"Sehr viele Menschen, vor allem in Flandern, schauen gerade mit Argusaugen in die Niederlande", sagte der renommierte Politikwissenschafter Carl Devos am Donnerstagabend in der VRT. Und er selbst gehört natürlich auch zu denen, die gerade interessiert die Ereignisse im nördlichen Nachbarland verfolgen, denn die Niederlande sind für viele in Flandern immer noch eine Art politischer Kompass.
Ein Kompass, der im Moment allerdings ein bisschen zu rotieren scheint. So mancher traute seinen Augen nicht beim Anblick des Wahlergebnisses vom vergangenen Mittwoch: Die PVV um den für seine fremdenfeindlichen Aussagen berühmt berüchtigten Geert Wilders ist stärkste Kraft geworden.
Dass Flandern gerade mit besagten "Argusaugen" nach Norden guckt, das hat natürlich auch damit zu tun, dass man da ohne große Mühe Parallelen erkennen kann. In Flandern gibt es schließlich den rechtsextremen Vlaams Belang, der sich bei der letzten Wahl 2019 fast wie Phönix aus der Asche auf der Politikbühne zurückgemeldet hatte. Und seither steht die Partei durchgehend an der Spitze der Umfragen im nördlichen Landesteil. Die Zeitung Het Laatste Nieuws bringt es so auf den Punkt: In Belgien, genauer gesagt in Flandern, wäre ein Sieg der Rechtsextremisten nicht mal ansatzweise so eine Überraschung wie in den Niederlanden. Eher im Gegenteil.
Und die Niederlande könnten jetzt - je nach Entwicklung - fast schon Signalwirkung für Flandern haben, glaubt Politologe Carl Devos. "Nehmen wir mal an, die Regierungsbildung verläuft geschmeidig, und dass die PVV von Geert Wilders an der Regierung beteiligt wird. Nun, dann können auch in Flandern viele Wähler plötzlich den Eindruck haben, dass eine Stimme für den rechtsextremen Vlaams Belang doch nicht so eine "verlorene" Stimme ist, wie man bislang den Eindruck haben konnte."
Mal ganz davon abgesehen, dass es bekanntermaßen so ist, dass Gewinner viele Freunde haben. Im Klartext: Der Sieg von Geert Wilders verleiht Rechtsextremisten in ganz Europa gerade nochmal so richtig Flügel.
In Belgien gibt es aber im Vergleich zu den Niederlanden einen doch entscheidenden Unterschied: Es gibt den Cordon sanitaire, also eine "Bannmeile" um den Vlaams Belang. Fast alle Parteien haben sich dazu verpflichtet, unter keinen Umständen mit dem Vlaams Belang zusammenzuarbeiten, geschweige denn zu koalieren. Und wer das tut, der wird geächtet.
Unterschrieben haben alle, mit Ausnahme der N-VA, betont Carl Devos. Deswegen wird es denn auch interessant sein, zu schauen, wie sich die Partei von Bart De Wever positioniert, sagt der Politikwissenschaftler. Im Moment kann man aber nur feststellen, dass die N-VA hier eine diffuse Haltung einnimmt: Mal suggeriert sie, dass sie sich eine Zusammenarbeit mit dem Vlaams Belang unter gewissen Bedingungen vorstellen könnte, um diese Idee dann gleich wieder kategorisch zu verwerfen.
N-VA-Chef Bart De Wever selbst wollte das Wahlergebnis in den Niederlanden bislang nicht kommentieren. Am Freitagmorgen saß aber einer seiner wichtigsten Leutnants in einem VRT-Radiostudio: Peter De Roover, der mächtige Chef der N-VA-Fraktion in der Kammer. Und der machte erstmal eine erfrischend nüchterne Analyse der Lage im nördlichen Nachbarland, nüchtern im Sinne von "frei von Parteipolitik".
Erstmal glaube er, dass viele Wähler eine Art Heimweh zum Ausdruck gebracht haben, Heimweh nach den Niederlanden von gestern. Und extremistische Partei wüssten diese Grundströmung auch aufzufangen. Ob nun Rechts- oder Linksextremisten: Solche Parteien verkauften aber im Wesentlichen Illusionen. Unter anderem suggerierten sie, dass man die Probleme mit einem Fingerschnipsen in Luft auflösen könne. "Aber wer Illusionen verkauft, der sät Desillusion." Desillusion, weil die Menschen dann eben schnell enttäuscht sind, wenn sie feststellen müssen, dass diese vermeintlich einfachen Lösungen dann einfach nicht kommen.
Peter De Roover bringt es aber nur so lange präzise auf den Punkt, wie es um die Niederlande geht. Der Frage, wie seine Partei denn mit dem Vlaams Belang umzugehen gedenkt, weicht er gekonnt aus. "Wissen sie: Jede Partei muss aufpassen, dass das Wahlkampfthema nicht am Ende eine andere Partei ist." Er jedenfalls habe keine Lust, sich im Wahlkampf mit dem Vlaams Belang zu beschäftigen oder mit der Frage, wie er zu der Partei stehe.
Nun, es mag dennoch so aussehen, als könnte sich der Wahlkampf am Ende doch zu einem gehörigen Maße um den rechtsextremen Vlaams Belang drehen. Politologe Carl Devos kennt da ein Mittel: Die Regierung sollte einfach nur die noch verbleibenden sieben Monate nutzen, um zu liefern.
Roger Pint