Endlich ist die Sache veraktet. Auch wenn die wichtigen Verhandlungen darüber, wie die Europäische Union und das Vereinigte Königreich in Zukunft miteinander auskommen wollen, erst anfangen müssen. Und die für jeden, der sich auch nur ein bisschen auskennt, bis Ende des Jahres nie und nimmer zu Ende gebracht werden können. Im BRF-Interview ging der Aachener Politologe und Brexit-Experte Robert Flader aber davon aus, dass der laufende Prozess "auch einen reinigenden Charakter haben kann - für beide Seiten".
Beide Seiten haben sich in den zurückliegenden dreieinhalb Jahren nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Das unrühmlichere Bild haben die Briten abgegeben mit ihrem Rumgeeiere und mit den slapstickreifen Auftritten im Unterhaus. Die EU hat auf ihrer Seite zumindest Einheit demonstriert und bei allen Zugeständnissen auch eine konsequente Haltung gezeigt. Mit ihrem transparenten Vorgehen hat sie den Rhythmus und in gewisser Weise auch den Ausgang bestimmt.
Um komplexe Zusammenhänge zu verstehen, greifen die Leute gerne auf das pralle Leben zurück. Der Brexit erinnert aber auch zu sehr an die Trennung eines Paares, das sich auseinandergelebt hat. Die Beziehung war noch nie harmonisch und irgendwann hat einer der beiden (mit sich selbst noch nicht ganz im Reinen) verkündet, ausziehen zu wollen. Der andere will das erst nicht wahr haben, versucht den Partner aufzuhalten, ehe er einsieht, dass die Trennung für beide das Beste ist.
Um das besondere Verhältnis der Briten zu (Rest-)Europa zu verstehen, lohnt sich es, etwas weiter auszuholen als nur bis zum Referendum von 2016, mit dem sich David Cameron verpokert hatte. Und weiter als bis zur "Eisernen Lady" Margaret Thatcher, die - kaum war sie Premierministerin - das Geld des Nettozahlers Großbritannien zurückhaben wollte.
Ein Foto zeigt sie wenige Jahre vorher, im Jahr 1975, als Oppositionsführerin auf Pro-Europa-Tour in einem Pullover mit den Flaggen der europäischen Partnerländer. Beim folgenden Referendum stimmten übrigens mehr als zwei Drittel der Briten für die Mitgliedschaft, die ihnen seit 1973 endlich zuerkannt worden war.
Der Vollständigkeit halber muss gesagt werden, dass Frankreichs Präsident De Gaulle die Briten vorher nicht dabei haben wollte. Vielleicht klangen ihm aber auch noch die Worte von Winston Churchill von 1944 in den Ohren: "Wann immer wir zwischen Europa und dem offenen Meer wählen müssen, sollten wir uns für das offene Meer entscheiden."
Später sprach Churchill sich für eine Art "Vereinigte Staaten von Europa" aus. Noch im übersteigerten Selbstbild des Empire gefangen führte er aus, dass die Briten zwar zu Europa stehen, aber nicht dazu gehören. Denn sie würden "zu keinem einzelnen Kontinent" gehören, "sondern zu allen".
Diese Zeiten sind längst vorbei. Weil Großbritannien wirtschaftlich abgehängt war, hat es sich dann doch befleißigt, zum "Club" zu gehören. Aber es erklärt auch zum Teil, warum sich die Briten in 47 Jahren Zugehörigkeit immer wie ein "bockiges Kind" benommen haben. Der europäische Prozess kann ohne sie besser vorankommen. Die verbleibenden 27 Mitgliedsstaaten haben noch genug Hausaufgaben zu erledigen.
Und wer weiß, vielleicht steht ja der ausgezogene Partner Großbritannien (oder das was davon übrig ist) eines Tages wieder vor der Tür. Dann sollte sich auf jeden Fall auch die Europäische Union (oder was von ihr übrig ist) weiterentwickelt haben. Das wird nicht heute und morgen der Fall sein.
Aber vielleicht in einer Generation, meinte Brexit-Experte Robert Flader. Wenn nicht mehr die mitbestimmen, die noch Churchill erlebt haben. Oder Thatcher. Sondern diejenigen, die das Gute an der Europäischen Union schätzen gelernt haben und es seit dem Brexit vermissen. In diesem Sinne: Goodbye and Good Luck!
Stephan Pesch