Das PDG billigte ein Zusammenarbeitsabkommen vom 27. September zwischen dem Föderalstaat, den drei Regionen und der Deutschsprachigen Gemeinschaft.
Das ursprüngliche Zusammenarbeitsabkommen war schon am 14. Juli vereinbart und am 19. Juli vom PDG gebilligt worden. Demnach ermöglicht das Covid Safe Ticket den Zutritt zu spezifischen Veranstaltungen ausschließlich geimpften, getesteten und von einer Covid-19-Erkrankung genesenen Pesonen.
Das abgeänderte Abkommen räumt den Gliedstaaten nun bis zum 30. Juni 2022 die Möglichkeit ein, das CST in weiteren Bereichen einzusetzen, in denen die Corona-Grundregeln (optimale Belüftung, Abstand, Masken und Kontaktbeschränkungen) nur schwer eingehalten werden können und in denen das Übertragungsrisiko verhältnismäßig groß ist.
Unter-16-Jährige ausgenommen
Am Mittwochabend hatte Ministerpräsident Oliver Paasch mitteilen lassen, dass sich die DG-Krisenzelle (die vier Minister und die neun Bürgermeister) auf die verpflichtende Anwendung des Covid Safe Tickets (Zugang für Geimpfte, Genesene und Getestete) bei Veranstaltungen geeinigt hatten. Das gilt für Volksfeste wie die Kirmes, kulturelle und andere Darbietungen, Sportwettkämpfe und Kongresse ab einer Zahl von 50 Besuchern innen und 200 Teilnehmern außen.
Darunter fallen aber nicht Trainingseinheiten beim Sport, interne Vereinsaktivitäten sowie private Empfänge und Bankette (etwa bei Hochzeiten). Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren sind von der CST-Pflicht ausgenommen, es sei denn, es betrifft Wohneinrichtungen für besonders schutzbedürftige Personen.
Im übrigen Teil der Wallonischen Region und in der Region Brüssel wird das Covid Safe Ticket ab Mitte Oktober auch in Cafés, Restaurants und in Fitnesszentren verlangt. Darauf verzichtet die DG-Krisenzelle vorerst, wie es heißt.
Nun ist nicht ausgeschlossen, dass die DG wegen steigender Infektionszahlen schon sehr bald in die höchste Alarmstufe klassiert wird. Dann könnte das föderale Krisenzentrum strengere Anti-Covid-Maßnahmen verordnen.
Paasch: "CST ist wirksames Instrument"
Bei der eigens dafür einberufenen Plenarsitzung des PDG erklärte Ministerpräsident Oliver Paasch eingangs, dass der Impffortschritt Wirkung zeige: Die Situation in den Krankenhäusern sei weit weniger angespannt als im Herbst 2020: "Dank der Impfkampagne ist die Lage heute weit weniger schlimm als noch vor einem Jahr."
Entscheidend ist laut Paasch die Entwicklung in den Krankenhäusern. "Und die haben wir im Moment noch unter Kontrolle. Es gibt also keinen Grund, in Panik zu verfallen."
Um der epidemiologischen Entwicklung ohne Lockdowns wirksam begegnen zu können, habe der Konzertierungsausschuss am 9. September beschlossen, das ursprünglich für Großveranstaltungen und Pilotprojekte konzipierte Covid Safe Ticket auf weitere Bereiche anwendbar zu machen.
Das CST dürfe allerdings nicht willkürlich eingesetzt werden: Die epidemiologischen Grundlagen müssten es rechtfertigen und es müsse ein Gutachten der nationalen Gesundheitsbehörden vorliegen. Die Aktivierung darf auch nur in einem von den jeweiligen Parlamenten festgelegten Rechtsrahmen erfolgen.
Davon ausgenommen seien kurzfristige Verschärfungen der CST-Regeln für Veranstaltungen, die mit Erlaubnis der Föderalregierung durch die Bürgermeister beschlossen werden können. Im Fall der Deutschsprachigen Gemeinschaft entscheidet darüber die eigens eingesetzte "Krisenzelle DG".
"Alle unsere Nachbarstaaten arbeiten mit 3G oder sogar mit 2G. In der Deutschprachigen Gemeinschaft wollen wir dieses Instrument sehr umsichtig nutzen und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wahren." Das CST trage dazu bei, so Paasch, "das Infektionsgeschehen einzudämmen und einen erneuten Lockdown zu verhindern."
Creutz: Kein Flickenteppich
Für die CSP fand auch Patricia Creutz, dass das Covid Safe Ticket "eine sehr hilfreiche Rolle spielen" könne. "Es dient dazu , die Wirtschaft wieder anzukurbeln und gibt uns die Möglichkeit, unser soziales Leben wieder aufzunehmen."
Grundsätzlich stehe die CSP dem CST positiv gegenüber. Wichtig sei der Fraktion aber, "dass eine gewisse Vereinheitlichung dies- und jenseits der Sprachengrenze angestrebt wird. Ein Flickenteppich an unterschiedlicher Handhabung des CST würde zu einem Wirrwarr führen." Zumindest sollten die Regeln beispielsweise zwischen Eupen und Welkenraedt, Kelmis und Bleyberg, Amel und Malmedy abgesprochen werden.
Schließlich brach Patricia Creutz auch eine Lanze für die Impfung: "Lassen Sie mich klar sein: Die CSP spricht sich grundsätzlich gegen eine Impfpflicht aus, da niemand gezwungen werden sollte, sich impfen zu lassen." Aber wer bereit sei, sich mit der großen Mehrheit der wissenschaftlichen Erkenntnisse auseinanderzusetzen, müsse feststellen, "dass die Risiken und Nebenwirkungen der Infektion deutlich höher sind als die der Impfung."
Der Konsens, "sich auf die Wissenschaft einzulassen und ihr zu vertrauen", sei wichtig für den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Man kann nicht gleichzeitig gegen Schutzmaßnahmen und gegen die Impfung sein." Wer so argumentiere, nehme in Kauf, dass es Sterbefälle, schwere Krankheitsverläufe und auch Langzeitfolgen gebe.
Cremer: "Ticket aus der Krise"
Freddy Cremer (ProDG) sah in den aktuellen Zahlen in der Deutschsprachigen Gemeinschaft "einen unmissverständlichen Beleg dafür, dass wir die Gesundheitskrise noch lange nicht überstanden haben."
In der aktuellen Situation sei das Covid Safe Ticket "ein probates Mittel, um die Exit-Strategie weiter konsequent fortzusetzen und um eine weitere Schließung ganzer Sektoren mit verheerenden Folgen für die dort beschäftigten Personen zu verhindern."
So könne das Covid Safe Ticket auch als "Ticket aus der Krise" begriffen werden. Weil der Anwendungsparameter und die Nutzungsdauer des Einsatzes des CST genau festgeschrieben seien, bestehe seines Erachtens "auch nicht die Gefahr einer Diskriminierung oder gar eines Abdriftens in eine Überwachungsgesellschaft, wie es die Datenschutzbehörde monierte." Die Gefahr einer solche Dystopie bestehe nicht, so Cremer.
Balter: "CST führt nicht zur Versöhnung"
Vivant-Sprecher Michael Balter sprach wie schon bei der Aussprache zur Regierungserklärung am Montag das Thema der Angst an. Gerade Jugendliche hätten Zweifel an der Impfung, sie seien aber einem hohen gesellschaftlichen Druck ausgesetzt.
Er selbst sei den Streit pro oder contra Impfung auch leid, aber: "Was heute hier beschlossen wird, wird nicht zu einer Versöhnung führen."
Balter sah in der Anwendung des CST eine Form der Diskriminierung. Der Gesundheitszustand sei eine persönliche Angelegenheit und dürfe nicht durch eine öffentliche Kontrolle preisgegeben werden.
"Wir begrüßen", so Balter, "dass die DG jetzt eigenständig diese Entscheidung treffen kann, aber das ist auch mit einer großen Verantwortung verbunden." Die drei Vivant-Vertreter Michael Balter, Diana Stiel und Alain Mertes stimmten gegen das Billigungsdekret zu dem Zusammenarbeitsabkommen.
Servaty: Selbstbestimmte Prävention
Charles Servaty (SP) legte den Schwerpunkt auf den schrittweisen Ausstieg aus der föderalen Phase bei der Bekämpfung der Pandemie. Dem Ministerpräsidenten und den Ministern der DG sei es auf Ebene des Konzertierungsausschusses und im Rahmen von interministeriellen Konferenzen mehrfach gelungen, Standpunkte zu vertreten, "die eher auf Erfahrungswerten aus deutschsprachigen Regionen und Ländern stammen als aus dem niederländischen oder französischsprachigen Raum." Das gelte es aus Sicht der SP-Fraktion, einmal deutlich hervorzuheben.
Durch die Verabschiedung des Billigungsdekrets zum Zusammenarbeitsabkommen würden Maßnahmen der Wallonischen Region oder der Provinz nicht mehr automatisch für die Deutschsprachige Gemeinschaft gelten. Das habe sich schon bei den von der Provinz beschlossenen Verschärfungen gezeigt. "In Zukunft wird die Unterscheidung zwischen der DG und dem Rest der Provinz Lüttich keine Ausnahme mehr darstellen. Dies begrüßen wir ausdrücklich."
Die DG sei nicht mit den beiden großen Teilstaaten, aber auch nicht mit der Region Brüssel zu vergleichen. "Maßnahmen, die wir selbst treffen können, sollten demnach besser auf die ostbelgischen Gegebenheiten zugeschnitten sein."
"Als überzeugter Autonomiebefürworter freut es mich", so Servaty weiter, "dass nach und nach die Regionen verstärkt handeln können und die DG künftig selbst entscheidet, welche Maßnahmen innerhalb eines föderalen Rahmens greifen sollten."
Gleichzeitig müsse in den Augen der SP-Fraktion auf eine verhältnismäßige Nutzung des Covid Safe Tickets geachtet werden. "Mit dem Virus leben lernen wird noch eine ganze Zeit unsere Devise bleiben."
Mockel: Kein Freifahrtschein
Freddy Mockel (Ecolo) verwies darauf, dass angesichts der Corona-Zahlen in der Deutschsprachigen Gemeinschaft eine mögliche Einstufung in Phase vier drohe und der Föderalstaat dann wieder das Ruder in die Hand nehme bei der Anwendung von Anti-Covid-Maßnahmen. Das erkläre aus seiner Sicht auch, warum die Einigung zwischen der DG-Regierung und den Bürgermeistern weniger strenge Vorgaben mache als im übrigen Teil der Wallonischen Region: "Warum auch versuchen, jetzt schon selber unpopuläre Maßnahmen vorzuschlagen, wenn die nachher der Föderalstaat treffen muss?"
Das brachte Oliver Paasch förmlich auf die Palme: Mockel erwecke mit seiner Einlassung den Eindruck, als wolle Paasch jemand anderem den Schwarzen Peter zuschieben. "Das ist wirklich blanker Unsinn. Das wird jeder einzelne Bürgermeister, jede einzelne Bürgermeisterin, jeder Minister bestätigen können", erklärte er später. "Wir haben die Beschlüsse getroffen, die wir für verantwortbar und verhältnismäßig gehalten haben. Aber wir haben natürlich die Sorge und das haben wir sogar in unserem Kommuniqué deutlich hervorgehoben, dass der Föderalstaat aufgrund der angespannten epidemiologischen Lage entscheiden könnte, nächste Woche beispielsweise oder auch später, uns in Phase 4 des Alarmniveaus einzustufen und dann selbst wieder einschränkende Maßnahmen zu ergreifen."
Vorher hatte Mockel schon festgestellt: "Wir sollten nie vergessen: Das Problem ist das Virus - es sind nicht die Maßnahmen." Für Ecolo sei die Abstimmung über das Zusammenarbeitsabkommen aber kein Freifahrtschein für einen leichtfertigen Umgang mit dem CST.
Unter anderem empfahl Mockel der Regierung, eine niedrigschwelligere Impfkampagne zu lancieren, die Menschen aufzusuchen, die zweifeln. Die Anwendung des CST brauche klare Schranken. "Es soll aus dem Alltag der Menschen so gut wie möglich heraus bleiben." Auch solle für Dritte nicht einsehbar sein, welches "G" (geimpft, genesen oder getestet) den Zugang ermögliche.
Freches: Frage der Solidarität
Für die PFF-Fraktion hielt Gregor Freches fest, "dass die generelle Impfbereitschaft in Ostbelgien bei weitem noch ausbaubar ist. Gesellschaftlich betrachtet, und das ist in meinen Augen das traurigste, hat man es nicht akzeptiert, dass die Impfung nicht nur sinnvoll, sondern auch sicher und vor allen Dingen solidarisch ist."
Die neuesten Inzidenzzahlen führten vor Augen, dass es nur über die Solidarität, nur über die Akzeptanz jedes Einzelnen gehen wird. Es gehe um die Gesundheitsprävention der gesamten Bevölkerung. Die Krisenzelle der Deutschsprachigen Gemeinschaft zwischen den vier Regierungsmitgliedern und den neun Bürgermeistern stehe für den solidarischen Gedanken.
Das CST habe sich nicht nur bei einer Massenveranstaltung wie dem Formel-1-Grand-Prix in Francorchamps bewährt, sondern zuletzt auch bei einem Volksfest wie der Kirmes in Recht, dem Wohnort von Freches, als effektiv erwiesen.
Im Namen der PFF begrüßte der Fraktionssprecher auch, dass die beiden Impfzentren in der Deutschsprachigen Gemeinschaft offen gehalten wurden.
Antonios Antoniadis vs. "Spalter Balter"
DG-Gesundheitsminister Antonios Antoniadis nahm den von ihm wiederholt so betitelten "Spalter Balter" ins Visier, der "seine Maske fallen gelassen" habe: Wenn der Vivant-Sprecher der Regierung unterstelle, dass sie womöglich gar nicht zur Normalität zurückkehren wolle, erweise er sich als "Verschwörungsschwurbler".
Das CST sei verhältnismäßig, es helfe zurück auf den Weg in die Normalität.
Den Ecolo-Vorschlag einer noch niederschwelligeren Imfung konnte Antoniadis nicht nachvollziehen. Es werde ja schon alles dafür getan, die Menschen zur Impfung zu bringen, wenn sie es wünschen. Er gehe davon aus, dass die Impfquote höher liege als die offiziellen Zahlen bei Sciensano.
Stephan Pesch