Es kommt selten vor, dass wirklich Sprecher aller Parteien in der Kammer bei einem Thema der Fragestunde ans Rednerpult treten. Heute war allerdings so ein Tag.
Anlass war die VRT-Reportage von Dienstagabend. Da hatte das TV-Magazin Pano eine selbst recherchierte Sendung ausgestrahlt, die über vieles berichtete, was am Öffentlichen Sozialhilfezentrum, ÖSHZ, in Anderlecht falsch läuft.
Von den verschiedenen Missständen standen in der Aussprache in der Kammer vor allem zwei im Zentrum: die Vergabe von Sozialhilfegeldern an Menschen, die gar keinen Anspruch auf diese Gelder haben, und der Klientelismus, zu dem sich der ehemalige PS-Leiter des ÖSHZ in Pano selbst bekannt hatte.
Sammy Mahdi rief das für die CD&V als erster Redner noch einmal in Erinnerung. Das, was in Anderlecht geschehe, sei nicht hinzunehmen, sagte er. Wer einen guten Draht zum PS-Chef des ÖSHZ habe, der bekäme - an vorgeschriebenen Prozeduren vorbei - schnell Tausende von Euro. Doch wer das Geld wirklich nötig habe, der ginge leer aus. Für die PS in Brüssel sei das allerdings ja kein Problem, ätzte Mahdi: Ganz im Gegenteil: Noch gestern habe er im TV einen PS-Politiker sagen hören: "Ja, ich betreibe Klientelismus. Und darauf bin ich stolz. Denn ich bin Sozialist."
Ob solche Missstände auch an anderen von der PS geführten ÖSHZ in Brüssel zu entdecken seien, wollten andere Fragesteller wissen. Warum Lalieux nicht härter gegen den Missbrauch bislang schon vorgegangen sei? Denn am Vormittag habe sie ja im Radio gesagt, dass sie und ihre Dienste schon seit 2021 von den Unregelmäßigkeiten in Anderlecht wussten. Und selbst wenn sie etwas getan habe: Warum habe das augenscheinlich noch keine Früchte getragen?
Nur Lalieux’ PS-Parteifreundin Caroline Désir vermied es, das Thema Klientelismus anzusprechen. Und gerade so, als ob das Parteilinie sei, ging auch Lalieux in ihren von einem Blatt abgelesenen Antworten mit keinem Wort auf den Vorwurf des Klientelismus ein.
"Das, was wir in der Reportage gesehen haben", sagte Lalieux stattdessen, "ist völlig inakzeptabel. Es ist inakzeptabel, öffentliche Gelder für Personen zu benutzen, die es nicht nötig haben. Es ist illegal, Mittel für soziale Zwecke auszugeben, ohne dass das gerechtfertigt ist."
Sie werde alles daransetzen, damit sich die Zustände am ÖSHZ in Anderlecht wieder verbessern würden. Es dürfe nicht sein, dass die gute Arbeit der ÖSHZ durch diesen Skandal in Verruf gerate. Nächsten Mittwoch bei der Sitzung des Sozialausschusses in der Kammer könnten Details besprochen werden. Und dann war Lalieux fertig.
Klar, dass diese Antworten den Fragenden bis auf Caroline Désir nicht reichten.
"Ihre Antwort war haarsträubend", sagte Vincent Van Quickenborne von der OpenVLD. "Sie haben einen Text vorgelesen. Keine Schuldeinsicht, keine Entschuldigung. Es ist die Schuld der anderen."
Wouter Raskin von der N-VA sah sich genötigt, noch einmal klarzustellen, dass sich seine Kritik nicht gegen die Mitarbeiter des ÖSHZ in Anderlecht richte, sondern vielmehr gegen die kranke Unternehmenskultur, die tief verwurzelt sei bei der PS in Brüssel.
Und sogar Anja Vanrobaeys von der flämischen PS-Schwesterpartei Vooruit ärgerte sich über Lalieux' Antwort. "Das war enttäuschend", sagte Vanrobaeys, und sei nicht die Haltung von Vooruit, wobei natürlich auch ihre Partei die Missstände bei der mangelhaften Bearbeitung der Dossiers durch die Mitarbeiter aus dem Weg räumen wolle. "Aber" so Vanrobaeys wörtlich, "wir wollen auch gegen Betrüger kämpfen, die das System missbrauchen, und auch gegen die Politiker, die diesen Missbrauch zulassen. Das ist auch Ihre Aufgabe, Frau Ministerin. Zögern sie keine Minute mehr. Wir können nicht länger warten. Die Menschen verdienen etwas Besseres."
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Kay Wagner