"Mission impossible", titelt Het Nieuwsblad. "N-VA und PS schließen sich gegenseitig aus", stellt De Tijd auf seiner Titelseite fest. "De Wever setzt das politische System unter Hochspannung", schreibt De Standaard.
Düstere Schlagzeilen infolge des Schwarzen Sonntags. König Philippe hat bereits gestern, am Tag eins nach der Wahl, mit seinen Konsultationen mit Blick auf die Bildung einer neuen Föderalregierung, begonnen. "Der König will keine Zeit verlieren", bemerkt das GrenzEcho.
Die Bildung einer neuen Koalition dürfte sich aber als schwierig erweisen, sind sich alle Blätter einig. Fast die Hälfte aller flämischen Sitze in der Kammer gehören flämischen Nationalisten, also entweder der N-VA oder dem Vlaams Belang.
"Ärger, Trostlosigkeit, Hoffnung"
"Der Konföderalismus ist die einzige Lösung", zitiert L'Echo auf seiner Titelseite den N-VA-Vorsitzenden Bart De Wever. Der hat nämlich die Situation gleich beim Schopf gepackt und will die Spaltung des Landes weiter vorantreiben. Konföderalismus würde ja im Wesentlichen bedeuten, dass Belgien in eine Art Staatenbund umgewandelt würde, bestehend aus weitgehend autonomen Teilstaaten. Der Punkt: De Wever und seine N-VA sind auf flämischer Seite unumgänglich. Jede Koalition ohne die N-VA hätte auf flämischer Seite keine Mehrheit. Bart De Wever steht also im Zentrum des Spiels. Und er wiederum schließt eine Koalition mit den linken frankophonen Parteien aus, mit der PS, aber auch mit Ecolo. Bange Frage denn auch auf Seite eins von L'Avenir: "Wie viele Tage werden wir diesmal ohne Regierung sein?".
In den Kommentaren der frankophonen Zeitungen sieht man eine Mischung aus Verzweiflung und Durchhalteparolen. "Ärger, Trostlosigkeit, Hoffnung", so fasst etwa La Libre Belgique ihre derzeitige Gemütslage zusammen. Ärger, weil die traditionellen Parteien mal wieder eine noch dazu beißende Niederlage schönreden. Trostlosigkeit, weil sich die Wähler für extremistische Parteien entschieden haben: Vlaams Belang im Norden und PTB im Süden. In beiden Fällen haben sich die Menschen für das Original entschieden, nachdem N-VA beziehungsweise PS die Ideen der Extremisten erst salonfähig gemacht hatten. Aber auch Hoffnung: Trotz des Vormarschs der flämischen Nationalisten sei die Frage erlaubt, wie viele Flamen wirklich das Ende Belgiens wollen. Ja, in der Tat: Ein Sturm ist losgebrochen. Mit einer guten Besatzung wird das Schiff aber nicht untergehen.
Wir sprechen nicht mehr dieselbe Sprache
La Dernière Heure wirkt nicht ganz so optimistisch. Die Wallonie tendiert mehr denn je nach links, Flandern mehr denn je nach rechts. Die Verbindung ist ernsthaft gestört und es wird sehr kompliziert, beide Seiten wieder auf eine Wellenlänge zu bekommen. Da sollten sich auch die Frankophonen mal an die eigene Nase fassen. Die beschränken sich darauf, bei jedem neuen Rechtsruck in Flandern die Moralkeule zu schwingen und theatralisch ihre Betroffenheit zum Ausdruck zu bringen. Die wenigsten haben sich bemüht, einmal zu versuchen, die Wähler im Norden des Landes zu verstehen. Wir sprechen definitiv nicht mehr dieselbe Sprache in diesem Land.
"Das ist nur der Anfang", orakelt L'Avenir. Das Ganze hat auf jeden Fall gleich ganz schlecht angefangen. Was die Bürger aus dem Norden und aus dem Süden des Landes nach dieser Wahl noch verbindet, das ist wohl das Kopfschütteln über den jeweils anderen Landesteil. Aus Sicht der Wallonen versinkt Flandern in einem stinkenden Sumpf aus Egoismus, Rassismus und Rechtsextremismus. Die Flamen betrachten ihrerseits die Frankophonen als rückständig und verantwortungslos. Zwei Sprachgruppen, zwei Ideale, zwei Schicksale, zwei unterschiedliche Stoßrichtungen. Wohl dem, der da noch einen Ausweg sieht.
Belgien ist unregierbar, stellt L'Echo nüchtern und ohne Konjunktiv fest. Der 26. Mai hat den Föderalstaat in einen Trümmerhaufen verwandelt. Langsam aber sicher stellt sich wohl tatsächlich die Frage, was die Flamen, Wallonen und Brüsseler noch zusammen machen wollen. Belgien stellt zweifelsohne immer noch einen Mehrwert dar. Und das hat nichts mit Nostalgie zu tun, sondern mit wirtschaftlicher Effizienz, Solidarität und Werten. Man kann aber nicht ausblenden, dass fast die Hälfte der Flamen für separatistische Parteien gestimmt haben. Entsprechend wird es Zeit, dass die Frankophonen ihre Schlüsse daraus ziehen und damit anfangen, ihre Forderungen zu Papier zu bringen.
Zynisches politisches Pokerspiel der N-VA
Die Frankophonen sollten die Augen öffnen, mahnt auch Het Laatste Nieuws. Im Süden des Landes gibt man sich gar nicht die Mühe, sich mal in die Köpfe der flämischen Mitbürger zu versetzen. Man kann jetzt jedenfalls nicht alle Vlaams Belang-Wähler pauschal als "Faschos" abstempeln. Und wer genauer hinschaut: Auch bei der N-VA machen die Hardliner die besten Vorzugsstimmen-Ergebnisse, Leute wie Theo Franken oder Zuhal Demir. Also Politiker, die für eine strenge Migrationspolitik eintreten. Die Richtung ist deutlich. Doch selbst, wenn man es ihnen noch auf Französisch übersetzt, wollen die Frankophonen das nicht hören.
De Standaard beschäftigt sich seinerseits mit der Strategie von Bart De Wever. Der N-VA-Chef hat schon mehrmals zu verstehen gegeben, dass er sich nicht prinzipiell an den Cordon Sanitaire gebunden sieht, also jene Bannmeile um den Vlaams Belang, jene Selbstverpflichtung der demokratischen Parteien, keine Koalition mit Rechtsextremisten einzugehen. Allein dadurch, dass De Wever mit dem Einreißen dieser Chinesischen Mauer droht, macht er den Vlaams Belang nur noch weiter salonfähig.
Das Zynische dabei ist: Es sind viele N-VA-Wähler, die zum Vlaams Belang übergelaufen sind. Und doch instrumentalisiert die N-VA jetzt eben diese Leute, um den Rest der politischen Landschaft unter Druck zu setzen. Indem sie die Rechtextremisten indirekt zu ihren Gesinnungsgenossen macht, erreicht die N-VA nämlich schneller als gedacht und ohne eigenes Zutun ihr Ziel, nämlich die Feststellung, dass Belgien unregierbar ist. Zynisch ist das auch für die Wähler: Sie haben aus Protest für den Vlaams Belang gestimmt. Und andere spielen jetzt in ihrem Namen politische Pokerspielchen.
Roger Pint