr für die Volksgesundheit. Da hilft nur eins: Vertrauen schaffen. Dies, zumal hier auch wirtschaftlich viel auf dem Spiel steht.
Die Wirtschaft scheint im Moment aber schon Priorität zu genießen, stellt Het Nieuwsblad fest. Es ist ja so, dass allein die Regierung definiert, was für die Bürger von wesentlicher Bedeutung ist und was nicht. Wenn man sich das genauer anschaut, dann gibt es kein Vertun: Neben der Gesundheitsfürsorge steht eben die Wirtschaft ganz oben auf der Liste. Was natürlich nicht vollkommen unlogisch ist. Nur kommt danach lange nichts. Manchmal schien es fast, als hätte man sogar die Schule vergessen. Ziemlich weit unten kommt dann erst die Kultur. Vielleicht ist das ein Indiz dafür, dass die Kultur in unserer Gesellschaft nicht mehr ihren einstigen Stellenwert hat. Das wäre vielleicht mal eine Debatte wert.
Charleroi - Bilder sprechen deutliche Sprache
Einige Leitartikler kommen auch noch einmal zurück auf den schockierenden Vorfall im Flughafen von Charleroi. Nach einem brutalen Polizeieinsatz ist ein 38-jähriger slowakischer Geschäftsmann gestorben. Der Fall liegt schon zweieinhalb Jahre zurück, wurde der breiten Öffentlichkeit aber erst jetzt bekannt.
"Was wäre, wenn es keine Bilder von dem Vorfall gegeben hätte?", fragt sich nachdenklich Het Laatste Nieuws. Zwar läuft polizeiintern eine Untersuchung, man wird aber den Eindruck nicht los, dass diese Geschichte unter den Teppich gekehrt werden sollte. Und warum dauert das so lange? Jedem, der sich die Bilder anschaut, wird schnell klar, dass bei diesem Einsatz vieles gehörig falsch gelaufen ist. Natürlich sollte man nicht alle Polizeibeamte über denselben Kamm scheren. Die offenen Fragen müssen aber beantwortet werden.
Die Polizeigewerkschaft SLFP macht ihrerseits geltend, dass es für Fälle wie den randalierenden Fluggast von Charleroi keine klaren Richtlinien gibt. Wenn man die Bilder sieht, dann ist dieser Einwand allerdings total fehl am Platz, zischt Gazet van Antwerpen. Das Vorgehen ist vollkommen unverhältnismäßig. Und obendrauf zeigt dann eine Polizistin noch den Hitler-Gruß. Die wurde später deswegen lediglich in den Innendienst versetzt. Und damit glaubt man, dass die Sache erledigt ist. In der Zwischenzeit gehen diese Bilder um die Welt. Für das Image des Landes ist das wohl schlimmer als unsere katastrophalen Corona-Zahlen oder die schleppende Regierungsbildung.
Hier darf es aber nicht nur um die Bestrafung der Polizisten gehen, meint De Morgen. Die Frage muss lauten, wie wir solche Dramen in Zukunft vermeiden können?
Roger Pint
In Bezug auf den Vorfall im Flughafen von Charleroi und auch einigen anderen Vorfällen aus der vergangenen Zeit, darf nicht übersehen werden, dass der Polizeidienst immer anstrengender wird. Es gibt immer mehr Einsätze und Vorfälle, bei denen die Polizeibeamten auf agresive und verwirrte Menschen treffen. Das dies zu stressbedingten Überreaktionen führen kann, ist nicht außergewähnlich. Aus meiner Sicht sollte dieser Aspekt näher beleuchtet werden und es sollten Maßnahmen in Form von speziellen Schulungen und auch von einer Betreuung der Einsatzgruppen durch sehr erfahrene Berater eingerichtet werden. Dadurch würden Erfahrungen von den älteren Beamten an die jüngeren Kollegen weiter gegeben und in Gesprächen Erlebnisse aufgearbeitet werden. Dies könnte ein guter Beitrag sein, um sehr viel Druck von den Beamten zu nehmen und somit für diese den Dienst auch wieder erträglicher zu gestalten. Denn oft sind sie auf sich gestellt und können diese Flut, an teilweise sehr erdrückenden Emotionen nicht alleine verarbeiten.