Die Beatles waren wohl lange nicht mehr so in aller Munde wie in diesen Tagen. Irgendwie scheint jeder einen Songtitel dieser wohl berühmtesten aller britischen Bands herauskramen zu wollen, als Hommage an deren Heimatland und an das, was die Briten der Welt geschenkt haben.
"Let it be", titelte etwa die Zeitung Le Soir leicht wehmütig, "Lass es geschehen". Der wohl passendste Songtitel ist aber wohl "Come together" - Kommt zusammen! "Right now!", fordert sogar John Lennon, sofort. Und genau diese Passage hatte sich die Stadt Brüssel zu eigen gemacht, um die Briten auf ihre Art zu verabschieden. "Brussels Calling: Come together, right now."
Auf der Brüsseler Grand'Place ging es "very british" zu, mit Klischees von der Insel: einer roten Telefonzelle, einem der berühmten London-Taxis, das alles begutachtet und untersucht von Sherlock Holmes und seinem treuen Assistenten Doktor Watson. "Wir wollen doch jetzt keine negative Botschaft über den Kanal senden", sagte der Brüsseler Bürgermeister Philippe Close. "Hier wohnen doch unheimlich viele Briten: 7.000 in Brüssel, 20.000 in Belgien".
"Lasst uns trotz allem Freunde bleiben", so die Botschaft. Freunde vielleicht, aber definitiv nicht unter einem Dach. Fast vier Jahre nach dem schicksalhaften Referendum wird der Brexit um Mitternacht Realität. Naja, das stimmt eigentlich nur halb. Mit dem Ausstieg beginnt am 1. Februar eigentlich erstmal eine Übergangszeit. Die Scheidung ist bislang nämlich allenfalls halb geregelt: Ein Partner zieht schonmal aus, alles weitere muss aber immer noch erst ausgehandelt werden.
Konkret geht es darum, wie die künftigen Beziehungen aussehen sollen: Zugang zu den Märkten des jeweils anderen, konkrete Vorgaben zum Waren-, Kapital- und Personenverkehr. Das wäre also ein breit gefasstes Freihandelsabkommen. Für so etwas braucht man Jahre, geht es aber nach dem britischen Premierminister Boris Johnson, dann soll all das schon Ende des Jahres spruchreif sein. Ansonsten droht doch noch ein harter, weil ungeregelter Brexit.
Der Ärger fängt also eigentlich wohl gerade erst an. Die jeweiligen Positionen könnten dabei nicht weiter voneinander entfernt sein. Den Briten schwebt anscheinend so eine Art Singapur an der Themse vor: Ein Steuerparadies mit möglichst niedrigen Standards, um möglichst viele Investoren anzulocken. Das wäre also quasi das Gegenteil des EU-Binnenmarktes.
Die Worte von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen waren denn auch weit mehr als nur eine brave Floskel: "Ich möchte, dass die EU und Großbritannien gute Freunde und gute Partner bleiben", sagte von der Leyen in dieser Woche im EU-Parlament. Eine fast beschwörende Formel, im Wissen, was da noch kommen dürfte.
Apropos EU-Parlament. Es war Aufgabe der EU-Abgeordneten, das Austrittsabkommen definitiv zu besiegeln. Mit großer Mehrheit und wohl ebenso großer Halbherzigkeit wurde dieser letzte Akt des ersten Kapitels über die Bühne gebracht. Denn viele konnten das Ganze einfach nur bedauern. Allen voran der belgische Altpremier Guy Verhofstadt, der ja der Brexit-Unterhändler des Europäischen Parlaments war. Ein trauriges Thema sei das. "Traurig zu sehen, dass eine Nation die EU verlässt, eine große Nation."
Natürlich gab es auch Leute, die am liebsten schon im Brüsseler Halbrund den Champagner geköpft hätten. Der britische Abgeordnete und Brexit-Prophet Nigel Farage etwa strahlte wie ein Kind bei seinem sechsten Geburtstag. "Nie mehr müssen wir uns rumschubsen lassen, nie mehr müssen wir uns Guy Verhofstadt antun!", tönte Farage in üblicher Krawall-Manier. "Ich weiß, dass ihr uns vermissen werdet, ich weiß, dass ihr unsere Flagge abhängt, deshalb zeigen wir sie euch nochmal", sagt Farage mit dem Union Jack wedelnd - und kriegt das Mikro abgedreht.
Stattdessen passiert, was noch nie im EU-Parlament passiert ist: Die Abgeordneten singen im Chor "Ce n'est qu'un au revoir" (Es ist nur ein 'Auf Wiedersehen'). Aber das ist wohl nur etwas für Optimisten. Die Briten sind jetzt erstmal raus. Und das wohl zweifellos für mindestens eine Generation. "Come together", das war einmal.
Roger Pint