Inzwischen muss man von einer Drohnen-Welle sprechen. An zehn aufeinanderfolgenden Tagen wurden jetzt Drohnen gesichtet über sensiblen Einrichtungen in Belgien. Angefangen hatte es mit Militäreinrichtungen. Nach Elsenborn und Marche-en-Famenne bekamen zuletzt die wichtigen Luftwaffenstützpunkte von Florennes und Kleine-Brogel zweifelhaften Besuch aus der Luft: Drohnen, die ungeniert und -vor allem- sichtbar die Infrastruktur ausspähten.
Phase zwei, das waren dann die Flughäfen des Landes: Ostende, Deurne, und dann der Brussels Airport und der wichtige Frachtflughafen in Lüttich. In Zaventem musste in der vergangenen Woche gleich zweimal der Flugverkehr unterbrochen werden, in Lüttich sogar viermal. Abgesehen von den Sicherheitsrisiken sorgt das natürlich auch für erheblichen wirtschaftlichen Schaden.
Allein am vergangenen Wochenende musste in Bierset noch zweimal der Luftraum wegen Drohnensichtungen zeitweilig gesperrt werden, nämlich am Samstag und dann auch nochmal Sonntagabend. Wenig später -gegen 22 Uhr- meldete dann der Energiekonzern Engie, dass drei Drohnen über dem Atomkraftwerk von Doel gesichtet worden seien. Das war dann wohl Phase drei.
Francken: Parallelen zum Ukraine-Krieg
Allein diese chronologische Abfolge, allein die jüngste Häufung der Vorfälle mag aber schon ein Indiz dafür sein, dass hier Profis am Werk sind. Die Größe der Drohnen und die technischen Möglichkeiten der Fluggeräte, all das deutet laut Experten darauf hin, dass ein "staatlicher Akteur" dahinterstecken könnte. Allgemein wird hier mit dem Finger auf Russland gezeigt.
"Drohnen über belgischen Kernkraftwerken gesichtet", solche Schlagzeilen verfehlen erst recht vor diesem Hintergrund freilich nicht ihre Wirkung. Wobei Fachleute da doch zur Besonnenheit mahnen. Denn -an sich- stellen die Drohnen keine Bedrohung für die Atomanlagen dar. Selbst die alten Reaktorblöcke sind darauf ausgelegt, den Einschlag eines Sportflugzeugs zu verkraften. Bei neueren Blöcken wie Doel 4 sind die Anlagen sogar so konstruiert, dass sie den Absturz einer Linienmaschine überstehen könnten.
Selbst größere Drohnen sind also keine Gefahr für die Anlagen. "Und bewaffnet sind die Fluggeräte ja auch nicht", sagte Verteidigungsminister Theo Francken in der VRT. "Also, wir sprechen ja jetzt auch nicht von der Gefahr einer Bombardierung. Undenkbar ist das aber leider auch nicht", so der N-VA-Politiker. In der Ukraine sei die Energieinfrastruktur schließlich auch eins der prioritären Ziele.
Indem er auf den Ukraine-Krieg verweist, nennt Francken hier beinahe dann doch Ross und Reiter. Und tatsächlich: Erstens tragen diese Aktionen nunmal die Handschrift der "hybriden Kriegsführung", die Moskau seit Jahren praktiziert. Und zweitens gibt es für den Kreml aber auch mindestens einen triftigen Grund, ausgerechnet Belgien ins Visier zu nehmen. In Belgien liegt nämlich ein Großteil der ominösen russischen Vermögenswerte, über die ja derzeit in der EU viel diskutiert wird.
Viele würden das Geld am liebsten beschlagnahmen und der Ukraine zur Verfügung stellen; Premierminister Bart De Wever verweigerte aber bislang seine Zustimmung. Aber, hier geht es um mindestens 120 Milliarden Euro. Das dürfte dem Kreml also nicht egal sein, um es mal ganz diplomatisch zu formulieren.
Rechtsrahmen für die Armee fehlt bisher
Das alles nur, um zu sagen: Belgien hat gerade ein massives Problem. Denn es ist ja nicht hinnehmbar, dass jemand hierzulande buchstäblich per Knopfdruck den Flugverkehr lahmlegen kann. Entsprechend sind jetzt alle zuständigen Dienste in Alarmbereitschaft. Und laut Medienberichten werden die Polizeidienste auch seit einigen Tagen von Soldaten unterstützt, die also bei der Drohnenabwehr helfen sollen.
Der Einsatz der Streitkräfte erfolge bislang aber noch in aller Diskretion, um die Mission nicht zu gefährden, heißt es. Das mag allerdings auch damit zu tun haben, dass die Armee eigentlich nicht ohne Weiteres im zivilen Raum aktiv werden kann. Dazu bedarf es einen klaren Rechtsrahmens, der allerdings noch fehlt. Die Kammer muss erst noch ein entsprechendes Gesetz verabschieden, das dann also den Handlungsspielraum der Soldaten definiert.
Die Streitkräfte können dabei auch auf die Hilfe der Freunde und Verbündeten zählen. Deutsche Bundeswehrsoldaten sind bereits in Belgien, um die Kollegen zu unterstützen. Verteidigungsminister Theo Francken zeigte sich dankbar für die Verstärkung. Es sei beeindruckend, was die deutschen Freunde da zur Verfügung stellen könnten. Frankreich und auch Großbritannien haben den Belgiern ebenfalls ihre Unterstützung zugesagt. Der britische Verteidigungsminister habe Ende vergangener Woche beschlossen, Hilfe nach Belgien zu entsenden, bestätigte der Generalstabschef der britischen Streitkräfte, Richard Knighton.
Belgien kann sich also auf die Nato-Verbündeten verlassen. Jetzt kann die Jagd auf die Drohnen beginnen. Man will sie orten, neutralisieren, und vor allem endlich ermitteln, wer sie von wo aus steuert. Um dann vielleicht die Spur zurückverfolgen zu können. Heute Abend werden sich jedenfalls wieder viele Augen auf den belgischen Nachthimmel richten.
Föderale Polizei reagiert - Drohnenabwehr höchste Priorität
Die Föderale Polizei hat noch einmal bekräftigt, dass sie den Drohnenzwischenfällen höchste Priorität beimisst. Die Ordnungskräfte reagieren damit offensichtlich auf Presseberichte, in denen kritisiert wurde, dass eine auf die Drohnenabwehr spezialisierte Einheit zu spät zum Einsatz gekommen sei. Man könne die vereinfachende und unvollständige Berichterstattung in diesem Zusammenhang nur bedauern, heißt es in der Mitteilung.
Die Zeitung Het Nieuwsblad hatte berichtet, dass die Ordnungskräfte zwar über eine Anti-Drohneneinheit verfügten, diese aber zunächst nicht eingesetzt habe. Es konnte sich so anhören, als hätte man schlichtweg vergessen, dass die Truppe existiert. "Die Realität der Polizeiarbeit ist weitaus komplexer", heißt es in einer Stellungnahme der Föderalen Polizei. Darin werden die Mitarbeiter außerdem noch einmal daran erinnert, dass sie über die internen Abläufe und auch das ihnen zur Verfügung stehende Material Stillschweigen bewahren sollten. Eine durchaus verstimmte Reaktion also, was ein Indiz dafür sein mag, wie sehr die Nerven gerade blank liegen.
Roger Pint