Wie war das noch mit den zwei Demokratien? Lange Zeit ging Bart De Wever überall mit der These hausieren, wonach es in Belgien zwei Demokratien mit zwei unterschiedlichen öffentlichen Meinungen gebe: das rechtsgerichtete Flandern und die rote Wallonie. Und das war dann eben - in der Welt des N-VA-Chefs - ein Grund mehr, das Land zu spalten.
Nun, der Wahlsonntag hat ihn zumindest in diesem Punkt Lügen gestraft: Der Rechtsruck ging durch das ganze Land. In Flandern hat ein gelber Deich Schlimmeres verhindert: De Wevers N-VA hielt stand, konnte die braune Welle eindämmen. Umfragen hatten dem rechtsextremen Vlaams Belang ein Bombenergebnis vorhergesagt: Bis zu 30 Prozent und damit stärkste Partei. Der Belang konnte tatsächlich zulegen, am Ende behielt die N-VA aber dann doch die Nase vorn.
Dennoch ist die politische Landkarte Flanderns fast durchweg gelb bzw. dunkelgelb. Nur in Gent und Brüssel gibt es noch rote und grüne Flecken. Und wenn man sich die Parteiprogramme anschaut, dann ist es tatsächlich legitim zu behaupten, der flämische Wähler habe sich für mehr Autonomie und Eigenverantwortung ausgesprochen, da hat De Wever einen Punkt. In jedem Fall ist es aber eben ein Rechtsruck.
Genau das ist aber eben auch im Süden des Landes zu beobachten, wenn auch nicht in dieser Schärfe. Dass die liberale MR die PS entthronen würde, das hätte man noch vor zwei Wochen für reine Polit-Fiktion gehalten. Allein das letzte Polit-Barometer von Le Soir und Het Laatste Nieuws hatte erstmals in diese Richtung gewiesen. Wirklich glauben wollte es niemand. Der 9. Juni 2024 mit seiner blauen Welle, den kann man jedenfalls durchaus als ein historisches Datum im Kalender vermerken.
Zumal der Rechtsruck durch das überraschend starke Ergebnis von Les Engagés quasi "perfekt" ist. Die Partei von Maxime Prévot ist nämlich, im Gegensatz zur Vorgängerpartei CDH, durchaus wieder rechts vom Zentrum einzuordnen. "Rechtsruck in der Wallonie", das klang bis vor Kurzem tatsächlich noch wie "fliegende Schweine": Völlig unmöglich!
Gelber Deich, blaue Welle: Das Bild, das unter anderem die Zeitung La Dernière Heure bemüht hat, bringt den Wahlsonntag wirklich auf den Punkt. Ums mal so auszudrücken: Der Wähler hat extremistischen Irrwegen auf der rechten und auch auf der linken Seite eine Absage erteilt.
Und ob nun gelb oder blau: Die flämischen und die frankophonen Nasen weisen in die gleiche Richtung, im vorliegenden Fall eben nach rechts. Das ist, zumindest in dieser Deutlichkeit, schon ein Ereignis. Und dessen sollten sich die Akteure auf beiden Seiten der Sprachgrenze bewusst sein. Ums mal klar und deutlich zu sagen: Der Wähler hat die Karten diesmal außerordentlich günstig gelegt, günstig in dem Sinne, dass eine schnelle Regierungsbildung plötzlich kein frommer Wunsch mehr ist.
Das zeigt sich, wenn man die plausibelsten Szenarien im Norden und im Süden des Landes mal durchspielt. In Flandern ist eine Koalition aus N-VA, Vooruit und CD&V möglich - und sie ist auch die wahrscheinlichste: Die liberale OpenVLD und Groen werden wohl eine Oppositionskur machen, mit dem rechtsextremen Vlaams Belang will niemand zusammenarbeiten, ebenso wenig wie mit der PTB. N-VA, Vooruit, CD&V: Das wäre eine Mitte-Rechts-Regierung mit den Sozialisten als "soziales Gewissen", wobei Vooruit deutlich weiter rechts steht als die frankophone Schwesterpartei PS.
Kleine Klammer dazu: Die N-VA kann nicht mal in die Versuchung kommen, eine Koalition mit dem Belang zu bilden, da beide alleine keine Mehrheit hätten. Das dürfte auch bei Bart De Wever für eine gewisse Erleichterung gesorgt haben. Auch hier ist das Ergebnis erfreulich eindeutig.
Schaut man in die Wallonie, so würde sich eine Koalition aus MR und Les Engagés anbieten: Eine Mitte-Rechts-Regierung, die eine komfortable Mehrheit hätte. Die Sozialisten und Grünen wollen ja ebenfalls eine Oppositionskur vorziehen.
Und jetzt kommt's: Eben diese Konstellation hätte in der Kammer ebenfalls eine Mehrheit: N-VA, MR, die beiden Zentrumsparteien CD&V und Les Engagés, plus Vooruit. Fünf Parteien, eine für belgische Verhältnisse "kompakte" Equipe. Interessant wäre dabei, dass die frankophonen Liberalen und die flämischen Sozialisten jeweils ohne ihre Schwesterpartei ins Boot steigen würden.
Man könnte also sagen: Der Wähler hat in gewisser Weise schon eine Koalitionsempfehlung ausgegeben, die zunächst mal arithmetisch wie eine Ideallösung aussehen mag. Das allein steht schon in schrillem Kontrast zum Wahlergebnis von 2019, das viele Formeln schlichtweg unmöglich machte. Natürlich sind sich die genannten Parteien längst nicht in allen Punkten einig, natürlich wären auch hier noch haarige Verhandlungen nötig. Insbesondere die N-VA muss jetzt wissen, was sie will: Wenn Bart De Wever den Fokus auf den Haushalt und auf die Sozial- und Wirtschaftspolitik legen will, dann stünden da wohl Partner bereit.
Das alles eben nur, um zu sagen: Eine unendliche Regierungsbildung mit unzähligen Irrungen und Wirrungen, die erst durch eine Pandemie beendet werden muss, das ist kein Naturgesetz, das muss diesmal nicht sein. Wenn es vielleicht auch nicht jedem gefallen will: Das Wahlergebnis ist erfreulich klar.
Jetzt liegt es vor allem an Bart De Wever: Er hat es in der Hand, ihn hat das Wahlergebnis auf den Zenit seiner Macht katapultiert. Wenn er jetzt nicht krampfhaft seine Thesen von den "zwei Demokratien" doch noch beweisen will, dann könnte er den Sack sehr schnell zumachen. Das allein wäre vielleicht auch schon in gewisser Weise eine "Staatsreform".
Roger Pint
Gut beobachtet und geschrieben , aus meiner Sicht ! Glückwunsch dazu Herr Pint
Ein Blick in die Geschichtsbücher und kein Mensch braucht mehr sagen "Wir haben von Nichts gewusst".
Und wer wird als erstes Opfer von übermächtigen Rechtsextremisten? Neben den Juden damals waren es auch Christen und Menschen mit physischen Einschränkungen.
Für die Ärmsten 0,01 Prozent der Inlandsbewohner mit unheilbaren Erkrankungen von Ländern wie Belgien und den Niederlanden droht demnächst Obdachlosigkeit und Hungertod, weil auch Sozialrassismus und Profitoflation nicht halt machen vor Menschen, die wegen Gesundheitlicher Probleme nie wieder berufsfähig sein werden. Und das alles weil es der Mehrheit der Bewohner dieser EU-Länder einfach viel zu geht erst recht seit dem diese als Krisenüberprofiteure alle noch extra den Riesenreibach machen aus der Krise mit dem Geld der wirklich Bedürftigen [Auch über die EU von den notleidenden Deutschen].
Guter Kommentar.
Die Menschen waren das linke Gedöns einfach satt. Und da war der Rechtsruck die logische Konsequenz.
Bart De Wever als "nur" rechts einzustufen ist ein Trugschluss. Er vertritt die gleichen Werte wie der VB, er ist der Drahtzieher seit Jahrzehnten, der Hass und Separation zwischen die beiden Landesteile gesäht hat, er ist der Wolf im Schafspelz, wobei man schon sehr naiv sein muss, wenn man in ihm ein Schaf sieht. Der Unterschied zum VB ist machtpolitisch motiviert, nicht inhaltlich. Bart De Wever spricht seit Ewigkeiten von einer Zerrüttung Belgiens und das Ziel seiner Partei ist ein komplett unabhängiges Flandern, und er wird alles daran tun, als 1. Minister das Land ein Stück weiter in diese Richtung zu ziehen. Armes Belgien...