Die Migrationsdebatte sei sehr wichtig, hat Premierminister Alexander De Croo schon Freitagmorgen vor Beginn des zweiten Gipfeltags betont. Denn das grundlegende Problem ist ja seit vielen Jahren das gleiche: Vor allem die europäischen Staaten am Mittelmeer wie Italien, Spanien und Griechenland werden im wahrsten Sinne des Wortes von Welle nach Welle neuer Flüchtlingsboote getroffen. Und da es mit der berühmten Solidarität unter den Mitgliedsstaaten ja nicht sehr weit her ist, wenn es um die innereuropäische Verteilung und Aufnahme dieser Flüchtlinge geht, ist der Begriff "heißes politisches Eisen" eine Untertreibung von Format.
Einig sind sich die Mitgliedsstaaten eigentlich nur in einer Sache: Es kann nicht so weitergehen wie bisher, Europa braucht einen neuen Asyl- und Migrationspakt.
Premierminister Alexander De Croo wird auch nicht müde, in diesem Zusammenhang auf die anstehende belgische Ratspräsidentschaft zu verweisen. Denn während der, also im ersten Halbjahr 2024, soll der Pakt, so die allgemeine Hoffnung, unter Dach und Fach gebracht werden.
Ob das aber hinhauen wird, ist zumindest fraglich, beim letzten Treffen Anfang des Monats in Granada haben sich die EU-Spitzen nicht auf eine Abschlusserklärung zur Migration verständigen können. Nicht zum ersten Mal waren es vor allem Polen und Ungarn, die eine Einigung blockiert haben.
Am Freitag soll aber keine Abschlusserklärung gefunden werden, sondern lediglich ein breit gefasster, strategischer Gedankenaustausch zum Thema Migration stattfinden.
Rückführung abgelehnter Asylbewerber
Premier De Croo scheint beim Thema Migration aktuell aber vor allem ein bestimmter Aspekt unter den Nägeln zu brennen: die Rückführung abgelehnter Asylbewerber. Und das hat natürlich einen offensichtlichen Grund: Der tunesische Terrorist, der am 16. Oktober in Brüssel zwei schwedische Fußballfans erschossen hatte, war ein abgelehnter Asylbewerber. Entsprechend brisant und hitzig ist die innenpolitische Debatte um Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern seit dem Anschlag.
Wohl auch deswegen bemüht sich De Croo zu zeigen, wie proaktiv seine Regierung in der Angelegenheit ist: Belgien habe in den vergangenen Wochen einige wichtige Schritte unternommen, versichert er: Er habe gemeinsam mit seinem schwedischen Amtskollegen mit Kommissionspräsidentin von der Leyen über das Problem von Menschen gesprochen, die sich illegal in der EU aufhielten, darüber dass es schwierig sei, solche Menschen abzuschieben.
Er sei froh, dass von der Leyen sich auch auf dem Gipfel der Sache annehmen wolle, sie wolle dafür sorgen, dass EU-Länder illegale Einwanderer gemeinsam abschieben könnten.
Er habe auch bereits mit dem marokkanischen Premier darüber gesprochen, dass es möglich sein müsse, Marokkaner zurückzuschicken, die in Belgien im Gefängnis säßen oder die illegal im Land seien beziehungsweise deren Asylanträge endgültig abgelehnt worden seien.
Es gebe von marokkanischer Seite auch die Bereitschaft zur Zusammenarbeit in diesem Bereich. Er habe am Donnerstag auch mit seinem ägyptischen Amtskollegen über entsprechende Abkommen und Möglichkeiten gesprochen, ausgewiesene Flüchtlinge in der Region unterzubringen beziehungsweise zurückzunehmen.
De Croo räumt auch durchaus ein, dass die bisherigen Flüchtlingsabkommen, beispielsweise mit Libyen, problematisch seien. Einige Absprachen müssten verbessert werden, so der Premier. Aber an bindenden Vereinbarungen mit Ländern der Region führe kein Weg vorbei, also mit Ländern wie Marokko oder Ägypten.
Es gehe aber nicht darum, das Asylrecht auszuhöhlen: Europa beziehungsweise Belgien habe eine Verantwortung zu tragen, Menschen, die Schutz und Aufnahme bräuchten, müssten diese auch bekommen. Aber wenn sich herausstelle, dass bestimmte Bewerber kein Anrecht hätten auf Asyl, dann müssten deren Heimatländer eben auch bei ihrer Rückführung mithelfen, so De Croo.
Boris Schmidt