Mit der U-Bahn fahre ich nach Molenbeek, steige an der Haltestelle "Schwarze Teiche" aus. Über eine Rolltreppe gelange ich zurück ans Tageslicht, betrete eine Fleischerei. Inhaber Mohammed kann mit Deutschsprachiger Gemeinschaft - auf französisch "Communauté germanophone", nichts anfangen. "Germanophone. German. Sind das die "German" aus dem Norden? Das kenne ich nicht. Aber ich möchte wissen, was das ist."
Ein paar Hauseingänge weiter steht Abdelatif mit zwei Freunden vor einem Café. Während ich mit dem Marokkaner spreche, brechen seine Freunde in Lachen aus, wodurch Abdelatif sich aber nicht beeindrucken lässt. "Ich habe das mal gehört", sagt er. "Aber kennen? Das ist die Grenze mit Deutschland. Man weiß nicht genau, was das ist."
"Das sind die Menschen, die in den Städten wohnen, die an der Grenze zu Deutschland liegen. Verviers und die Städte in der Nähe. Das ist alles, was ich weiß", meint Abdelatif und fügt noch hinzu: "Ich habe auch gehört, dass es eine deutschsprachige Regierung gibt. Genauso wie eine französischsprachige. Aber wer dort Minister ist oder so, das weiß ich nicht."
Kurz vor der Brücke über den Kanal treffe ich die beiden 15-jähirgen Schüler Tarik und Abdel. Die Deutschsprachige Gemeinschaft?
"Keine Ahnung", antwortet Tarik. "Ich weiß absolut nicht, was das ist", sagt auch Abdel. "Keine Idee", beteuert Tarik. "Das hört sich wie 'jamaikanisch' an, 'germanophone'. Das klingt ähnlich, aber …" überlegt Abdel. "Sind das nicht die Leute, die Niederländisch sprechen?", fragt Tarik. "Ich weiß es wirklich nicht", beteuert noch einmal Abdel.
Tarik heißt auch der Mitarbeiter des Fischrestaurants an der Place Sainte-Catherine. Seine Version der Deutschsprachigen Gemeinschaft: "Das sind die Menschen, die im Süden des Landes wohnen. Hinter Verviers: Baelen, Aachen, Welkenraedt. Die sprechen alle deutsch. Die kennen wir."
In der Schule gelernt
Ich gehe weiter zur Grand'Place, suche einen Waffelverkäufer. Die Chefin des Ladens, in den ich eintrete, verweist mich an Imen, ihre junge Mitarbeiterin hinter der Theke. "Das ist die deutschsprachige Gemeinschaft von Belgien", antwortet die junge Frau. "Es gibt drei Sprachen in Belgien: Niederländisch, Französisch und Deutsch. Das ist im Osten, aber ich bin dort nie gewesen. Viel mehr weiß ich auch nicht. Das haben wir in der Schule gelernt."
Am Museumsberg betrete ich das Geschäft 'La Boîte à Musique'. Verkäuferin Aline antwortet auf die Frage nach der Deutschsprachigen Gemeinschaft: "Das sind die Bewohner von Belgien, die meistens in der Wallonie wohnen und die deutsch sprechen. Sie bilden eine eigene Gemeinschaft, sind deshalb also verantwortlich für alles, was Sprache, Bildung und Kultur angeht. Da gibt es verschiedene Gemeinden, aber außer Eupen kann ich Ihnen keine anderen nennen."
Auf Nachfrage fällt Aline aber doch noch eine weitere DG-Gemeinde ein: "Bütgenbach kenne ich, weil es dort einen sehr schönen See gibt, auf dem man sehr gut Wassersport betreiben kann."
Ich tauche ein in Brüssels afrikanisches Viertel Matonge. In einem der Geschäfte dort fühlt sich die afrikanisch-stämmige Magi von meiner Frage sichtlich überfordert. Sie versucht zu verstehen: "Also Germanophone, das heißt Germany und phone heißt Telephone, Kommunikation."
Nachdem ich Magi erklärt habe, worum es sich bei der DG tatsächlich handelt und sie mir zum Abschied gesagt hat, dass sie etwas gelernt habe, gehe ich weiter zur Place Flagey. Nicht rein zufällig. Denn an diesem Platz war es, wo der BRF 1945 geboren wurden. In dem ehemaligen Funkhaus ist heute ein Kulturzentrum untergebracht.
Am Empfang stoße ich auf Juliette, die mir auf meine Frage nach der Deutschsprachige Gemeinschaft antwortet: "Das ist ein kleiner Teil Belgiens, der sich in der Nähe von Eupen befindet, in der Nähe der deutschen Grenze, wo man deutsch spricht."
"Ich bin schon mal dort gewesen. Ich kenne ein bisschen die Umgebung, vor allem von Eupen. Ich war auch schon mal in Malmedy. Meine Tante, die ich über meine Beziehung habe, kommt aus dieser Gemeinschaft."
Kay Wagner
Wenn man die vielen Kommentare all unserer Mitbürger in den verschiedenen Landesteilen hört, so sehe ich mich in meiner Meinung bestätigt: mit Begriffen wie deutschsprachige Gemeinschaft oder Ostbelgien kommen wir weder in Belgien noch international weiter. So wie damals völkerrechtlich der Begriff Eupen-Malmedy eindeutig war, so müsste es heute Eupen-Sankt Vith sein, damit sich auch alle einbezogen fühlen.
Vielleicht könnte man - um die Befragten noch mehr zu verwirren - ja auch mal fragen, ob sie den Unterschied zwischen „Deutschsprachiger Gemeinschaft“ und „Ostbelgien“ kennen und ob es einen „Ostbelgischen Ministerpräsidenten“ gibt?
Wenn man die Beschriftung zu Rate zieht, die am Haus Gospert 42 auf die Zweckbestimmung des ehemaligen Bankgebäudes hinweist, müsste es ihn geben, steht doch da zu lesen:
OSTBELGIEN
- Sitz des Ministerpräsidenten -
Von Deutschsprachiger Gemeinschaft keine Rede.
Aber wen stört das schon?
Ganz haarig würde es zu fragen, welcher Dienst seinen Sitz im Haus Kaperberg 6 hat, auf dessen Eingang in beleuchten großen Lettern OSTBELGIEN steht?
Antwortmöglichkeiten:
1. Das Ostbelgische Amt für Onomatologie (beschäftigt sich mit Fragen der Namensgebung für staatliche Institutionen)
2. Die Tourismusagentur Ostbelgien/Belgique de l‘est
3. Die Familienzulagenkasse der Deutschsprachigen Gemeinschaft.
Als Preis winkt eine Bröschüre: „Belgien verstehen, oder auch nicht.“
PS. Der Fernsehkommentator des Giro meinte letzte Woche, Laurenz Rex würde der deutschsprachigen Gesellschaft in Belgien angehören, die 11.000 Mitglieder umfasst… Aha!