Dr. Robert Flader ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaften an der RWTH Aachen und gilt als Experte für den Brexit und seine Folgen.
Insofern ist der 31. Januar aus seiner Sicht ein historisch bedeutsamer, allerdings wird sich weder für die Bürger in Großbritannien noch für diejenigen auf dem Kontinent von heute auf morgen alles verändern: "Dieser Brexit-Tag, der 31. Januar, beziehungsweise die Nacht auf den 1. Februar, ist mehr oder weniger ein symbolischer Akt, denn die ganzen rechtlichen Konsequenzen, die Freizügigkeit der Personen, Warenhandel, wirtschaftliche Konsequenzen, die treten noch nicht 'in ihrer vollen Härte' in Kraft, sondern erst zum 31. Dezember 2020."
Sportlicher Zeitplan
In der Übergangszeit könnten sich die britische Wirtschaft, aber auch europäische Unternehmen darauf einstellen, wie die rechtlichen Konsequenzen ab dann aussehen. "Der Zeitplan ist sehr sportlich", sagt Robert Flader, "das heißt dass wir die spürbaren Konsequenzen, wie zum Beispiel: 'In welche Reihe stellen wir uns als EU-Bürger demnächst, wenn wir in Großbritannien landen?' tatsächlich erst im Januar 2021 merken werden."
Bis dahin soll die mittel- und langfristige Partnerschaft zwischen der EU und Großbritannien geregelt werden, so dass das Vereinigte Königreich in wichtigen Politikfeldern nicht als Drittstaat behandelt werden muss. "All das muss vertraglich ausgehandelt werden und da sind elf Monate, wenn man sich Freihandelsabkommen anschaut zwischen anderen Nationen, eine viel zu kurze Zeit."
Der britische Premierminister Boris Johnson habe aber nunmal angekündigt, die Briten zum 31. Dezember 2020 'aus den letzten Resten der EU' zu befreien. "Ob das gelingt, steht in den Sternen", gibt sich Robert Flader noch skeptisch. "Es wird allerdings wichtig sein, dass die EU und Großbritannien sich weiterhin als Partner begreifen - egal, wie die letzten dreieinhalb Jahre gelaufen sind. Denn in vielen wichtigen Politikfeldern sind beide aufeinander angewiesen."
Einfluss britischer Printmedien
Seine Doktorarbeit hat Robert Flader über den Einfluss britischer Printmedien auf das Wahlverhalten ihrer Leser am Beispiel des EU-Referendums 2016 geschrieben: "Die britischen Printmedien sind ein gewaltiger politisch-gesellschaftlicher Akteur: die 'Sun', vielleicht die berüchtigtste Zeitung, aber auch die 'Daily Mail', der 'Daily Express' haben Auflagenzahlen, die mit unseren in Deutschland kaum zu vergleichen sind. Und die schreiben so massiv, so extrem gegen die europäischen Institutionen, dass auch gerade in der Referendumskampagne niemand gegen diese offensichtlichen Lügen und Halbwahrheiten ankommen konnte."
Robert Flader zeigt an der Wand in seinem Büro auf Beispiele, wie die Titelseite des Boulevardblattes "Sun" vom 24. Juni 2016, dem Tag nach dem Referendum. Es zeigt jubelnde Brexit-Anhänger, "52 Prozent Out", unterlegt mit der britischen Flagge, "48 Prozent In" umkränzt von den europäischen Sternen und darunter in großen Lettern das Wortspiel "SEE EU LATER!"
Diese Medien hätten auch nach der Referendumskampagne dazu beigetragen, dass sich das Verhältnis zwischen der Europäischen Union auf der einen Seite und Großbritannien auf der anderen Seite weiter verschlechtert habe.
Point of no return - oder doch?
Und was, wenn die Briten es sich dann doch eines Tages anders überlegen und zurückkehren wollen in die Europäische Union? "Man sollte niemals nie sagen", zitiert Robert Flader eine Redewendung, die sogar schon zum Filmtitel für den britischsten aller Agenten James Bond taugte. "Ich glaube allerdings, dass der aktuelle Prozess zunächst mal für eine bestimmte Zeit auch einen reinigenden Charakter haben kann - für beide Seiten".
Vielleicht habe in etwa zwanzig Jahren ja eine ganz andere Generation von Politikern das Sagen, die in und mit der EU aufgewachsen ist: "Dass die dann sagen: 'Wir wagen nochmal den Schritt'. Und aus europapolitischer Perspektive würde ich sagen: Die Tür darf niemals zufallen. Wir sollten den Briten irgendwann mal, nicht in zwei, drei Jahren, sondern in der nächsten Generation die Chance eröffnen, darüber abzustimmen, ob sie nicht noch mal Mitglied in den Europäischen Gemeinschaften, so nenne ich es jetzt mal, werden wollen."
Stephan Pesch