Erstmal ist es der EU-Gipfel der neuen Gesichter. Das gilt in aller erster Linie für die deutsche Delegation. 16 Jahre lang saß Angela Merkel auf dem Stuhl neben dem deutschen Fähnchen. Sie gehörte am Ende wohl fast schon irgendwie zum Mobiliar. Und wenn es richtig heikel wurde, wird die Runde irgendwann wohl auf Angela Merkel geschaut haben, nach dem Motto "Angela, was machen wir jetzt aus alledem?".
Für den neuen deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz ist es der erste EU-Gipfel. Aber immerhin ist er nicht alleine. Auch der österreichische Amtskollege Karl Nehammer vertritt erstmals sein Land in der EU-Runde. Neu ist auch die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson. Viel Zeit zum Eingewöhnen haben die Newcomer aber nicht. Denn es geht gleich ans Eingemachte.
Reisebeschränkungen vermeiden
Erstmal wird die Tagesordnung wieder von der Corona-Krise beherrscht. Omikron heißt das neue Schreckgespenst. Die neue Virus-Variante ist offensichtlich nochmal wesentlich ansteckender und wird wohl schon bald in der EU dominant. Einige Länder wie Italien oder Portugal haben neue Einreisebestimmungen erlassen. Damit wird das EU-Corona-Zertifikat letztlich ausgehöhlt. Er wolle denn auch am Donnerstag nochmal eindringlich dafür plädieren, dass überall in der EU möglichst dieselben Regeln gelten sollten, sagte Premierminister Alexander De Croo in der VRT. Reisebeschränkungen sollten möglichst vermieden werden.
Der luxemburgische Kollege Xavier Bettel sieht das genauso. Angesichts des Vormarsches der Omikron-Variante mag für den einen oder anderen die Versuchung groß sein, Einreisebeschränkungen zu erlassen. Er sei aber davon nicht überzeugt: "Wir müssen mit dem Virus leben lernen", so Bettels Botschaft.
Einige Länder, wie etwa Italien, wollen sich aber nach wie vor nicht reinreden lassen und behalten sich das Recht vor, je nach Situation eigene Initiativen zu ergreifen. Immerhin einigte man sich aber darauf, dass solche Maßnahmen verhältnismäßig sein und auch mit den anderen abgesprochen werden müssen.
Russischer Truppenaufmarsch an Grenze zur Ukraine
Geht es hier noch um die Binnengrenzen, so herrscht aber vor allem Besorgnis über das, was vor der EU-Haustüre passiert. Erstmal die Lage an der Grenze zwischen Polen und Belarus. Aber vor allem der russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine. Geheimdienste warnen vor einem möglicherweise bevorstehenden russischen Einmarsch in dem Nachbarland. Nicht zu vergessen, dass Russland auch schon im Ostukraine-Konflikt die Strippen zieht.
Insgesamt eine hochexplosive Gemengelage, die sich da an der Ostflanke der EU beziehungsweise der Nato zusammengebraut hat. "Die Lage ist so gefährlich wie seit 30 Jahren nicht mehr", sagte der litauische Präsident Gitanas Nauseda. Litauen gehört zu den drei baltischen Staaten, die sich auch mehr und mehr durch Russland bedroht sehen. "Wir müssen alles tun, um das schlimmste Szenario zu verhindern", mahnt der Präsident aus Vilnius. Der neue deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz nahm dieselben Worte in den Mund. Der neue österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer war etwas direkter. Man müsse klarmachen.
Sanktionen möglich
"Sanktionen" ist denn auch ein viel gehörtes Wort in den Fluren des Brüsseler Ratsgebäudes. Das dürfte wohl die klare Botschaft des EU-Gipfels an Moskau sein: "Jede weitere militärische Aggression gegen die Ukraine werde massive Konsequenzen und hohe Kosten nach sich ziehen", steht es laut DPA im Entwurf der Abschlusserklärung des Gipfels.
Das Verhältnis zu Russland wird noch durch ein weiteres Ereignis getrübt, nämlich das Urteil im sogenannten Tiergartenmord. Ein deutsches Gericht hat am Mittwoch einen russischen Staatsbürger wegen des Mordes an einem Tschetschenen 2019 im Berliner Tiergarten zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der Angeklagte im Auftrag des russischen Staates gehandelt hat. Moskau sprach von einem "politisch motivierten Urteil".
Es ist also ein EU-Gipfel der Unwägbarkeiten. Putin, Omikron: Dunkle Wolken hängen in der Luft; und niemand weiß, was da noch kommen mag. In Brüssel werden sich die Staats- und Regierungschefs bestmöglich auf alle Eventualitäten vorbereiten müssen.
Roger Pint