Erstaunlich, verblüffend, geradezu phänomenal, wie schnell Politiker doch ihre Grundhaltung ändern können. Auf den Tag genau 13 Jahre lang hat die MR in Namur die Oppositionsbank gedrückt, bis zum 28. Juli dieses Jahres. Und in dieser Rolle haben die Liberalen gerne den Erbsenzähler gegeben, insbesondere der PS oft regelrecht die Flöhe gefangen. Ist ja auch legitim, so funktioniert Demokratie.
Eben diese Strenge und Akribie, die scheint man jetzt aber buchstäblich über Nacht abgelegt zu haben. Dieselben Liberalen legen jetzt eine Reihe von Reformen auf den Tisch, die bis auf Weiteres allenfalls den Wert einer "Ankündigung" haben, eines "Versprechens". Streichung der Radio- und Fernsehgebühr, fein! 100 Euro mehr in der Tasche, das freut den Bürger. Nur: Der Region gehen damit 100 Millionen Euro durch die Lappen. Wie will man das ausgleichen? Fragezeichen. "Einsparungen", sagt die neue Equipe um den MR-Ministerpräsidenten Willy Borsus. Man werde mit dem Eisernen Besen durch die Ausgaben gehen, werde die Strukturen straffen. Und da werde man bestimmt das Geld finden.
Stopp! Jetzt, genau jetzt sollten sich die Kettenhunde von einst noch mal einen Moment lang in die alte Rolle hineindenken: Hätte eine PS-dominierte Regierung eine Reform vorgelegt, ohne darzulegen, wie man das finanziert, wie hätten die Herren Crucke oder Jeholet wohl reagiert? Sie hätten die entsprechenden Textvorlagen wohl in der Luft zerrissen.
Aber gut, das Versprechen wurde ja so laut und feierlich ausgesprochen, dass es politisch undenkbar wäre, es nicht einzuhalten. Es besteht kein Grund, an der Aufrichtigkeit der Regierung zu zweifeln. Die Radio- und Fernsehgebühr ist Geschichte, davon kann man ausgehen.
Und aus Sicht der MR ist es auch nachvollziehbar, dass man jetzt erstmal vorprescht. Die neue Regierung muss schnellstens ihre Duftmarke setzen. Für die Liberalen ist diese Geschichte nämlich bei weitem nicht ohne Risiko. Die MR will dem Wähler beweisen, dass sie es kann, dass sie es BESSER kann. Dafür hat sie allerdings im besten Fall anderthalb Jahre Zeit. In der Politik ist das ein Wimpernschlag; einen sichtbaren Politikwechsel, den führt man in der Regel nicht über Nacht herbei. Und eben deswegen ist es fast genauso wichtig, das, was man tut oder tun will, auch zu kommunizieren, an den Mann und an die Frau zu bringen.
Das wirkliche Glaubwürdigkeitsproblem, das hat in dieser Geschichte die CDH. Warum ist man jetzt plötzlich mit einer Maßnahme einverstanden, die man vor zwei Monaten noch abgelehnt hat? Diese Frage konnten die Zentrumshumanisten bislang immer noch nicht plausibel beantworten. Denn, es ist ja so: Noch im Juli, als der Stecker schon gezogen war, stand die Streichung der Radio- und Fernsehgebühr schonmal zur Debatte. Damals stand die CDH auf der Bremse. Klar: Man wollte der PS diesen Erfolg nicht mehr gönnen und stattdessen dem neuen Wunschpartner diese Trophäe auf dem Silbertablett servieren. Politisch nachvollziehbar! Nur muss man das zumindest einigermaßen schlüssig verkaufen. Wenn der CDH-Regionalminister Carlo Di Antonio jetzt erklärt, dass die Maßnahme damals, vor zwei Monaten, nicht seriös gegenfinanziert gewesen sein, dann ist das, mit Verlaub, ein schlechter Witz. Mehr als einen vagen Plan, wo man eventuell den Käsehobel ansetzen könnte, hat die neue Regierung schließlich auch nicht.
Symptomatisch und ein Omen
Diese Episode ist für die CDH symptomatisch. Und sie ist zugleich ein Omen. Symptomatisch, weil man der Partei und ihrem Vorsitzenden, Benoît Lutgen, die ganze Geschichte mit dem Koalitionsbruch und den damit verbundenen angeblich hehren Absichten nie wirklich abgekauft hat. Ein neuer Politikstil? Eine sauberere Amtsführung? Ein Bruch mit der Vergangenheit? Wie soll denn eine Partei für diese Werte stehen, die über Jahre hinweg - erstens - mit an der Macht war, und - zweitens - bis vor Kurzem noch quasi im Beiwagen der PS gesessen hat, jener PS, die man jetzt für alles Übel dieser Welt verantwortlich macht. Die unbeholfenen Erklärungen, warum jetzt geht, was vorher nicht ging, die verstärken da nur noch den Eindruck, dass es der CDH im Grunde nicht um die Sache geht, sondern nur um die Macht. Ein Fähnchen im Wind, das notfalls - kalt kalkulierend - über Leichen geht.
Und das ist erst der Anfang. Bleibt es dabei, dass die Mehrheiten in Brüssel und in der Französischen Gemeinschaft im Amt bleiben, dann wird die CDH einen Kurs fahren müssen, den man wohl am ehesten mit klinischer Schizophrenie beschreiben könnte. Wie will man denn gleichzeitig mit der MR einen Mitte-Rechts-Kurs fahren, während man in zwei anderen Regierungen mit der PS in einer Mitte-Links-Konstellation sitzt? Wenn da auch wieder so seltsame Argumentationen herauskommen, wie vor einigen Tagen aus dem Mund von Carlo Di Antonio, dann wird noch häufiger eine Fünf zur geraden Zahl. Bezeichnend: Gerade in dieser Woche ist es mehrmals vorgekommen, dass sich Zentrumshumanisten am selben Tag gegenseitig widersprochen haben.
Einen ersten ernsten Warnschuss gab es schon, und zwar in Form der neuen Umfrage von Le Soir und Het Laatste Nieuws, in der die CDH eine fiese Klatsche kassiert. Klar: Eine Umfrage ist immer nur eine Umfrage, eine Momentaufnahme. Eben für den Moment lautet aber die Botschaft: Politische Winkelzüge, verbunden mit halbgaren Argumentationen, einen solchen Zynismus will der Wähler nicht mehr sehen.
Roger Pint
Guter Kommentar. Eine demokratische Partei nach der anderen macht sich unglaubwürdig. Die PTB wird es freuen.
"Die PTB wird es freuen."
Gut so! Wer soll es sonst richten?