"Noch sehr viel Arbeit", titelt heute Het Nieuwsblad. Die Schlagzeile steht stellvertretend dafür, dass Belgien noch einiges zu tun hat, damit der Ausstieg aus dem Lockdown so gut wie möglich verläuft. Noch fehlt es an ausreichend Testmöglichkeiten, schreibt die Zeitung.
Geplant waren 25.000 Tests pro Tag, derzeit sind es nur 15.000. Auch mit den Atemschutzmasken gibt es Probleme: "40 Prozent der FFP2-Masken sind nicht konform", berichtet Le Soir. Und die Pläne für eine Corona-App sind gescheitert, weiß L’Echo.
Und über allem steht die Angst vor einer zweiten Welle. Einige Zeitungen weisen da in ihren Leitartikeln auf die Entwicklung in Deutschland hin. Dort ist die Infektionsrate, nach der Lockerung einiger Maßnahmen, gestern wieder auf 1,0 gestiegen. Um die Epidemie zu stoppen, muss die sogenannte Reproduktionsrate aber darunter liegen.
De Tijd findet das beunruhigend: Selbst in Ländern mit einem robusten Gesundheitssystem wird die Gesundheitsversorgung hart auf die Probe gestellt. Ein Wiederaufflammen wird den Druck auf die Krankenhäuser und die medizinische Welt erneut erhöhen. Unter den gegebenen Umständen kann das fatal werden. Wie lange kann ein medizinischer Notstand anhalten, ohne dass das Personal komplett überarbeitet ist?
Stümperei am Spielfeldrand
Auch Het Nieuwsblad nimmt Bezug auf die Entwicklungen in Deutschland und fragt sich in seinem Leitartikel, wo Belgien steht: Atemschutzmasken? Zu spät und zu wenig. Jeden mit Symptomen testen? Klappt immer noch nicht. Tracing? Da gibt es nicht mal eine Ausschreibung. Wir stehen nirgends.
Falls der Neustart am Ende doch abgeblasen werden muss, dann liegt das in der Verantwortung der quälend langsamen Minister. Falls die Lockerung doch durchgedrückt wird, ohne richtig vorbereitet zu sein, kann der Schaden noch größer werden. Dann tragen sie allemal eine schwere Schuld.
Die Experten werden noch verrückt durch diese Langsamkeit. Sie haben ihren Teil unter Kontrolle. Wir auch. All die Anstrengungen drohen umsonst gewesen zu sein durch diese Stümperei am Spielfeldrand, schreibt Het Nieuwsblad.
Mangel an politischer Courage
Die Wirtschaftszeitung L’Echo beschäftigt sich in ihrem Kommentar mit dem Scheitern einer belgischen Corona-App: Eine solche Kontakt-App scheint eine Last zu sein, die sich kein politisch Verantwortlicher aufbürden will, wenn gerade die nationale Einheit zerbröckelt.
Das Kabinett des zuständigen Ministers De Backer ist nicht das einzige, auf das man da mit dem Finger zeigen muss. Auch die Regionen haben sich geweigert, eine Entscheidung zu treffen. Aus Angst, mit einer App in Verbindung gebracht zu werden, die möglicherweise die Privatsphäre ihrer Bürger verletzt.
Nicht zu vergessen die Rückkehr zur Gemeinschaftspolitik bei den Verhandlungen. Lieber eine wallonische oder doch lieber eine flämische App? Ehrlich gesagt, was spielt das für eine Rolle, solange sie funktioniert und den gesetzlichen Rahmen respektiert, der den Bürger schützen soll?
Damit das klar ist: Eine Contact-Tracing-App ist nicht das Allheilmittel im Kampf gegen das Coronavirus. Sie ist nur ein, sicherlich wichtiges, Element einer globalen Exit-Strategie. Nichtsdestotrotz, das Management dieses Dossiers gibt wieder einmal den Eindruck von Amateurhaftigkeit. Belgien verzichtet auf ein technisches Werkzeug, das Leben retten kann. Aus Mangel an politischer Courage.
Gelähmte Demokratien
Le Soir analysiert: Diese konfusen und scheinheiligen Reden, dieser unverständliche Rückstand bei der Verwirklichung der Ziele und die Unfähigkeit, etwas in die Tat umzusetzen, hinterlässt den Eindruck von Chaos.
Dieses Chaos wird oft mit komplexen politischen Strukturen und der institutionellen Zersplitterung verbunden. Allerdings müssen wir feststellen, dass es in zentralisierteren Staaten genauso ist. Die Unfähigkeit der Politik in dieser Krise liegt in der Natur dieser Plage, und an den Haushaltskürzungen der letzten Jahre. Und schließt sich der strukturellen Lähmung an, die unsere Demokratien schon bei den Herausforderungen Klima, Migration und Ungleichheit ergriffen hat, weiß Le Soir.
Wirtschaftliche Hebelwirkung
De Standaard kommt auf die Lufthansa zurück, die Belgien, für ihre Tochter Brussels Airlines, um Staatshilfe bittet: Dass die deutsche Regierung der Lufthansa helfen wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Sie kann nicht anders, genauso wie Frankreich für Air France und die Niederlande für KLM.
Aber für die belgische Regierung ist das anders. Brussels Airlines ist bereits zu hundert Prozent Eigentum der Lufthansa. Der Erhalt einer gewissen Autonomie kann kein Grund sein, das Unternehmen mit Steuergeld zusammenzuhalten. Was allerdings wohl auf dem Spiel steht, ist die wirtschaftliche Hebelwirkung eines sogenannten "Home Carriers", einer internationalen Erreichbarkeit Brüssels und der Erhalt von ungefähr 4.000 Arbeitsplätzen. Und über der hängt ein Damoklesschwert.
Denn die Sanierung, die schon vor Corona anstand, wird durch die Pandemie noch härter ausfallen. Die Regierung muss also Steuergeld in ein Unternehmen stecken, das Arbeitsplätze abbaut, einer nicht gerade nachhaltigen Tätigkeit nachgeht, und überdies in deutscher Hand ist. Das ist politisch nicht einfach zu verkaufen.
Volker Krings