Martin Ehrenhauser ist schon da, als ich das Café Chez Franz in der Brüsseler Stadtgemeinde Ixelles betrete. Genau dieses Café als Treffpunkt hatte Ehrenhauser vorgeschlagen, weil dort "mein Protagonist ums Eck wohnt und ich gerne zu Gast bin", hatte der 44-jährige Romanautor als Begründung in seiner E-Mail angegeben.
Sein Protagonist, das ist Monsieur Haslinger, katholischer Priester und Seelsorger aus Wien, der aber schon seit Jahren in Brüssel wohnt und sich dort um deutschsprachige Menschen gekümmert hat. Denn jetzt ist Monsieur Haslinger im Ruhestand, hat viel mehr Zeit als bisher, macht sich Gedanken über sein Leben und - ist offen für Neues.
"In einer Nacht im Juni lag Monsieur Haslinger wach im Bett und lauschte durch die offenen Fenster in den Hinterhof. Die neue Nachbarin feierte ein Fest. Er hörte Musik und die Gespräche der Gäste, die auf der Terrasse rauchten. Ihre Stimmen waren bemüht leise, nur ein Mann sprach unbedacht laut." So beginnt der Roman, und auf den folgenden 200 Seiten bekommt es Monsieur Haslinger erst langsam, dann immer intensiver und vertraulicher mit seiner neuen Nachbarin zu tun.
In den ersten beiden Teilen des Buches spielt sich das in Brüssel ab. In einem Brüssel der eher wohlhabenden Mittel- und Oberschicht. Der Leser spaziert mit Monsieur Haslinger durch Straßen und Plätze von Ixelles, St. Gilles und Uccle, die es alle so auch tatsächlich gibt. Man genießt Pralinen von Marcolini, trinkt wahlweise Café, Champagner oder alkoholfreies Bier von Leffe. Ein erfolgreicher Schriftsteller, ein Doktor und die Witwe eines reichen Unternehmers treten als Randfiguren im Roman auf.
Die Problemviertel von Brüssel, aber auch die Innenstadt und das Europaviertel werden ausgeblendet. Kann man dann trotzdem noch von einem Brüssel-Roman sprechen? "Zwei Drittel von der Geschichte spielen und handeln in Brüssel. Und ich würde schon sagen, dass es in gewisser Weise ein Brüssel-Roman ist. Es war mir auch ein Anliegen, um die Stadt auch mal schöner zu zeichnen. Um mal die romantische Seite der Stadt zu zeigen. All die schönen Dinge, die hier passieren zu zeigen. Das ist nicht immer selbstverständlich."
"Viele Menschen kennen Brüssel nur aus dem Fernsehen, sehen das EU-Viertel, die Hochhäuser aus Glas, Stahl und Beton. Das ist nicht immer die schönste Seite von Brüssel. Das zu ändern war durchaus ein Anliegen von mir." Ein Heile-Welt-Roman also? Mit Schauplatz Brüssel – und im weiteren Verlauf Knokke – auch ein Ort, an dem sich die Reichen und Schönen in Belgien gerne treffen? Könnte man durchaus denken, zumal der Titel "Der Liebende" auch eher in Richtung Rosamunde Pilcher als Michel Houllebecq weist.
Doch damit ist man auf dem Holzweg. Allein schon die Begründung für die Wahl des Titels deutet das an: "Beim Schreiben wusste ich lange Zeit eigentlich nicht, was der Titel sein wird von diesem Roman. Ich hatte dann eine Liste von ganz unterschiedlichen Titeln, die gefielen mir aber alle nicht. Und eines Abends saß ich dann zu Hause und nahm mir wieder einmal einen Gedichtband von Hermann Hesse zur Hand. Las darin Gedichte und ich fand das Gedicht 'Der Liebende'. Und ich las die ersten Zeilen. Dann las ich das ganze Gedicht. Ich las nochmal den Titel 'Der Liebende' und ich wusste, das ist Monsieur Haslinger. Das ist es. Und ich blieb dabei."
Hermann Hesse als Pate also für den Titel des Romans. Und der Vergleich mit Hesse ist auch bezogen auf den Inhalt nicht ganz verkehrt. Haarscharf geht es bei Ehrenhauser manchmal am Kitsch vorbei, aber dann trumpft er immer wieder mit starken Sätzen und Passagen auf, die ähnlich wie bei Hesse vieles über den Menschen aussagen, seine Natur, sein Wesen, sein Verhältnis zum Leben, zur Liebe, zur Religion, zu Gott.
Die Figur des Monsieur Haslinger ist dafür gut gewählt. Ein Mann des Glaubens, der aber durchaus zweifelt, sich Gedanken macht, seine Umwelt genau betrachtet, liebe- und respektvoll behandelt. Der tolerant ist und – wie bereits gesagt – durchaus offen für Neues. "Was ich nicht möchte, ist, schulmeisterlich zu sein. Monsieur Haslinger ist nicht schulmeisterlich. Er will auch niemanden überbieten in Wissen und Moral."
"Er lebt etwas vor, und zwar ein von Liebe erfülltes Leben. Und wenn Menschen es sehen und denken: Ja, das ist gut, so wie er lebt und so möchte ich vielleicht auch leben, dann sind sie herzlich dazu eingeladen, das auch zu machen. Aber es ist sicherlich kein politisches Buch. Es ist ein Versuch, auf die schönen Dinge des Lebens zu schauen, auch wenn sie vielleicht manchmal auch traurig sind und ein bisschen melancholisch." Bis zum Schluss bleibt der Inhalt stark in der belgischen Realität verankert – wie genau, das soll hier nicht verraten werden.
Als Unterhaltungsroman hat "Der Liebende" bei mir gut funktioniert: Im Dekor von Brüssel und Knokke bietet er eine unaufgeregt angenehme Lektüre, zwischendurch Sätze zum Unterstreichen und eine Handlung, die neben aller vordergründigen Leichtigkeit auch zum Nachdenken anregt.
Der Roman "Der Liebende" des Österreichers Martin Ehrenhauser ist im Verlag List erschienen, hat 208 Seiten und kostet 20,99 Euro.
Kay Wagner