"Die N-VA schnappt sich das Unterrichtswesen", titelt De Standaard. "Wouter Beke hat einen Superposten für die CD&V eingefordert", so die Schlagzeile von De Morgen.
Jetzt ist auch die Zusammenstellung der neuen flämischen Regierung weitgehend bekannt. Die N-VA bekommt neben dem Ministerpräsidenten Jan Jambon drei weitere Ministerposten. Der bisherige Mobilitätsminister Ben Weyts ist künftig für den Unterricht zuständig. Die Nationalisten werden darüber hinaus mit Liesbeth Homans die flämische Parlamentspräsidentin stellen. Die CD&V konnte drei Ministerposten ergattern, darunter die wichtigen Bereiche Gesundheit und Wirtschaft. Der bisherige Parteichef Wouter Beke wird selbst Teil der neuen Regierung. Bei der OpenVLD ist das Casting noch unklar.
Am Abend hatten die Mitglieder der drei Koalitionsparteien den Regierungsvertrag im Rahmen von Sonderkongressen abgesegnet. "Applaus auf allen Bänken", bemerkt dazu Gazet van Antwerpen. "Die N-VA erlebte einen 'Applaus-Kongress'", schreibt sinngemäß De Tijd. "Die Regierung Jambon I ist im Orbit", notiert La Libre Belgique. Wobei: Wie De Morgen berichtet, war insbesondere bei der CD&V das Unbehagen in Teilen der Basis durchaus spürbar.
"Noch nie war es so hart und so rechts"
Einige Zeitungen haben sich den eigentlichen Koalitionsvertrag nochmal genauer angesehen. Der vollständige Text ist ja erst seit gestern bekannt. Eine Maßnahme steht auf Seite eins von Het Belang van Limburg: "Bald werden die Roten Teufel in der VRT nicht mehr zu sehen sein".
Die neue Regierung will die öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalt "an die Kette legen", wie auch Het Laatste Nieuws feststellt. Das Angebot soll deutlich eingeschränkt werden. Unter anderem soll sich die VRT auch keine teuren Sportrechte mehr leisten dürfen
Viele flämische Leitartikler gehen nach wie vor kritisch mit dem Koalitionsabkommen ins Gericht. Noch nie war ein Regierungsprogramm so hart und so rechts, konstatiert etwa Het Belang van Limburg. Natürlich enthält der Koalitions-Eintopf auch gute Zutaten; und das Ganze wird auch mit einem sozialen Sößchen übergossen. Es bleibt aber ein Eintopf.
Genauer gesagt: Was wir hier sehen, das ist ein "National-Katalog", ein 300 Seiten starker Wälzer, der sehr flämisch daherkommt. Und in den entscheidenden Kapiteln, wenns um Geld geht, da bleibt das Ganze dann doch wieder sehr vage.
Wie ein 3-Suisses-Katalog
Auch Het Nieuwsblad fühlt sich an "Les 3 Suisses" erinnert, so etwas wie der franko-belgische "Quelle"-Katalog. 300 Seiten, für die die Partner insgesamt 127 Tage gebraucht haben. Quasi ganz Flandern wird da abgebildet. Und doch vermisst man etwas: Kühnheit, wirklichen Mut.
Der Regierungsvertrag ist weniger ehrgeizig als der der Vorgänger-Equipe. Abgesehen vielleicht vom Kapitel Migration und Einbürgerung vermisst man wirklich große Projekte. Ganz zu schweigen davon, dass die Zahlen fehlen. Keine der Maßnahmen ist wirklich beziffert. Die Mitglieder der drei Parteien haben ihren Verantwortlichen gestern eigentlich einen Blanko-Scheck ausgestellt.
"Eins ist aber überdeutlich", meint De Standaard: Dieses Koalitionsabkommen trägt ganz klar die Handschrift der N-VA. Beim letzten Mal waren ja noch geübte CD&V-Autoren beteiligt. Diesmal haben sich die CD&V und auch die Open VLD der Dominanz der N-VA gebeugt. Und es gibt auch Gründe dafür, warum der Text so umfangreich ausgefallen ist: Man will eine Neuauflage des Kabel-Kabinetts vermeiden. Ob das gelingen wird, das muss sich aber erst noch zeigen. Weil das Ganze nämlich immer noch sehr vage ausgefallen ist, gibt es nach wie vor ausreichend Zündstoff für neue Streitereien.
"Verkappte Steuererhöhung"
Einige Zeitungen greifen auch heute wieder die geplante Abschaffung des so genannten Wohnbonus' auf. Die steuerliche Absetzbarkeit von Immobiliendarlehen läuft in Flandern Ende des Jahres aus. "Wer noch einen Wohnbonus will, der muss sich beeilen", notiert sinngemäß De Tijd. "Wer in Flandern noch ein Haus oder eine Wohnung kaufen will, für den gilt: Jetzt oder nie", schreibt auch La Libre Belgique.
"Das ist eine verkappte Steuererhöhung", ist De Tijd überzeugt. Klar: Aus rein wirtschaftlicher Sicht ist die Abschaffung des Wohnbonus' perfekt zu rechtfertigen. Nur ein Beispiel: Die Maßnahme dürfte wohl verhindern, dass die Blase auf dem Immobilienmarkt noch größer wird. Der Höhenflug der Preise dürfte jetzt jedenfalls aufhören. Das ändert aber nichts daran, dass sich das insbesondere für junge Menschen wie eine Steuererhöhung anfühlt.
Einen Nerv getroffen
Genau das hat der rechtsextreme Vlaams Belang auch schon erkannt, analysiert Het Laatste Nieuws. Gestern fiel auf, dass der Vlaams Belang in Sozialen Netzwerken plötzlich kein Wort mehr verloren hat über Migranten, Asylbewerber oder Moslems. Vielmehr war der Wohnbonus plötzlich bei den Rechtsextremisten Thema Nummer eins.
Und wenn man sieht, wie oft die entsprechenden Posts in den sozialen Medien geliked oder geteilt wurden, dann scheint die Partei durchaus einen Nerv getroffen zu haben. Jetzt zeigt sich schon die wohl größte Herausforderung für die N-VA: Man muss aufpassen, dass am Ende nicht das Bild hängen bleibt von einer Regierung, die den Menschen das Geld aus der Tasche zieht.
Jan Jambon scheint sich der Gefahr bewusst zu sein, die der Vlaams Belang für seine Regierung darstellt: "Wir gönnen dem Vlaams Belang wieder fünf Jahre Luxus", sagt er auf Seite eines von Het Nieuwsblad. Gemeint ist damit, dass die Rechtsextremisten jetzt von der Seitenlinie aus wieder den Besserwisser geben können.
Nur die Zeit kann helfen!
Jetzt, wo die flämische Regierung so gut wie auf den Schienen ist, sollte sich der Fokus eigentlich auf die föderale Ebene legen. Dort ist ja bekanntlich seit der Wahl noch so gut wie nichts passiert. "Und ein Deal ist in weiter Ferne", meint La Libre Belgique. Erst recht jetzt, wo Flandern noch weiter nach rechts tendiert. "Der Norden und der Süden haben einen jeweils unterschiedenen Kurs eingeschlagen", kann auch Le Soir nur feststellen.
Vor uns liegt noch ein langer Weg, glaubt auch L'Avenir in seinem Leitartikel. Der Graben zwischen dem Norden und den Süden scheint tiefer denn je zu sein. Zwar gilt die Maxime: "Nur Dummköpfe ändern nicht ihre Meinung". Im vorliegenden Fall ist aber nur schwer vorstellbar, wie sich N-VA und PS einander annähern sollen. In der Politik kann in einer solchen Situation eigentlich nur ein Faktor helfen: die Zeit.
rop/jp