"Paul Magnette hat ein Wochenende, um eine Mehrheit zu finden", titelt La Libre Belgique. Am Montag muss der Informator dem König erneut Bericht erstatten. Man kann davon ausgehen, dass er nur am Drücker bleibt, wenn es eine reelle Aussicht auf eine Koalition gibt. Magnette versucht ja, einen "Regenbogen" auf die Beine zu stellen, also eine Koalition aus Sozialisten, Liberalen und Grünen. Das hängt aber in erster Linie von der Haltung der flämischen Liberalen ab. Die Parteispitze der Open VLD, insbesondere die Vorsitzende Gwendolyn Rutten, scheint inzwischen für ein solches Szenario bereit zu sein. "Das Regenbogen-Wagnis von Gwendolyn Rutten", so formuliert es jedenfalls De Standaard. Breite Teile der blauen Basis scheinen diesen Kurs aber nicht mittragen zu wollen. De Morgen spricht von einem blauen "Bruderkrieg". Auf seiner Titelseite sieht De Standaard die Open-VLD-Chefin denn auch in einem "Dilemma".
Doch selbst, wenn die Open VLD mitmachen würde, sind einige Zeitungen skeptisch: "Eine Regenbogenkoalition hätte eine zu knappe Mehrheit", notiert etwa De Tijd auf Seite eins. Im Grunde gibt die Wirtschaftszeitung damit die Meinung des MR-Vorsitzenden Georges-Louis Bouchez wieder. Der macht in einem Interview klar, dass eine Koalition mit einer Mehrheit von lediglich einem Sitz wohl nicht stabil genug wäre. Die Schwesterzeitung L'Echo druckt dasselbe Gespräch ab, hebt aber eine andere Aussage des MR-Vorsitzenden hervor: "Die Note von Paul Magnette ist nicht ausgewogen", sagt Georges-Louis Bouchez. Er macht jedenfalls deutlich, dass ein mögliches Koalitionsabkommen doch deutlich anders aussehen müsste, als die derzeit vorliegende Note des PS-Chefs und Informators.
"... und am Ende verliert Belgien"
Ein Ausweg ist also bislang immer noch nicht wirklich zu erkennen. Dabei jährt sich gerade an diesem Wochenende der Beginn der Krise. Vor genau einem Jahr verließ die N-VA die sogenannte schwedische Koalition. Hintergrund war der Streit über den UN-Migrationspakt, das sogenannte Marrakesch-Abkommen. Wenige Tage nach dem Ausstieg der N-VA sah sich Premierminister Charles Michel dazu gezwungen, seinen Rücktritt einzureichen. Seither ist die Regierung nur noch geschäftsführend im Amt.
"Wir hangeln uns von einer Krise zur anderen", beklagt L'Echo in seinem Leitartikel. Inzwischen sind ja auch schon 200 Tage seit der Wahl vergangen. Ein Regenbogen ist ohne Zweifel der einzige mögliche Ausweg. Es gibt noch zwei andere Alternativen: Entweder eine Koalition um die Achse PS-N-VA. Das ist aber nach wie vor unwahrscheinlich. Oder Neuwahlen. Ob die allerdings eine günstigere Konstellation schaffen würden, ist mehr als fraglich. Diese beiden Alternativen würden aber bedeuten, dass wir noch mehr Zeit verlieren. Zeit, die wir nicht haben. Zeit, in der der Föderalstaat nicht verwaltet, Reformen nicht durchgeführt und der Haushalt nicht saniert werden. Eine Lehre wird man wohl daraus ziehen müssen, nämlich, dass die Funktionsweise des Föderalstaates gründlich überdacht werden muss.
"... und am Ende verliert Belgien", so auch der nachdenkliche Kommentar von La Libre Belgique. An diesem Wochenende wird der x-te Akt in diesem politischen Drama aufgeführt. Entweder Paul Magnette schafft es, die Open VLD in sein Boot zu locken; dann kann der König seine Mission verlängern. Oder eben ein Regenbogen erweist sich als unmöglich; und dann wird der König wohl einen neuen Informator in die Arena schicken. Das Staatsoberhaupt muss hier eine heikle Entscheidung treffen. Im Grunde geht es um die Suche nach dem kleineren Übel - kein Weg ist ohne Risiko, auch nicht für die Zukunft des Landes.
Retter oder Totengräber?
"Joachim Coens ist der neue Vorsitzende der CD&V", schreibt derweil Het Laatste Nieuws auf seiner Titelseite. Der 53-Jährige ist derzeit Geschäftsführer des Hafens von Zeebrügge. "Aber es war ein knappes Ergebnis", fügt Het Nieuwsblad hinzu. In der zweiten Runde des Mitgliederentscheids konnte Joachim Coens lediglich 53 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Sein Gegenkandidat, der 31-Jährige Sammy Mahdi, schnitt mit 47 Prozent erstaunlich gut ab. "Mahdi wird damit unumgänglich", bemerkt De Standaard. Coens selbst ist dennoch zufrieden mit dem Ergebnis: "Knapp? Es hätte noch viel knapper werden können!", sagt er in Het Laatste Nieuws.
Ein starkes Mandat sähe dennoch anders aus, meint Het Nieuwsblad in seinem Kommentar. Das Ergebnis ist symptomatisch, zeigt eindrucksvoll, wie gespalten und orientierungslos die CD&V ist. Coens steht vor einer Herkulesaufgabe. Das weiß er wohl auch. Und es ehrt ihn und auch die sechs anderen Kandidaten, dass sie sich überhaupt auf den Posten beworben haben. Ausnahmslos alle Schwergewichte haben diesen Kelch an sich vorübergehen lassen, um sich nicht daran zu verschlucken.
Mit Joachim Coens hat man sich für Vertrauenswürdigkeit und Erfahrung entschieden, konstatiert Het Laatste Nieuws. Wird er der Retter oder der Totengräber seiner Partei sein? Man sollte ihm zumindest eine Chance geben. Allerdings: Wenn die CD&V da steht, wo sie jetzt ist, nämlich am Abgrund, dann wohl vor allem, weil sie sich viel zu oft für den vermeintlich sicheren Weg entschieden hat. Risikoscheu war sie. Um die Partei wieder aufzurichten, wird mehr nötig sein, als ein frisches Windchen.
Het Belang van Limburg zieht auch einen windigen Vergleich: Joachim Coens ist wohl so etwas wie eine salzige Seebrise. Das Ergebnis von Sammy Mahdi zeigt, dass sich viele wohl einen frischeren und stärkeren Wind gewünscht hätten. Frische könnte die CD&V in der Tat gebrauchen. Coens wird jetzt gleich eine schwierige Entscheidung treffen müssen, nämlich, ob seine Partei nicht doch noch auf den fahrenden Regenbogen-Zug aufspringen soll. Die Frage lautet nämlich: Was muss die CD&V tun, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken?
Gesetze können durchaus helfen
Zum Abschluss eine Meldung, die nachdenklich macht: "Noch nie sind so viele 12- bis 13-Jährige betrunken in der Notaufnahme gelandet", schreiben Het Laatste Nieuws und Het Nieuwsblad. Im letzten Jahr waren das insgesamt knapp 120. Fast nirgendwo anders ist diese Zahl so hoch wie in Belgien.
De Morgen und De Standaard plädieren in diesem Zusammenhang beide für eine Anhebung des gesetzlichen Mindestalters für Alkoholkonsum von 16 auf 18 Jahre. Belgien gehört zu den letzten Ländern in Europa, die da noch auf der Bremse stehen. Der Vorwurf der Bevormundung greift hier zu kurz, meint De Standaard. Am Beispiel Rauchen sieht man, dass Gesetze durchaus helfen, Verhalten zu verändern.
Roger Pint