"Die Ferien nehmen endlich Form an", titelt Het Nieuwsblad. Die EU-Innenminister haben ihre Vorgehensweise abgesprochen, sich also im Großen und Ganzen auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt mit Blick auf die Öffnung der Grenzen. Grob zusammengefasst heißt das für Belgier: Ab dem 15. Juni sind wieder Reisen in die meisten europäischen Länder möglich. Ab dem 1. Juli kommen dann noch Spanien und Griechenland hinzu. Le Soir macht das Ganze plastischer: Auf der Titelseite steht das Wort "Willkommen" in sechs verschiedenen Sprachen - das spanische "Bienvenidos" ist noch durchgestrichen.
Vögel für die Katze
Diese Lockerungen sind ein untrügerisches Indiz dafür, dass das Schlimmste der Corona-Krise erstmal hinter uns liegt. Wobei die Gesundheitsbehörden freilich nach wie vor zur Vorsicht mahnen. Dennoch: Zeit für eine erste Bilanz. Und die fällt für viele Zeitungen eher durchwachsen bis negativ aus: "Es war Krieg, aber wir hatten keine Munition", beklagt der Pflegesektor auf Seite eins von De Standaard. Eine Zahl spricht Bände: 65 %, also zwei Drittel der Covid-Todesopfer waren Bewohner von Alten- und Pflegeeinrichtungen.
Die Heime waren Vögel für die Katze, meint De Standaard in einem kritischen Kommentar. Im Grunde haben wir zwei Epidemien erlebt. Zum einen die in der "allgemeinen" Bevölkerung, die im Wesentlichen durch den Lockdown eingedämmt werden konnte. Das war aber nur die "kleine" Epidemie. Daneben gab es ja noch die Krankheitswelle, die sich hinter den Mauern der Alten- und Pflegeeinrichtungen, abseits von den Blicken, vollzogen hat. Während für die erste Epidemie die Krankenhäuser mit allem, was sie hatten bereitstanden, waren die Altenheime der Welle quasi schutzlos ausgeliefert. Das muss mindestens aufgearbeitet werden. In der Politik sagt man schnell, dass das Versagen "kollektiv" war. Das wäre aber zu einfach. Zu gravierend waren die Defizite. Nach einem solchen Drama sollten sich alle in Demut üben und sich vor den Opfern verneigen - und alles dafür tun, dass sich so etwas nie wiederholt.
"Wege hin zu einer besseren Gesundheitsversorgung"
La Libre Belgique blickt ihrerseits resolut in die Zukunft. Das Blatt sucht in seiner Aufmachergeschichte nach "Wegen hin zu einer besseren Gesundheitsversorgung im Jahr 2025". Die Serie ist auf mehrere Tage angelegt.
Die Frage aller Fragen lautet: "Was können wir tun, um bis 2025 die Lage grundlegend zu verbessern?", präzisiert das Blatt in seinem Leitartikel. Lasst uns einen Neuanfang wagen! Lasst uns eine Rückkehr zur Abnormalität vermeiden; erst recht eine Vertiefung der zwei-Klassen-Medizin. Die Welt von morgen wird bestimmt nicht besser sein, wenn eine Minderheit ihre Vision der restlichen Bevölkerung aufzwingt, wenn man weiterhin die Augen vor sozial Schwachen verschließt. Diese betont positive Herangehensweise muss ja nicht bedeuten, dass wir dem Wohlstand den Rücken zuwenden. Er sollte einfach nur jedem zugutekommen. Jetzt ist jedenfalls der Moment, Fehlentwicklungen zu korrigieren.
In den letzten Monaten waren wir tapfer, solidarisch und erfinderisch. Das müssen wir aber auch bleiben, mahnt ihrerseits Gazet van Antwerpen. Nach der sanitären Schlacht wartet jetzt nämlich die wirtschaftliche. Da rollt ein wirklicher Tsunami auf uns zu. Nach ersten Berechnungen der Nationalbank könnten bis zu 180.000 Jobs vernichtet werden. Obendrauf kämen demnach noch mal bis zu 70.000 Selbständige, die wegen der Corona-Krise Konkurs anmelden könnten. In den letzten Tagen haben wir schon die Vorboten gesehen. Und jeder weiß: Normalisieren wird sich auch die wirtschaftliche Lage erst, wenn es einen Impfstoff gibt. Bis dahin kann die Wirtschaft nicht auf vollen Touren drehen.
"Gemeinsam an der Zukunft für das Land arbeiten"
Wir brauchen jetzt dringend ein Konjunkturprogramm, das diesen Namen auch verdient, so der flammende Appell von L'Echo und De Tijd. Nur tritt man da im Moment hierzulande ziemlich auf der Stelle, beklagt L'Echo. Will Belgien am Ende das einzige Land in ganz Europa sein, das keine Regierung hat, um jetzt schnell den wirtschaftlichen Wiederaufbau anzustoßen? Man kann es nicht oft genug wiederholen: Es ist höchste Eisenbahn; alle müssen sie ihre ideologische Dogmen beiseite legen, um gemeinsam an einer Zukunft für das Land zu arbeiten. Andere Staaten sind längst damit beschäftigt.
Vor allem aber brauchen wir einen wirklichen Plan. Es darf nicht sein, dass der Staat blindlings mit der Gießkanne das Geld über das Land verteilt. Investieren sollte man prioritär in die Zukunft, in die Digitalisierung, in eine nachhaltige und klimafreundliche Wirtschaft.
Kein "Weiter so!"
Die Deutschen haben es vorgemacht, bemerkt Het Belang van Limburg. Der Konjunkturplan, den die deutsche Regierung um Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgelegt hat, kann absolut als Vorbild dienen. Digitalisierung und Klimaschutz stehen hier ganz klar im Mittelpunkt. In der Zwischenzeit wird aber in der belgischen Küche immer noch herumgestanden, statt zu kochen.
"Es reicht!", meint denn auch wütend De Tijd. Schon in der eigentlichen Corona-Krise haben wir an allen Ecken und Enden offensichtliche Defizite gesehen: Führungsschwäche, inkohärente politische Entscheidungsstrukturen, Zersplitterung, mangelnde Reaktionsfähigkeit. Und das droht sich fortzusetzen. Schuld ist die verwinkelnde Staatsstruktur. Natürlich ist jetzt nicht wirklich der richtige Zeitpunkt für endloses Palaver über eine neue Staatsreform. Ein "Weiter so" ist aber bestimmt auch keine Option. Die ungeordnete und verworrene Entscheidungsstruktur kostet uns eine Menge Geld. Wenn nicht langsam, aber sicher alle an einem Strang ziehen, dann gibt es tatsächlich auch sozialwirtschaftlich nur eine Schlussfolgerung: Es reicht.
Die FGTB und der Schatten der marxistischen PTB
Die frankophonen Blätter blicken ihrerseits befremdet auf die FGTB. Die sozialistische Gewerkschaft leistet sich gerade ein waschechtes internes Zerwürfnis. Hintergrund ist ein Treffen zwischen dem FGTB-Vorsitzenden Robert Vertenueil und dem MR-Präsidenten Georges-Louis Bouchez. Im Anschluss hatten sich beide unerwartet einig gezeigt, erklärten sich unter anderem bereit, gemeinsam an einem neuen Sozialpakt zu arbeiten. Bei der roten Basis ist das allerdings ganz schlecht angekommen. Nicht nur, dass jeder MR-Präsident für viele FGTB-Mitglieder prinzipiell der Erzfeind ist. Robert Vertenueil soll zudem kein Mandat für diese Unterredung gehabt haben. Dem FGTB-Chef droht jetzt sogar die Absetzung.
La Libre Belgique spricht in einer außergewöhnlich giftigen Glosse von den "Ayatollahs" der FGTB. Was wird Vertenueil vorgeworfen? Hat er sich dem Vlaams Belang angeschlossen? Hat er Donald Trump unterstützt? Hat er seine Steuer nicht bezahlt? Nein! Er hat lediglich Georges-Louis Bouchez getroffen. Was für eine Frevel! Allein dafür verdient er eine Fatwa! Es ist offensichtlich, dass Vertenueil hier von bornierten Marxisten in die Schranken gewiesen werden soll. Herr Vertenueil: Setzen Sie bitte weiter auf Dialog!
Le Soir formuliert es etwas nüchterner. Robert Vertenueil sitzt in der Klemme. War es Naivität? Selbstüberschätzung? Oder hat er die Gemütslage bei seiner Truppe falsch eingeschätzt? Fakt ist, dass der Mann jetzt auf den Schleudersitz sitzt. Das ist im Übrigen auch PS-Chef Paul Magnette passiert, der von seiner Basis zurückgepfiffen wurde, als er eine Notregierung mit der N-VA auf die Beine stellen wollte. Beide Episoden lassen tief blicken. Über der roten Basis hängt der Schatten der marxistischen PTB. Und das sorgt für eine Verhärtung der Positionen. Die flämischen Parteien seien gewarnt: Die Führer der frankophonen Linken sind im Moment nur unter Auflagen frei.
Roger Pint
Es ist doch gut, wenn Rote und Blaue miteinander reden. Wenn dann irgendwelche Rote Ayatollahs rot sehen, kann man nur feststellen, dass diesen das Verständnis für Demokratie fehlt. Die träumen bestimmt insgeheim von einer wallonischen Sowjetrepublik als einzig möglicher Konsequenz aus den Pannen der Coronakrise.